Nicht immer Kritisches über Politik, Gesellschaft, Medien, Kultur, Essen und manchmal auch Sport
Donnerstag, 8. Dezember 2016
Nice try
Das gestrige Spiel Real Madrids gegen Borussia Dortmund war eines, für das man als Fußballaffiner zwanzig öde Grottenkicks in Kauf nimmt. Obwohl beide Teams bereits fix im Achtelfinale waren und es 'nur' um den Gruppensieg ging, gab es 93 Minuten Tempo, Taktik und einen Schuss Wahnsinn. Am Ende hieß es im Bernabeu 2:2. Reus' Ausgleichstor kurz vor Schluss nach brillanter Vorarbeit von Aubameyang war schiere Wucht, Energie, Filigrantechnik und Eleganz. Ambivalenz des modernen Profifußballs: Nach so einem Spiel und erst recht den Gemeinschaftserlebnissen, die es zu stiften vermag, ist einem egal, dass da 22 Jungmillionäre auf dem Platz standen, von denen die meisten in Autos zum Training gefahren kommen, deren Anschaffung für die allermeisten Fans so weit entfernt ist wie eine Weltreise erster Klasse auf der 'Queen Mary'.
Montag, 5. Dezember 2016
Hofburg, zweiter Versuch
Dass gestern bei der österreichischen Präsidenten(stich)wahl der von der FPÖ aufgestellte Norbert Hofer nicht gewonnen hat, ist eine gute Nachricht, das lasse ich mir um keinen Preis wegdiskutieren. Wäre es nämlich anders ausgegangen, dann hätte diese Wahl, einem verbreiteten Bonmot zum Trotze, sehr wohl so einiges verändern können. Keine Frage, nicht nur im südöstlichen Nachbarland muss Leben in die muffige Bude des einseitig neoliberal verfilzten Politbetriebs, doch gibt es andere, muss es andere Wege geben, den etablierten Parteien Feuer zu machen, als einem Rechtsaußen mit Faible für Austrofaschismus in eine Position zu hieven, in der er zwar nicht viele Befugnisse hat, aber im Gegensatz zum deutschen Bundespräsidenten doch welche, mit denen er so einiges anrichten kann.
Dienstag, 29. November 2016
Herr S. wirft mit Dreck
Über den möglichen nächsten SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz kann man sicher einiges Kritische sagen. Auf der untersten Ebene politischer Auseinandersetzung kann man ihn und seinen manchmal schwerzüngigen rheinischen Akzent schlicht unsympathisch finden oder sich meinetwegen auch ein wenig lustig machen darüber bzw. über seine provinzielle Herkunft, obwohl er dafür nichts kann. Wäre aber noch im Rahmen für mich. Ferner kann man ihn selbstverständlich für jede seiner Positionen angreifen, man kann ihn einen pupsgrauen Karrieristen nennen, einen abgehobenen Eurokraten, der die Knechtung Griechenlands und anderer angeblicher Pleitestaaten unter die Austeritätsknute mit entsprechend brachialer Rhetorik maßgeblich mitbetrieben hat. Kann man alles tun. Sollte man sogar. That's demoracy.
Samstag, 26. November 2016
Leistungsträger - im Cockpit und anderswo
Der legendäre Ewald Lienen meinte kürzlich in einem Interview, der Sektor des Profifußballs sei vor allem deshalb so üppig finanziert, die gezahlten Summen für Gehälter, Werbung und Übertragungsrechte so astronomisch, weil er - Panem et Circenses, der alte Klassiker - die Funktion habe, das Volk zu unterhalten, auf dass es nicht auf die Idee komme, an den herrschenden Verhältnissen etwas ändern zu wollen. Anders: Der Zirkus trage maßgeblich dazu bei, dass es noch ein wenig dauert mit der Revolution. Der kluge Mann weiß übrigens, wovon er redet, denn er hat 2012/13 bei AEK Athen gearbeitet. Einsichten wie die erstere jedenfalls hat er etlichen Redakteuren großer überregionaler Tageszeitungen definitiv voraus.
Freitag, 25. November 2016
Stolperstein
Termin in einer Schule in der Nähe. Es war mir vorher nicht bewusst, dass es sich um diese Schule handelt. So kam die Begegnung mit der an einer nicht zu übersehenden Stelle des Schulhofs angebrachten Gedenkstätte überraschend. Glupp. Einer dieser Momente im Alltagstrott, in denen einem unversehens klar wird, mit welch unwichtigem Kram man sich normalerweise so zu befassen pflegt.
Dienstag, 22. November 2016
Untote
Christian Krachts anstrengend ennervierender Roman 'Die Toten'
Jochen Malmsheimer, jener Großmeister des sprachlichen Floretts, merkte einmal schwer widerlegbar an, es gäbe Eigennamen, die in sich bereits ganze Sätze seien. Marion Kracht etwa. Oder Steffen Seibert. Den nicht mit Marion verwandten Christian Kracht hingegen erwähnte er nicht. Warum, will mir ein Rätsel bleiben. Was das mit dem Thema zu tun hat? Eigentlich nichts. Ich möchte halt ein Buch des Letztgenannten rezensieren und habe irgendwie nach einem Einstieg gesucht. Und weil es sein kann, dass es bei jenem Christian gewaltig kracht im Hirn. Sein 1995 erschienener Erstlingsroman 'Faserland' wirbelte damals einiges an Staub auf. Ein Jahrhundertbuch!, jubelte ditt noch janz frisch jesamtverdeutschte Föjetong. Der Retter und Erlöser der schwer an notorischer Walser-Grass-Sklerose leidenden deutschsprachigen Gegenwartsliteratur schien in dem schmalen blonden Jüngling endlich gefunden.
