Mittwoch, 7. März 2018

Verlorene Kulturgüter


Es war ja noch nie so leicht wie heute, ein Snob zu sein. Einmal bei chefkoch.de oder in ähnlichem Umfeld behauptet, dass man vielleicht Butter verwenden sollte statt gehärtetem Pflanzenfett, sich vielleicht gar geoutet als jemand, der weiß, dass es einen Unterschied gibt zwischen Süß- und Sauerrahmbutter - zack, schon haste das Stigma auf der Stirn pappen.

Klar, früher, da hat man sich die Wochenenden anders um die Ohren gehauen. Heute? ich bitte Sie! Freitags vielleicht kurz bei der Tafel vorbeischauen und sich köstlich darüber amüsieren, wie die Habenichtse sich um Aussortiertes prügeln, danach Streetfood und in die Schampus-Bar. Anschließend Clubbing. Samstags Brunch und Powershopping, dann Essen im Sternelokal des Vertrauens. Wenn das Diner dann beendet ist und der Küchenchef sich persönlich versichert hat, dass auch alles zum allerbesten war und diverse Ründchen aufs Haus hat springen lassen, der hauseigene Limousinen-Service einen am Hotel abgesetzt hat, wo man noch einen kleinen Absacker nimmt, vielleicht einen 85er Château Petrus (oder doch den 89er Pomerol?), heißt es zeitig zu Bett. Fit for job bleiben, am Sonntag um sechs geht’s joggen. Na kommen Sie, so geht’s doch zu in diesem Deutschland, in dem wir gut und gerne leben, noch nie so viele Arbeit hatten wie heute und die Personalchefs der Nation schon den Kopf in der Schlinge haben, weil sie einfach keine Leute mehr finden, obwohl sie schon astronomischste Löhne zahlen.

Wie, bei Ihnen nicht? Was ist denn mit Ihnen falsch?

Nein, der Onkel macht natürlich nur Spaß.

Früher jedenfalls waren die Abende tatsächlich anders. Da traf man sich, im sicheren Gefühl, den Großteil des Lebens noch vor sich zu haben und daher jede Menge Zeit zum Totschlagen zu haben, nicht selten halt einfach irgendwo oder bei jemandem daheim und hing bei Chips und Dosenbier ab. Wenn’s eine Dinnerparty werden sollte und der Monat noch am Anfang war, wurde Pizza bestellt. War der Abend noch jung und stellte Langeweile sich ein, dann konnte es vorkommen, dass irgendwann jemand vorschlug: Lasunsnohnfilmaussleihengehn. Gesagt, getan, man begab sich in die nächste Videothek (was eine Videothek ist, erklärt der Opa jetzt nicht, das googelt ihr bitte selbst, liebe Kinder) und lieh noch einen Film auf VHS-Kassette aus (was eine VHS-Kassette ist,... ach, egal). Einmal, wir waren noch ein wenig postpubertär und arg angetrunken, begannen wir aus purem wissenschaftlichem Interesse heraus in der Abteilung ab 18. Und flogen fast raus, weil wir uns unter schallendem Gelächter gegenseitig die Titel der Filme vorlasen. An Kracher wie 'Sportmagazin Ficker', 'Rasiert IV' und 'Wäscheklammern brutal' erinnere ich mich auch nach nunmehr knapp dreißig Jahren noch.

Kulturpessimismus ist eigentlich nicht so meins. Das weinerliche Verschwörungsgespinne etwa, das diverse neue und alte Rechte jetzt anstimmen, weil der Blog eines ihrer Lieblingsrolemodels eingestellt wird, geht mir auf den Sack. Aus einem vielleicht ärgerlichen, letztlich aber alltäglichen Vorgang wie dem, dass eine Zeitung sich nach knapp zehn Jahren entschließt, ihr Angebot umzustrukturieren und eine Sache nicht mehr weiterzubetreiben, allen Ernstes eine "stalinistische Säuberung" zu stricken, offenbart ein Ausmaß an Verpeiltheit, das sich nicht mehr jedem spontan erschließt. Und nach reiflicher Überlegung auch nicht.

