Donnerstag, 25. April 2019

Sex. Rock 'n' Roll. Deadly Sins


Und ich habe es wieder getan. All you can eat-Buffett beim Chinesen. Fast immer, wenn ich ein paar Tage frei habe, lande ich an einem Mittag in so einem Überfresstempel. In die Vitrine gekübelter Wareneinsatz. Fressorgie mit Ansage. Alles, was fettig und ungesund ist. Und sollte sich doch etwas Gesundes dorthin verirren, dann wird ihm das Gesundsein mittels Backteig und Fritteuse sofort gnadenlos ausgetrieben. Abgesehen vom guten alten Mettbrötchen "gibt [es] nichts Vergleichbares, mit dem man so einfach und symbolisch perfekt sämtlichen Gesundheitsgurus in den Arsch treten kann." (Maik Söhler) Wenn Essen der Sex des fortschreitenden Alters ist, dann ist das China-Buffett das Rauchen des Ex-Rauchers.

Die Aktion war natürlich nicht Fressgier geschuldet oder hohlem Hedonismus, Gott behüte, sondern hatte einen todernsten Hintergrund. Es ging um Forschung. Der Laden zählte einst zu meinen bevorzugten China-Restaurants, doch seitdem dort ein neuer Inhaber sein strenges Szepter schwingt, soll die Qualität sehr nachgelassen haben. Derartiges Hörensagen verlangte daher nach gründlicher Überprüfung. Und weil das halbwegs empirisch vonstatten gehen sollte, musste ich mich halt systematisch durchfuttern. Was tut man nicht alles im Dienste der Wissenschaft!

Und, wie war es nun?

China gilt ja gemeinhin als Land mit einer Esskultur, die derart hoch verfeinert ist, dass sie sogar den alten Römern den blanken Neid ins Mienenspiel graviert hätte. Daher bin ich überzeugt, dass sofort ein eisiger Wind durch die diplomatischen Beziehungen wehte, wenn man in chinesischen Regierungskreisen wirklich wüsste, was hierzulande so als chinesisches Essen verkauft wird. Die Geschichte lehrt, dass bewaffnete Konflikte schon aus weit geringeren Anlässen vom Zaun gebrochen wurden.

Das meiste des Dargebotenen gab einem Verdacht neue Nahrung, den ich schon länger mit mir herumschleppe. Ich glaube, die China-Restaurants des Landes bekommen alle Gerichte vom Grossisten gekühlt und vakuumiert fix und fertig in diesen Metallwannen geliefert, schieben sie noch für 20 Minuten in den Konvektomaten und retournieren dann nach getanem Verzehr die leeren und gereinigten Wannen wie Europaletten. Was kann man auch erwarten für 7,90 €? Darin sind 19 % MWSt enthalten, bleiben also 6,64 €. Geteilt durch drei ergibt das einen Wareneinsatz von 2,21 €. An dieser Stelle kann man spekulieren, wie viel beim nicht eben spärlichen Personal übrig bleiben kann.

Sein Essen fotografiert. Noch ein Grund zum Schuldigfühlen.
Hähnchenleber mag ich, wie überhaupt Innereien. Nose to tail, Baby! Natürlich weiß jeder Gastronom, dass alles, was von den eierlegenden gefiederten Salmonellenmutterschiffen kommt, gründlich durchzugaren ist. Nur soll es zwischen 'durchgaren' und 'zu Holzkohle verschrumpeln lassen' noch die eine oder andere Zwischenstufe geben. Hier haben sie sich für das zweite entschieden.

Der Backfisch dagegen hätte jedem niederländischen Fischhöker zur Ehre gereicht. Außen zartkross, innen fluffig. Vier solcher Stücke mit Remoulade im Pappschälchen habe ich als Kibbeling schon in weit schlechterer Qualität für deutlich mehr Geld angedreht bekommen als das Buffet hier kostet. Zusammen mit den ebenfalls gereichten Pommes frites ließe sich eine schöne Fish and chips-Orgie veranstalten, vorausgesetzt, man kommt ohne Mushy Peas und den unverzichtbaren Malt vinegar aus. Ob das noch was mit chinesischer Küche zu tun hat? Egal. 7,90 und so.




Was Einrichtung und Deko angeht, ist der Laden der gleiche geblieben. Vintage. Brauner Teppichboden, Lampion-Lampen, Chinoiserie an den Wänden und exakt die gleiche Musik laufen wie vor 20 Jahren. Und eine handgeschriebene Rechnung, kein Bon. Hat Seltenheitswert inzwischen, hätte ich als Andenken mitnehmen sollen.


Frittierten Tofu haben sie auch. Mit Sprossen und Paprika. Schau an, können sich also auch Veganer hier hemmungslos den Vanst vollschlagen, ohne sich allein an Gemüse mit Reis halten zu müssen.

Und hinterher fühlst du dich schlecht. Weil du bis in den späten Abend pappsatt sein wirst. Weil du mit Gier und Völlerei gleich zwei von sieben Todsünden begangen hast (wenn Billigfleisch futtern neuerdings auch eine ist, sogar drei). Weil du innerhalb einer Dreiviertelstunde mehr Chemie und Geschmacksverstärker eingepfiffen haben dürftest als sonst in drei Monaten. Und weil du mit dem lächerlich niedrigen Preis, den du dafür entrichtet hast, ein ausbeuterisches System am Kacken hältst. Was Schuldgefühle angeht, kann der Sex des Alters mit dem der Jugend, so in religiösem Kontext vor- bzw. außerehelich praktiziert, also durchaus mithalten. Konsequenterweise kasteite ich mich direkt danach mit einer Runde auf dem Fahrrad in die Nachbarstadt. Ohne Helm. Wenn Rock 'n' Roll, dann richtig.





2 Kommentare :

  1. Der Geschmacksverstärker Glutamat, der in keinem chinesischen Essen fehlen darf, soll bei häufiger Einnahme angeblich zum Tod führen – das könnte freilich erklären, warum die Chinesen bekanntlich so akut vom Aussterben bedroht sind ;)

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    1. In einem ehemaligen Asia-Laden hier führten sie ganz hinten in der Ecke kristallines Mononatriumglutamat im 1- oder 2-Kilo-Sack. Fand ich konsequent. Warum auch den Umweg über Soja- oder Austernsauce nehmen?
      Und das mit dem Aussterben? Nun ja, die Ein-Kind-Politik hat sich ja auch als durchschlagender Erfolg erwiesen.

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