Dienstag, 18. September 2018

Opa erzählt vom Kalten Krieg


An der bei RTL gefloppten Serie 'Deutschland 83' gibt es erfreulich wenig auszusetzen.

Mit den seit einigen Jahren so angesagten Fernsehserien ist das bei mir ja so eine Sache. Gucke ich meist erst dann, wenn sie schon ein paar Jahre alt sind. Keine Ahnung, wieso. Vielleicht weil mir 'Hypes' aller Art so gegen den Strich gehen. Ferner halte ich auch in Zeiten des Streamings eisern am guten alten Datenträger fest. Man sollte den Datensammlern dieser Welt ihr Geschäft so schwer wie möglich machen, wenn man es ihnen schon nicht komplett verunmöglichen kann. Ich finde immer noch, es geht außer mir und von mir ausgewählten Personen niemanden etwas an, wann ich wie lange was genau anschaue.

(Wie? Rührend altmodisch? Ich nutze schließlich auch YouTube und habe ein Android-Handy? Das stimmt, aber Sie glauben vielleicht gar nicht, was man in so einem für Blogspot-Blogger und Android-Smartphone-Besitzer obligaten Google-Konto unter 'Einstellungen' so alles deaktivieren kann.)

Jetzt geriet mir die vielfach gelobte, 2015 erstmals bei RTL (ohne Erfolg) ausgestrahlte Serie 'Deutschland 83' in die Finger. Weil eine fiese Erkältung mich dazu zwang, das Wochenende ruhig anzugehen, war die Gelegenheit günstig, sich das am Stück und vor allem ohne Werbeunterbrechungen zu geben. Und, wie war's? Zunächst einmal: Ich habe mich nicht gelangweilt, die gesamten sechs Stunden nicht.

Worum geht's? [Ab hier Spoiler!] Wir schreiben das Jahr 1983. Martin Rauch (Jonas Nay), Oberfeldwebel bei den Grenztruppen der DDR, wird von seiner Tante Lenora (Maria Schrader), einer hohen HVA-Offizierin, und HVA-Generalmajor Schweppenstette (Sylvester Groth) dazu gebracht, sich als Undercover-Agent in den Westen einschleusen zu lassen. Er soll als Oberleutnant Moritz Stamm dem Bundeswehr-General Edel (Ulrich Noethen) als Ordonnanzoffizier zugeteilt werden. Erst weigert Rauch sich, weil er lieber in der Nähe seiner schwer nierenkranken Mutter (Carina Wiese) und seiner Freundin, der Lehrerin Annett (Sonja Gerhardt) bleiben möchte. Lenora und Schweppenstette üben Druck auf den jungen Mann aus, indem sie ihm in Aussicht stellen, sie könnten für seine Mutter leichter eine Nierentransplantation arrangieren, wenn er kooperiere. Außerdem ginge es nur um diesen einen Einsatz.

Rauch/Stamm kommt zunächst in Bonn bei dem jungen Juraprofessor Tobias Tischbier (Alexander Beyer) unter, der für die DDR in der westdeutschen Friedensbewegung spioniert. (Dass Tischbier schwul ist, spielt für die Handlung nur eine Nebenrolle, kann aber als Anspielung darauf verstanden werden, dass allein entsprechende Gerüchte einen Bundeswehrgeneral seinerzeit den Job gekostet haben.) Der unterzieht den Neuling einem Crashkurs in nachrichtendienstlichen Techniken und fungiert fortan als sein Führungsoffizier. Dann wird Stamm unter neuer Identität nach Daun in die Eifel zu General Edel gebracht. (Der echte Stamm wird beizeiten liquidiert.) Sein Auftrag: Informationen beschaffen über die Pläne der NATO.

Das alles hat einen sehr realen Hintergrund. Der greise Jurij Andropow, seit Anfang 1983 Nachfolger Leonid Breschnews im Kreml, hatte den zweiten Weltkrieg miterlebt und war geradezu besessen von der Sorge, die Sowjetunion könnte noch einmal so auf dem falschen Fuß erwischt werden wie 1941. Als US-Präsident Reagan von der UdSSR als "Reich des Bösen" sprach und den Abschuss eines koreanischen Verkehrsflugzeuges propagandistisch ausschlachtete, war man in Moskau aufs Äußerste alarmiert. Andropow ordnete die grenzparanoide Operation RJaN an. Ausnahmslos alles, inklusive der Frage, wie lange in den Büros des Brüsseler NATO-Hauptquartiers das Licht brannte, galt als verdächtig und konnte im Zweifel ein Indiz für einen bevorstehenden Angriff sein.