"If you need a role model you are a dick." (Charlie Brooker)

Meine Güte, die Anzahl der Blogger und Kolumnisten, deren Arbeit ich sehr schätzte und die ihre Blogs aufgegeben haben bzw. deren Kolumnen eingestellt wurden, liegt inzwischen satt im zweistelligen Bereich. Der Kiezneurotiker, Hartmut Finkeldey, Wiglaf Droste und Deniz Yücel bei der taz, Stefan Gärtner im 'European' sind da nur die prominentesten Beispiele. Ich fand’s schade, dass es die 'Tempo' nicht mehr gab, allein wegen Maxim Billers 'Hundert Zeilen Hass'. Aber eine antisemitische Verschwörung dahinter vermuten? Kalt gestellt oder gar ins Gulag verschleppt wurde eines Wissens nach keiner der genannten, und gerade um das weitere Auskommen des radelnden Wohneigentümers vom Tegernsee muss man sich wohl keine Sorgen machen. Die Dinge ändern sich halt. Vielleicht jammern Rechte aber, konträr zu ihrem kriegerhaften Selbstbild, auch nur gern herum.

Natürlich bin auch ich nicht völlig frei von solchen Anwandlungen. Wer ist das schon? Manchmal, da beschleicht auch mich ein wenig Wehmut, wenn etwas Schönes verschwindet. Ich werde wohl alt. Ich rede aber nicht von irgendwelchen Sitten und Gebräuchen, die keinen mehr interessieren, mottigem Trachtenplunder oder von Dialekten, die noch drei Menschen jenseits der neunzig fehlerfrei beherrschen. Nein, es geht um eine sehr deutsche Kunstform, die vom Internet bereits völlig platt gemacht wurde und der anscheinend niemand eine Träne nachweint.

Die Generation Youporn ist es ja gewohnt, ihre audiovisuellen Masturbationsverstärker nicht mehr von Kassette oder BluRay/DVD zu konsumieren, sondern eher in Form von kurzen Clips. Deren Bezeichnungen, Titel möchte ich sie nicht nennen, dünken mir, wie ich letztens aus purem wissenschaftlichen Interesse herausgefunden habe, in der Regel von öder, geradezu trister Plattheit und Eindimensionalität zu sein. Es wird halt irgendwie aufgeführt, gern in regelloser Orthographie, wer es wie und wem besorgt bzw. es wie von wem besorgt kriegt und fertig. Wo sind sie hin, jene strunzdoofen deutschen Pornotitel, die in ihrem verkrampften Bemühtsein so schlecht waren, dass sie extrem lustig waren? Wie viel Poesie und Kreativität lag da drinnen. DA gehen Kulturgüter verloren! #DANKEMERKEL!11!!1!!!!!




4 Kommentare :

  1. Jobs? Also doe Lokalpostillen toppen da alles, was man beim Spiegel serviert bekommt:

    http://www.sz-online.de/nachrichten/warum-wird-niemand-mehr-wirt-3891122.html

    http://www.sz-online.de/nachrichten/lehrlingsplus-dank-fluechtlingen-3892990.html

    http://www.sz-online.de/sachsen/sachsen-startet-hilfslehrer-projekt-3892957.html

    Bei den damaligen Pornos, gab es m. E. auch welche mit Story und Comedy. Daran is heute nicht mehr zu denken, das funktioniert meist nicht mal beio normalen Fimlproduktionen mehr.

    AntwortenLöschen
  2. Köstlicher Artikel, habe herzhaft gelacht.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Danke. Freut mich.
      @Eike: In der Tat, solche Perlen der Komik scheinen heute nicht mehr produziert zu werden.

      Löschen
  3. Beim lesen des textes mußte ich an den dialog der eintagsfliegen aus einem roman von Terry Pratchett denken. Die hocken am abend zusammen und sprechen darüber, daß früher, als die sonne noch gelb war und nicht so blöd rot, alles viel besser gewesen war.

    Zumal es aber um verlorene kulturgüter ging: derzeit bin ich gewillt zu glauben, daß das abendland wahrscheinlich tatsächlich sehr bald untergeht. Nämlich genau morgen schon. Gerade las ich, daß morgen die letzte gedruckte ausgabe des »New Musical Express« erscheint. Um den zu lesen habe ich gegebenenfalls auch stundenlanges latschen in kauf genommen, denn der laden, in dem es den gab, war weit weg und öpnv gab es kaum. Die jugend von heute muß wohl völlig verkommen sein, wenn sie derartiges nicht in kauf nimmt, um ein überteuertes, fremdsprachliches magazin zu lesen ;o)

    AntwortenLöschen

Mit dem Absenden eines Kommentars stimmen Sie der Speicherung Ihrer Daten zu. Zu statistischen Zwecken und um Missbrauch zu verhindern, speichert diese Webseite Name, E-Mail, Kommentar sowie IP-Adresse und Timestamp des Kommentars. Der Kommentar lässt sich später jederzeit wieder löschen. Näheres dazu ist unter 'Datenschutzerklärung' nachzulesen. Darüber hinaus gelten die Datenschutzbestimmungen von Google LLC.