Sonntag, 8. Oktober 2017

Im falschen Heimatfilm


Wieder einmal scheint's, als sprüngen die etabliert-sklerotischen politischen Kräfte über ein Stöckchen, das ihnen die Rechten hinhalten. Der Festrede des aktuellen Bellevue-Insassen zum Nationalen Feiertag zufolge, ist man offenbar fest entschlossen, ihnen, also den Rechten, den Begriff 'Heimat' nicht widerstandslos zu überlassen. Fragt sich nur, ob das Heimatgetümel bei denen nicht sogar am besten aufgehoben ist. Es mag meinethalben eine zutiefst menschliche Regung sein, sich mit dem Landstrich in den man zufällig hineingeboren wurde und den Leuten, unter denen man so groß werden musste, irgendwie zu identifizieren. Die Frage ist aber schon, ob man dem mehr Bedeutung beimessen sollte als unbedingt nötig, und ob ein wenig davon nicht bereits zu viel ist. Es gibt zahlreiche Regungen, die irgendwie zutiefst menschlich sind, sich aber völlig zurecht in diversen Tabuzonen befinden bzw. im Strafgesetzbuch stehen. Man nennt das: Zivilisation.

Zu meinen jüngeren Jahren war mein Heimatbegriff recht simpel umrissen: Heimat ist doof. Genauer: Jegliches Getue darum. Alles, was irgendwie 'Heimat' im Namen führte, war samt und sonders blöd, uncool, langweilig, kitschig, eng, reaktionär, schlimmstenfalls faschistoid. Heimat, das hieß: Heimatfilme, alberne Trachten, schlesische Heimat-, nein, Heijmattreffen, Heimatabende, Volksmusik, Schützenfeste und so weiter - am besten alles in Technicolor und mit viel Alkohol und Umpapah. (Womit nicht die Comicfigur gemeint ist). Apropos Alkohol und Umpapah: Es gab Zeiten, da hätten Auswärtige sich eher ohne Betäubung alle Weisheitszähne ziehen lassen, als mit Dirndl bzw. Krachledernder aufs Oktoberfest zu gehen. Angst vor Augenkrebs zu kriegen, wenn Rudolf Prack zu schluchzenden Jeigen vor knallbunter Alpenkulisse mit Sonja Ziemann rumknutscht, ist schlichtweg Geschmackssache und hat absolut nichts damit zu tun, dass die Nazis den Heimatbegriff für sich einst schnöde gekapert hatten und Wir DeutscheTM somit ein verkrampftes Verhältnis dazu hätten (was andere Länder alle nicht hätten, somit dringend Entkrampfung geboten sei).

(heimatpottential.blogspot.de)

"Heimat iss, von wo de weg biss.", pflegt man hier im Ruhrgebiet zu sagen. Der Satz gefällt mir, weil in ihm kein unnützes Gewese um Heimat gemacht wird und weil er das Wörtchen 'weg' enthält. Wo es vertraut ist, man seine Leute hat, sein Viertel kennt, wo man weiß, wo es das beste Essen gibt, die besten Kneipen, fühlt man sich wohl. Kann ich verstehen, geht mir auch so. Dass mir aber vor Freude das Herz hüpfte, wann immer ich die Ausfahrt von der A 43 nähme, kann ich nicht behaupten. Vielleicht fehlt mir was, weil ich noch nie wirklich lange weg war. Oder es liegt daran, dass es einiges an Willen braucht, den Ruhrpott schön zu finden (Schlösser, Berge, Täler kann schließlich jeder)? Nun bin auch ich nicht mehr gar so jugendlich-verkrampft wie früher und vermag inzwischen sogar Trachten positive Seiten abzugewinnen. Trotzdem bleibt ostentatives Heimatgetue mir suspekt. Das Prinzip, einen Teil seines Selbstwertgefühls aus dem puren Zufall des eigenen Geburtsortes abzuleiten oder allen Ernstes stolz zu sein auf etwas, zu dem man nicht das geringste beigetragen hat, war mir immer fremd und wird es wohl bleiben. Daher gehören Leute, die so was tun, für mich zum Beunruhigendsten, was die Evolution bis dato hervorgebracht hat.