Als man dann bei der NATO im Rahmen der Kommandoübung Able Archer 83, bei der Kommunikationswege im Fall eines Nuklearkrieges simuliert werden sollen, Funkfrequenzen und Verschlüsselung umstellte, schien der Fall klar: Der Erstschlag des Westens stand unmittelbar bevor. In Polen und der DDR wurden große Truppenkontingente zusammengezogen und auf den Fliegerhorsten des Warschauer Paktes schliefen die Piloten in Uniform in ihren aufmunitionierten Maschinen. Nie war der Kalte Krieg heißer, nicht einmal 1962 während der Kubakrise. Man sagt, es seien die Geheimagenten gewesen, vor allem Rainer Rupp alias 'Topas', an den die Figur des Moritz Stamm alias 'Kolibri' lose angelehnt ist, die die Lage gerade noch entspannten.

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Wie lebte es sich mit dieser Bedrohung? In meiner Erinnerung meistens ziemlich normal. Gehörte man nicht der Friedensbewegung an, verdrängte man die ständige Gefahr eines Atomkriegs üblicherweise so gut es ging und lebte halt sein Leben. Je nach politischer Überzeugung hatten wir begeistert oder widerwillig akzeptiert, dass die Bundesrepublik einem Heerlager glich, alle paar Monate die Sirenen getestet wurden, dass bei Verwandtenbesuchen ins Ostwestfälische deutsche und britische Panzerzüge und Nachschubkonvois die Straßen verstopften und über dem Münsterland Tiefflugübungen stattfanden. Dass das in der DDR im Prinzip auch nicht anders war, mag eine triviale Erkenntnis sein, doch geht sie leicht unter.

Auch sonst haben die Autoren Anna und Jörg Winger vieles richtig gemacht. Vor allem tappen sie nicht in die Nostalgiefalle. 'Deutschland 83' spielt in beiden Teilen des Landes und es wird nicht geurteilt. Weder erscheint der Westen als buntes Paradies aus Freiheit und Konsum noch ist die DDR ein finsteres Loch voller grauer Apparatschik-Karikaturen. Im Gegenteil, das privilegierte Familienleben des keineswegs bösartigen oder übermäßig spießigen General Edel beispielsweise erweist sich trotz allen materiellen Wohlstands als ein von Neurosen, Generationenkonflikten und Sprachlosigkeit vergiftetes Gefängnis. Umgekehrt wird die DDR nicht zum harmlos-kuscheligen Volksheim verharmlost, sondern man zeigt sehr wohl auch die Schattenseiten.

Erfrischend, wie viel cooler und unverkrampfter das daherkommt als etwa die graubrotenen, mehr oder minder latent revisionistischen Aufarbeitungsverrenkungen eines Nico Hoffmann, in denen ein ums andere Mal bleischwer verhandelt wird, dass auch Deutsche irgendwie Opfer, wie schwer die Zeiten waren und welch heftiger Befehlsnotstand doch allseits herrschte. Mag daran liegen, dass Anna Winger als gebürtige Amerikanerin und gelernte Journalistin einen unverstellteren Blick hat auf vieles und eine andere Herangehensweise. Wenn die Absicht gewesen sein sollte, nicht zu politisieren, sondern einfach solide Unterhaltung vor dem Hintergrund realer historischer Ereignisse zu bieten, dann ist das gelungen. Und das geht übrigens völlig in Ordnung. Es wäre nicht das erste Mal, dass vermeintlich 'platte' Unterhaltung ohne großen Bildungsauftrag mehr zur Aufklärung beiträgt als ganze Regalmeter tiefschürfender Analysen.

Die Schauspieler machen ihre Sache hervorragend. Es ist immer eine gute Idee, ein paar Könner wie die grandiose Maria Schrader, Sylvester Groth und Ulrich Noethen an Bord zu haben. Besonders berührend ist Sonja Gerhardt als Rauchs Freundin Annett, die zu Beginn unpolitisch und arglos wirkt, sich dann als besonders ideologisierte Stasi-Mitarbeiterin entpuppt und am Ende an der doppelten Belastung und ihren inneren Konflikten fast zerbricht. Auch die Details am Rande sind gut beobachtet. Die 1982 eröffnete Bhagwan-Dependance in Köln etwa, die dank ihrer Disco eine Zeitlang wirtschaftlich sehr erfolgreich war und in die sich Edels Tochter Yvonne (Lisa Thomaschewsky) flüchtet. Wurde man als Jugendlicher damals vor gewarnt, sich 'mit denen' einzulassen. Auch die von Reinhold Heil (Nina Hagen, Spliff, Cosa Rosa) besorgte Musikauswahl weiß zu gefallen, fällt allerdings arg westlastig aus.

Auch anderswo könnte man wie immer mosern, wenn man denn unbedingt wollte. So wird für meinen Geschmack hier und da ein wenig arg dick aufgetragen. Der Konflikt des Generals mit seinem schwulen, pazifistischen, in der Bundeswehr dienenden Sohn (Ludwig Trepte) wirkte auf mich schon sehr mit dem ganz breiten Pinsel gemalt. Und dass Schweppenstette am Ende nicht noch den berühmtesten Satz eines gewissen Darth Vader zitieren muss, lässt das Finale haarscharf am Kitsch vorbeischrammen. Aber das ist, wie gesagt, Geschmackssache und konnte meinen insgesamt positiven Gesamteindruck nicht wirklich trüben.

