Montag, 4. März 2019

Närrisches Rollback


Der größte Vorteil, nicht in einer so genannten Karnevalshochburg zu leben, ist, dass man die Wahl hat. Derweil das närrische Volk sich draußen das Schietwetter schönsäuft, kann man sich kuschelig einigeln, sich ein paar Berliner reinpfeifen und den lieben Gott ansonsten einen guten Mann sein lassen. Man muss auch sonst keinen Aufwand betreiben wie seinerzeit mein Biolehrer. Der war Kölner mit Leib und Seele und liebte seine Heimatstadt von Herzen, gehörte aber zu jener Minderheit, der das närrische Treiben gewaltig auf den Docht ging. Also reisten er und seine Frau alljährlich für fünf Tage in eine humorlosere Gegend und kehrten erst Aschermittwoch wieder zurück.

Wer sich eine kindliche Freude am Verkleiden bewahrt hat - bittesehr, ich habe da nicht zu urteilen. Wer unbedingt einen Anlass braucht, schon morgens um zehn hackenstramm zu sein - nicht meins, aber jeder wie er meint. Wer sich unbedingt zu horrenden Eintrittspreisen mit tausend anderen Spaßbacken in einen überfüllten Saal quetschen will, um sich schlechten Witzen, billigem Alkohol und Schunkelmusik auszusetzen und - Tatäääh! - auf Kommando und im Gleichschritt zu lachen - wer‘s mag. Leid können einem nur die tun, die keine Möglichkeit haben, dem irgendwie auszuweichen.

Klar, man kann sich so seine Gedanken machen. Hier und da Fragen stellen. Etwa die, wieso in närrischen Epizentren trotz angeblich heftigsten Krachenlassens die Geburtenrate nicht neun, sondern immer erst zehn Monate nach Karneval signifikant ansteigt. Natürlich kann man streiten, ob es auch Anno 2019 noch zeitgemäß ist, geschweige denn irre lustig oder irgendwie originell, sich als Karnevalsverein 'Negerköpp' zu nennen bzw. welchen Stumpfsinn man eigentlich noch alles mit dem Null-Argument der Tradition rechtfertigen will.

"Das Rheinland ist keine Landschaft, sondern mehr eine Gegend. Ein Vierteljahr Nebel, den Rest der Zeit Rübenanbau und Rübenernte. In solchen Regionen kommen Menschen auf andere Ideen – dem Rheinländer ist der Karneval eingefallen." (Michael Hüther)

Wirklich nerven tun jene Karnevalisten, die ihr Humorgeschäft in Sitzungsform verrichten und es sowie sich selbst dementsprechend ernst nehmen. Wegen ihres Selbstbildes. Gerade im rheinischen und im Mainzer Karneval geriert man sich ja gern zu supertoleranten, weltoffenen Widerstandskämpfern, zu denjenigen, die den Mächtigen und Großkopferten "mit beißendem Spott" (beliebige Lokalzeitung) "unter den Lachsalven der närrischen Gemeinde" (ebd.) die Leviten lesen. Ist und war natürlich so nicht richtig. Eher ein Feigenblatt. Als Historiker vor Jahren das Gebaren der Jecken während der NS-Jahre untersuchten, wurde es arg peinlich. Es stellte sich heraus, dass die meisten brave Mitläufer waren und artig mitgemacht haben, auch beim Judenhassen.

In Zeiten, da man sich längst nicht nur binnen einschlägiger Filterblasen, sondern auch in ausverkauften Hallen wieder als Held abfeiern lassen kann, indem man fleißig nach unten tritt und seine Schenkelbrecher auf Kosten von Minderheiten macht, strahlt das natürlich auch in den Karneval aus. Und weil so was, entgegen entsprechender Selbstwahrnehmung, weder Mut erfordert noch Kreativität, kann auch AfD-kompatible Witzchen reißendes Mittelmaß vom Schlage der homophoben Humorsimulantin Krampf-Knarrenbauer ein Mal im Jahr irgendwo brillieren.

Man verstehe mich nicht falsch: Witze über Minderheiten können durchaus befreiende und emanzipatorische Wirkung haben. Unter anderem, weil auf den Arm genommen zu werden ein Zeichen für Akzeptanz sein kann. Die besten Behindertenwitze habe ich von Behinderten gehört. Es kommt allerdings auf den Kontext an. Und da kann es durchaus sein, dass Witze über diskriminierte Minderheiten vor allem dazu führen, Diskriminierung auch weiterhin zu legitimieren.