Sonntag, 20. November 2016
Über die Bleierne
"Ich glaube wirklich, dass Angela Merkels Technik darin besteht, Betäubungszonen auszudehnen. Also, ich habe in anderem Zusammenhang gesagt, "sie chloroformiert das Land", und zwar dadurch, dass sie bestimmte Dinge nicht mehr der Befragbarkeit übergibt. Dazu gehört, wenn Sie die Neujahrsansprache schon angesprochen haben: Es kommt NSU, NSA nicht vor. Es kommt nicht Lampedusa vor, Afghanistankrieg nicht vor, die neue Große Koalition kommt nicht vor, sondern sie hat begriffen, dass größtmögliche Reibungslosigkeit und damit auch kontinuierliche Unterforderungen unserer zerebralen Tätigkeit dazu führt, dass man sie mag, während Steinbrück mit einem einzigen Satz bereits etwas macht, was irgendwie Kontur hat.
Samstag, 19. November 2016
Die Neuerscheinungen
Und? Den Meilenstein mitbekommen? Gestern haben Metallica ihr neuestes Werk veröffentlicht. Angesichts der medialen Rezeption muss man feststellen, dass die vier älteren Herren einigen ihrer Rezipienten eine Erkenntnis offenbar voraus haben: Die, dass die Zeit sich nicht zurückdrehen lässt. Nicht falsch verstehen, ich finde es völlig okay, wenn Menschen sich halbwegs treu bleiben, alte Verbundenheit respektieren etc. Die Frage ist halt nur, ob man es nicht auch übertreiben kann. So frage ich mich mitunter, ob es Musikschreibern nicht irgendwann selbst zu blöd ist, jedes neue Album der kalifornischen Krachkünstler an den ganz alten Glanztaten zu messen. Jedes Mal aufs Neue: Sind sie noch so gut wie früher, bevor sie sich nach dem Schwarzen Album endgültig dem Kommerz an den Hals geworfen haben? Oder den Hardcore-Fans, die artig jedes neue Album kaufen in der Hoffnung, dieses mal endlich, endlich die neue 'Master Of Puppets' in Händen zu halten, die dort anknüpft, wo 'And Justice For All' einst aufgehört hat?
Dienstag, 15. November 2016
Über Wettbewerb
Seien wir doch offen: Wettbewerb wird schon ganz schön überschätzt. Damals in der Schule haben sie versucht, uns zu imprägnieren gegen die Rote Gefahr. Drüben im Kommunismus, hieß es also, blühten Korruption und Vetternwirtschaft, weswegen dort bloß inkompetente, senile Witzfiguren an die Macht gelangten. Bei uns in der Di-Da-Demokratie dagegen, auf der richtigen Seite der Eisernen Vorhangs, da sei das freilich ganz anders. Bei uns sorge der freie Wettstreit der Ideen und Argumente, der Wettbewerb um des Wählers Gunst, automatisch dafür, dass am Ende die Fähigsten und Fittesten regierten. So wie ja in der Marktwirtschaft auch die berühmte Unsichtbare Hand dafür sorge, dass das jeweils beste Produkt sich letztlich durchsetze. Schon damals in den Achtzigern fragten wir uns, ob daran nicht etwas faul sein könnte, wenn exakt dieser Wettbewerb Geistesgrößen wie Ronald Reagan und Totalausfälle wie Dan Quayle, Vizepräsident unter George Bush sen., in höchste Ämter bringt.
Sonntag, 13. November 2016
Ronny des Monats - November 2016
Kinder, wie die Zeit vergeht! Vor einem Jahr wurden zum ersten Mal die Ronnys des Monats vergeben, auf dass schöne Einzel- und Gruppenleistungen auf dem Gebiet des Rechtsradikalismus und Faschismus nicht der Vergessenheit anheim fallen. Und es sieht nicht danach aus, dass die Kandidaten mir ausgehen. Inzwischen mischt auch die CSU fast immer mit beim fröhlichen Niveau-Limbo. So etwa der dritte Bürgermeister von Altdorf bei Nürnberg, der sich angesichts der Tatsache, dass der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland zu einer Veranstaltung anlässlich des Reformationstages eingeladen wurde, zu der Vokabel "Islamschweinerei" hinreißen ließ. Das erinnert nicht nur an längst vergangen geglaubte Zeiten, in denen man politischerseits ähnliches Vokabular benutzte, sondern hätte ihn auch gleich von Null in die Charts gebracht, wenn, ja wenn nicht wieder im letzten Moment die AfD ums Eck gekommen wäre.
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