Donnerstag, 28. Februar 2019

Neues vom Kapitalismus (2)


Immer wieder herzig (oder steckt da am Ende Methode hinter?), wenn entsprechend Gestrickte auf den Trichter kommen, dass hart arbeiten doch nicht automatisch zu Wohlstand und einem properen Leben führt, sondern einen durchaus auch in einem Leben in Armut halten kann. Dabei ist das eigentlich längst bekannt. So hat zum Beispiel Barbara Ehrenreich in einer Wallraff-mäßigen Aktion schon vor knapp 20 Jahren enthüllt, was es bedeutet, in den U.S. of A. mit so genannten Dienstleistungsjobs durchschlagen zu müssen. Und sie war weiß Gott nicht die einzige.

Nun scheint es aber für einige immer noch eine echte Neuigkeit zu sein, dass die Nummer vom American Dream (zu deutsch: Leistungsgesellschaft) für die meisten ein arger Beschiss ist. Und so liest man dann immer wieder Tränendrüsen-Artikel über das harte Schicksal von Menschen, die trotz harter Arbeit bis zum Anschlag und darüber hinaus nicht einmal auf einen grünen Zweig kommen. Geschichten wie die der Stephanie Land etwa, die zunächst in einem Essay und jetzt in einem Buch berichtet, wie sie sich als allein erziehende Mutter und Hilfsarbeiterin irgendwie durchzuschlagen versucht im Amerika des 21. Jahrhunderts.

Solche Einzelschicksale sind gewiss schlimm, keine Frage. Nur bewirkt derlei Sozialkitsch halt so rein gar nichts, außer dass jene Bessergestellten, die das lesen, sich unter wohligem Schauer erleichtert zurücklehnen, weil sie da ja zum Glück anders sind. Außerdem, kann der darob maximal marginal erschüttere Leistungsmensch sich immer noch trösten, hat die ach so notleidende Ms. Land ja schließlich ein Buch geschrieben. Perfider Subtext: Wer immer noch Zeit und Energie übrig hat, ein Buch zu schreiben, kann ja wohl so ausgepowert nicht sein und hat vermutlich nur nicht hart genug gearbeitet.

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Apropos Kapitalismus. Die Einführung von Hartz IV sollte, so meine Erinnerung mir keinen allzugroßen Streich spielt, auch der gesteigerten Effizienz von Arbeitsvermittlung und Elendsverwaltung dienlich sein. Nun ist herausgekommen, dass das kleinliche Eintreiben noch kleinster Außenstände bei den 'Kunden' den Jobcentern im Jahr 2018 18 Millionen Euro eingebracht hat, bei einem gleichzeitigen Verwaltungsaufwand von ca. 60 Millionen Euro. Es heißt ja immer, Hartz IV sei eine neoliberale Reform gewesen. Was allerdings neoliberal daran sein soll, für jeden Euro, den man Menschen mühsam aus der Tasche zieht, 3,33 Euro rauszuhauen, das erschließt sich mir nicht wirklich. Muss eines dieser großen Geheimnisse des Kapitalismus sein.

Jeder, wirklich jeder neoliberal gestrickte, will heißen: streng nach Kosten-Nutzen-Analyse vorgehende Controller, der mit solchen Zahlen konfrontiert wäre, würde ein derart ineffizientes, teures und offenbar lausig schlecht kalkuliertes Projekt auf der Stelle einstampfen, bevor es noch mehr Geld kostet. Hat sich was mit neoliberal. Fast, aber auch nur fast könnte man da auf die Idee kommen, hier würde ordentlich Geld in die Hand genommen, um Menschen möglichst effizient in Armut zu halten. Zumindest, wenn man vom Ergebnis her denkt. Auffallend jedenfalls, dass ausgerechnet die, die jeden für Soziales veranschlagten Cent Staatskohle für Verschwendung halten, am krampfhaftesten an Hartz IV in der bestehenden Form festhalten wollen.

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Apropos Kapitalismus: Der steindumme Netzmob hat in einem Shitstorm (merke: für einen Shitstorm braucht es viele Arschlöcher) dafür gesorgt, dass der französische Sportartikelgroßhöker Decathlon einen Hidschab für muslimische Joggerinnen wieder aus dem Programm genommen hat. Schön, auch ich halte die Haareverhüllerei, ob nun per Kopftuch, Hidschab, Hiquab oder Perücke, wie es unter orthodoxen Jüdinnen verbreitet ist, für eine ausgewachsene Sexualneurose. Wenn einen Mann, den beim bloßen Anblick unverhüllter weiblicher Haare ernsthaft unkontrollierbare Gelüste überkommen und er zum Tier wird, dann ist das für mich kein Zeichen von Religiösität, sondern dafür, dass da jemand höchstwahrscheinlich sauber einen an der Waffel hat und ein Fall für den nächsten Therapeuten ist. Aber das ist nur meine Meinung. 

Meinethalben kann man ja gern zum xten Male diskutieren, wie weit das Tragen religiöser Symbole in der Öffentlichkeit gehen soll/darf/kann, ohne dass das christliche Abendland darob untergeht. Wer aber ernsthaft glaubt, wie auch immer geartete abendländische Werte ließen sich an der Einkaufsfront verteidigen, hat nicht minder gewaltig einen am wandern wie die eben erwähnten Schwanzgesteuerten. Fleisch vom gleichen Fleische eben, halal oder nicht.

Fun fact: Bei Decathlon machen sie so was nicht, weil sie das Abendland islamisieren wollen, sondern weil sie ein Geschäft wittern. Und wenn verhüllungswillige Sportlerinnen ihre Verhüllungsutensilien nicht mehr bei Decathlon bekommen, dann bestellen sie sie eben im Netz. Mehr dürfte sich nicht ändern. Außer dass Decathlon einige jener Kunden verlieren dürfte, die nicht bei einem Laden einkaufen mögen, der vor rechtem Pöbel einknickt.





3 Kommentare :

  1. Wenn einen Mann, den beim bloßen Anblick unverhüllter weiblicher Haare ernsthaft unkontrollierbare Gelüste überkommen und er zum Tier wird, dann ist das für mich kein Zeichen von Religiösität, sondern dafür, dass da jemand höchstwahrscheinlich sauber einen an der Waffel hat und ein Fall für den nächsten Therapeuten ist.

    Und selbst wenn, wäre es immer noch eine Macke des betreffenden Kerls. Da kann es im konkreten Einzelfall für eine Frau sinnvoll sein, dem keinen Anlass zu bieten. Aber grundsätzlich kann es nicht Sache der Frauen sein, die Unbeherrschtheit des Mannsvolks durch unbequeme Kleiderordnungen auszugleichen. Das ist ein Problem der Männer, und die müssten das lösen. Und zwar, indem sie an sich selbst arbeiten, nicht indem sie anderen lästige Vorschriften machen.

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    1. Ich schrieb es schon mal andernorts: Patriarchat bedeutet im Kern nichts anderes als Kontrolle über weibliche Sexualität (vor allem, damit das Erbe in der Familie bleibt) - und die Verhüllungsnummer ist die Hardcore-Variante davon.

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  2. Der religiös begründete Zwang zum Kopftuch tragen entspricht in etwa dem sozialen Modediktat zum Minirocktragen bei Frauen ohne Migrationshintergrund. Die Unbeholfenheit der deutschen Frau wird durch die Verordnung von High-Heels noch unterstützt. Oder haste schon mal Birkenstocks bei GNTM gesehen?

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