Fazit: Klasse Sache. Ansehen, so noch nicht geschehen! Dass bei RTL grottenschlechte Marktanteile erzielt wurden, spricht hier für Qualität. Eine Fortsetzung mit dem Namen 'Deutschland 86' ist angeblich in Vorbereitung. Das freut mich.


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Deutschland 83. D 2015. 8 x 45 min. DVD/BluRay oder als Stream bei Amazon prime, maxdome, iTunes und Google play.




Anhang. Für die pingeligen unter den Leser/innen. Wer von so was leicht genervt ist, möge bitte hier das Lesen einstellen.

Es sollte trotz allen verdienten Lobes nicht verschwiegen werden, dass sich leider ein paar höchst ärgerliche Fehler eingeschlichen haben:

Auf einer Dienstreise nach Brüssel fragt Stamm einen illegalen Händler, was denn bitte ein Walkman sei, als der ihm einen verkaufen will. Obwohl der erste 'DDR-Walkman' aus volkseigener Produktion erst 1989 auf den dortigen Markt kam, waren Westimporte meines Wissens lange vorher gegen Westgeld über die Genex zu bekommen. Gut möglich also, dass ein junger DDR-Bürger, der 1983 Anfang, Mitte 20 war, noch nie einen Walkman in der Hand hatte. Aber dass er nicht wusste, was das ist?

General Edel spricht vom enttarnten Moritz Stamm als 'Pitbull' - diese Hunderasse bzw. ihre Bedeutung als so genannter 'Kampfhund' war im Westdeutschland des Jahres 1983 noch völlig unbekannt. Aber ich kann mich täuschen. Vielleicht liegt es auch am engen Kontakt zu Amerikanern, den Edel als NATO-General hat.

Nach Stamms Flucht aus der Kaserne ist in den Radionachrichten zu hören, der Flüchtige werde von der Bundespolizei gesucht. Die gibt es aber erst seit 2005, 1983 hieß die Veranstaltung noch Bundesgrenzschutz.

Wiewohl 'Deutschland 83' für die Abwesenheit der üblichen Ost-West-Propaganda zu loben ist, muss ein Detail noch erwähnt werden: Zwischendurch entsteht der Eindruck, nur in der DDR sei immer und überall geraucht worden. Das stimmt definitiv nicht. Auch im Westen wurde gequarzt als gäbe es kein Morgen (was angesichts des nukelaren Damoklesschwertes nicht komplett abwegig war). Es mag jungen Leuten heutzutage nicht mehr vermittelbar sein, doch galt es auch diesseits der Elbe keineswegs als Giftgasangriff bzw. Körperverletzung mit Todesfolge, sich andauernd ungefragt eine anzustecken.

Einen hab ich noch: An der Uni bzw. deren Dunstkreis ist die Dichte an Latzhosen, Aufklebern, Buttons, Teppichtaschen und Palästinensertüchern deutlich zu gering. Ein einsamer Norwegerpullover macht noch keine Friedensbewegung.

Friedensbewegung, das bedeutete, endloses Diskutieren und Angsthaben. Aber auch die hübschesten Mädels. Die leider oft Querflöte spielten. Friedensbewegung, das hieß, vorzugeben Musik gutzufinden von Gruppen die 'Gänsehaut' hießen und in deren Liedern Käfer vorkamen, die Karl hießen und die man nicht gefragt hatte. Menno, voll gemein! Oder rasputinbärtige Holländer, die vom weichen Wasser sangen, das den Stein bräche. (An der Tatsache, dass die SPD das 1988 zum 125. Jubiläum allen Ernstes zum Parteilied erkor, lässt sich ablesen, dass der Zustand des Ladens nicht erst seit kurzem gewaltig Schlagseite hat.) Friedensbewegung hieß, populäre Musik als 'Kommerzscheiße' zu schmähen und heimlich auf 'Bette Davis Eyes' abzufahren. Ich weiß, wovon ich rede, ich… Halt, stop, basta così! Ich schweife ab!

Alles nur Nebensächlichkeiten? Beckmessereien eines alten Sackes, der dabei war und jetzt allen erzählt, wie es wirklich gewesen ist? Opa erzählt vom Kalten Krieg? Mag sein. Ich finde es halt nur schade, weil man sich sonst größte Mühe bei den Details gegeben hat. Was soll‘s, der Hauptzielgruppe der Serie, die die Achtziger altersbedingt nur mehr vom Hörensagen kennt, wird es vermutlich nicht auffallen.



3 Kommentare :

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