Klar, man könnte sagen: Lass sie doch, wenn sie Spaß daran haben. Das könnte man, wenn da nicht immer auch latente Aggression mitschwingen würde gegen alles Fremde. Darum reklamieren die Rechten die Heimattümelei auch so für sich. Weil es erst mal ganz harmlos und lieb aussieht, es aber definitiv nicht ist. Die nächste Stufe nämlich lautet: Heimatschutz ist doch kein Verbrechen, sondern etwas ganz Natürliches! Da darf der Flüchtling sich nicht beschweren, wenn er aufs Maul bekommt. So siehst du aus, Schätzchen! Stellt sich die Frage: Ist Heimat überhaupt machbar ohne Abwehr des 'Fremden'? Heimat ohne Heimatschutz? Ich glaube nein. Früher oder später artet es aus, immer. Außerdem ist Heimat zuweilen auch etwas, das man sich leisten können muss.

Es ist kein Zufall, dass Autonomiebestrebungen wie jüngst in Katalonien solchen Zulauf gewinnen in Zeiten, in denen offenbar viele Angst haben, etwas zu verlieren. Denn darum geht es vor allem: Diese Separatistenbewegungen sind Symptom von Ungleichheit und Unwillen zur Solidarität, wie sie typisch ist für Umbruchszeiten wie unsere. Und so geht es beim regionalpatriotischen Hochhalten der heimatlichen Scholle weniger um Wiederentdecken kultureller Identitäten, sondern vor allem um Arm gegen Reich. Regionen, die wirtschaftlich gut dastehen, haben keinen Bock mehr, die ganzen armen Schlucker mit durchzufüttern, die vom erwirtschafteten Kuchen gern etwas abhätten und besinnen sich ihrer kulturellen Wurzeln. Das gilt für Katalonien, Norditalien und, man täusche sich nicht, auch für Bayern.



3 Kommentare :

  1. Meine Vorstellung von Heimat sind Kindheitserinnerungen, nostalgische Sehnsüchte. Ich gehöre der letzten Generation an, die eine romantische Kindheit erleben durfte. Ich wohne seit meiner Geburt mit kleinen Unterbrechungen am selben Ort. Dessen Urbanität hat sich aber dermassen verändert, dass ich ihn nicht mehr als meine Heimat bezeichnen würde. Ist ja auch über 50 Jahre her.

    Zumal der Heimatbegriff ja relativiert werden kann, je nachdem, wo ich mich aufhalte. In Bayern ist es NRW, in Schweden Deutschland und für manche Spinner, die die kommunale Gebietsreform von 1975 noch nicht verkraftet haben, ist z. B. nicht Bochum die Heimatstadt, sondern, wie man an ihren Kfz.-Kennzeichen neuerdings sehen kann, Wattenscheid.

    Linke, die jetzt meinen, der Heimatbegriff dürfe nicht den "Nazis" überlassen werden (können sie doch ruhig behalten), reklamieren nun eine eigene, positive Definition, die "nicht politisch aufgeladen" sein darf. Was für ein Blödsinn. Dieses Kriterium erfüllen auch die Hitparade der deutschen Volksmusik, Florian Silbereisen, DJ Ötzi, Stefan Mross und der Musikantenstadl - als Teil der deutschen Leitkultur. Deren Liedgut (!) appeliert an ein dumpfes Wir-Gefühl, das an der Grenze zum Nationalismus vorbeischrammt.

    Mit Heimatromanen, Heimatliedern, Heimatvertriebenen usw. konnte ich noch nie etwas anfangen.

    Was würde wohl ein schwarzer US-Amerikaner als Abkömmling früher deportierte Sklaven als Heimat bezeichnen?



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  2. Den Rechten den Heimatbegriff nicht überlassen, der typische Irrtum unserer Zeit, die Rechten besiegen, indem man ihnen nachplappert.
    Es geht tatsächlich darum, Themen nicht einfach zu ignorieren, mit Abstrichen mag auch der Begriff der Heimat dazugehören. Aber wenn schon, dann bitte nicht mit Nachsprech, sondern mit einem anderen Umgang mit dem Thema, der nicht verstärkend, sondern abfedernd wirkt.
    Auf die Gefahr hin, zu nerven, aber da muß auch über den antiheimatlichen Begriff vieler Progressiver gesprochen werden, der alles Fremde genauso überhöht wie die Heimattümler die Heimat. Egal, wie dieses Fremde aussieht, um des Fremden Willens an sich.
    Leider verdrängt diese Denke bei vielen Progressiven, was im obenstehenden Artikel stattfindet- die dringend notwendige Rückbesinnung auf linke Herrschaftskritik und liberale Herrschaftsskepsis.
    Daher volle Zustimmung zum Artikel, vor allem zum letzten Absatz.

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  3. Der Begriff „Heimat“ ist nicht per se politisch. Meine Homepage heißt seit Jahr und Tag Heimatseite.

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