Würden diejenigen, die die saarländische Spaßschabracke jetzt verteidigen, indem sie auf Narrenfreiheit insistieren und meinen, die Transen sollen sich mal nicht so haben, es auch akzeptabel finden, wenn Stinkreiche öffentlich über Arme herziehen? Nähmen sie es mit der gleichen Lockerheit hin, die sie anderen in Bezug auf ihre Scherzereien abverlangen, wenn ihr Kind auf dem Schulhof 'Kartoffel' genannt wird? Dann will ich nichts gesagt haben.

Natürlich muss man der Doppelnamendame, die letztens den klampfenden Grinseklops Bernd Stelter streng zur Rede stellte, zugute halten, dass so eine Sitzung im Gürzenich etliche Stunden dauert. Angesichts einer solchen Marathonberieselung aus schlechten Witzen, billigem Alkohol und Schunkelmusik kann es schon mal zu zelebralen Ausfallerscheinungen kommen. Weil das sauerstoffreiche Blut halt irgendwann vom Hirn in das platt gesessene Sitzorgan sackt. Pure Physik. Trotzdem: Dem im Stile einer puritanischen Spaßbremse entgegenzutreten, verkrampft die Humorpolizei zu spielen und verschnupft Entschuldigungen einzufordern, ist ein Fehler.

Wer als Kind und Jugendlicher wegen irgendwas gehänselt wurde, dem aber nicht entkommen konnte, etwa weil‘s in der Schule stattfand, und darob gezwungen war, sich eine gewisse Coolness und Selbstironie zuzulegen, weiß das aus Erfahrung: Schlechten und bösartigen Witzen begegnet man nicht mit dröger Widerrede und Beleidigtsein, sondern allein mit besseren Witzen, sonst liefert man nur weitere Angriffsfläche. Vorgeführt zu bekommen, definitiv nicht witzig zu sein, schmerzt feige humoristische Grobmotoriker, die mangels Rückgrat und Klasse nicht anders können als auf Schwächeren herumzureiten, nämlich am allermeisten.



5 Kommentare :

  1. Eigentlich ist es seit Jahrzehnten klar, dass der Karneval eine Veranstaltung für Langweiler und Spießbürger ist, bei der die Elite selbstverständlich in der ersten Reihe sitzt. Dieselben Kostüme und dieselben Pointen seit meiner Kindheit. Wer einen Rest an Selbstachtung besitzt, ignoriert die Sache einfach. Nächster Halt: Schokoladenosterhasen und Ostereiersuche im Reihenhausgarten.

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  2. Ich habe noch nie verstanden, dass Menschen sich dem kalendarischen Humordiktat unterwerfen. Seit 11.11.- 11:11 Uhr wird zurückgelacht.

    Umsatz durch diese 5. Jahreszeit: 2 Mrd. Euro jährlich.

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  3. Karneval in Kölle:

    Humba humba humba humba bützbützbütz trööööt humba humba humba humba humba humba humba oleeee, ole ole oleeee, deutscher Meister KEC humba humba humba humba trööööööt humba humba humba humba humba humba humba humba bützbütz humba humba tröööööt Kölle alaaf humba humba humba humba humba humba äwwer lauwärm humba humba tröööööt rülps humba humba humba humba humba humba humba humba et kütt wie et kütt humba humba humba humba humba humba humba humba trööööööt bützbützbützbützbütz trööööööt humba humba humba humba humba humba rülps humba humba humba humba klüngelüngelüngelüngelüng humba humba humba humba humba wat wellste maache humba humba humba humba humba trööööööt humba humba humba humba einmohl Affjahnistahn un retuhr humba humba humba humba tröööööt klüngelüngelüngelüngelüng isch möhsch zo Fooss noh Kölle jonn bützbützbütz humba humba humba humba humba humba äwwer lauwärm humba humba humba humba humba trööööööt Blootwoosch humba humba humba humba humba enä, Flönz humba humba humba humba humba humba bützbützbützbütz humba humba humba humba tröööööt...

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    1. Kein Scherz: Bei der Uraufführung von 'Humba täterä' 1964 in Mainz tobte der Saal dermaßen, dass die Aufzeichung von 'Mainz bleibt Mainz' um eine Stunde überzogen werden musste. es gibt eben Menschen, die sind leicht zufrieden zu stellen.

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