Montag, 25. November 2019

Been there, did that


Ein weiteren Eintrag abgehakt, der sich vermutlich auf irgendeiner dieser diese Wichtigtuer-Listen findet mit den tausend Dingen, die man angeblich unbedingt erledigt haben muss als hipper Individualistendödel, bevor man abkratzt, will man nicht überall unten durch sein (Nr. 15: Auf der Toilette des angesagtesten Clubs in London Sex mit Wildfremden haben - Nr. 344: Silvester auf dem Times Square - Nr. 449: Auf dem Eiffelturm eine Dosis Nasenata reinziehen - Nr. 941: Bei Sonnenuntergang am Hafen von Manila Street Food mampfen, zusammen mit Ihren gleichermaßen sagenhaft erfolgreichen und zu Tode gelangweilten Sackgesicht-Freunden, die auch alle nicht arbeiten müssen und nicht wissen, wohin mit ihrer Kohle). 

Nun also Nr. 998: Livepublikum und Klatschvieh bei einer Fernsehaufzeichnung sein. War ich noch nicht.

Der liebe Th. hatte angeregt, sich live, vor Ort und in Farbe anzusehen, wie die WDR-Sendung 'Der beste Chor im Westen' entsteht. Und da das nicht nur sehr bezahlbar war, sondern auch im nahegelegenen Essen stattfinden sollte -- warum nicht? Man lebt nur einmal.

'Grand Hall Zollverein', so nannte der Ort des Geschehens sich. Eine große Event-Halle auf dem Gelände des UNESCO-Weltkulturerbes Zeche/Kokerei Zollverein mit allem Schnickschnack und noch mehr in reviertypischer Ranzoptik.





Und, wie war es so? War ja alles neu für mich. Terra incognita. Man befand sich inmitten von: a) Fanclubs der teilnehmenden Chöre in selbstbedruckten T-Shirts und mit selbstbemalten Texttafeln aller Art und b) Aufzeichnungsveteranen, die ihre Erlebnisse zum besten gaben wie einst Opa seine Heldentaten an der Ostfront ("Also, bei 'Bärbel Schäfer' damals haben wir alle eine Übernachtung mit Vollpension bekommen und frei essen und trinken...", "Datt iss noch gannix, ich war mal bei 'Deutschland sucht den Supastar', da..."). Ferner wurde von einem erwartet, dass man andauernd klatschte und schier ausflippte vor Begeisterung. Nicht so meins. Alles in allem aber durchaus kurzweilig, trotz insgesamt drei Stunden Dauer. Kann man mal machen. Und die teilnehmenden Chöre waren allesamt schon ziemlich top, haben sich aber z.T. leider bei der Musikauswahl vergriffen.





Was habe ich noch so mitgenommen? Das:

  • Der Kinder- und Jugendchor Theater Bonn ist ein Monster.
  • Männergesangsvereine können auch verdammt cool sein.
  • Es ist technisch möglich, eine riesige Halle mit über 1.000 Zuschauern plus allen übrigen Mitwirkenden darin so zu klimatisieren, dass es die gesamte Dauer über jederzeit angenehm ist.
  • O-Töne sammelnde Reporterinnen können unfassbar aufgesetzt lächeln.
  • Wenn ich auf Kommando klatschen und/oder jubeln soll, verspüre ich noch immer sofort einen Widerwillen. Hat für mich was von Reichsparteitag oder Nordkorea.
  • Ich kann meinen nicht vorhandenen Kindern und Kindeskindern nunmehr erzählen, Beatrice Egli von weitem gesehen zu haben.

Das ist doch schon was. War noch was? Ja. Das ganze Konzept mit dem Weltkulturerbe erschließt sich mir nicht mehr. Dazu muss man wissen, dass ich Ende des vorigen Jahrtausends auf der damals frisch erschlossenen Kokerei Zollverein zwecks Studienfinanzierung als Ausstellungsaufsicht gearbeitet habe und von mir behaupten kann, das Gelände wirklich gut zu kennen.

Inzwischen finde ich mich kaum mehr zurecht. Was aber nicht an mir bzw. beginnender Tüdligkeit liegt, sondern an diversesten Baumaßnahmen. Überall wird gebaut, umgebaut, weggerissen, neugebaut etc. Man verstehe mich nicht falsch, ich bin nicht gegen Veränderungen und Neues. Jedes bisschen davon ist hier im Ruhrpott hochwillkommen. Nur wird anderen Welterbestätten schon mit Entzug des Welterbestatus gedroht, wenn in der Gegend ein unpassendes Hochhaus in Planung ist (Köln), wenn er nicht gar wegen einer blöden Brücke ganz entzogen wird (Dresden/Elbtal). Auf dem Welterbe Zeche und Kokerei Zollverein hingegen wird gebaggert, eingerissen, es werden Parkhäuser in die Gegend gesetzt wie nicht gescheit und keinen UNESCO-Großkopferten scheint das zu stören.

Muss man wahrscheinlich auch nicht verstehen.




7 Kommentare :

  1. Naja, ich war ja noch nicht so oft im Ruhrgebiet, aber zumindest meine fast jährlichen Besuche in Oberhausen zur ORR führen mich nahezu geradlinig zu der Vermutung, dass nahezu jede Bautätigkeit unterhalb der Einrichtung eines Tagebaureviers die Hinterlassenschaften ruhrtypischer Industriekultur erträglicher zu gestalten verspricht.
    Ob dieses Versprechen zu halten ist und ob ich vielleicht auch nur so ein naturversessener Spucker aus dem Südwesten bin, möchte ich gar nicht entscheiden.

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  2. Alle Reiseführer u.ä., die im Titel ein "muss" enthalten, sind mir zutiefst unsympatisch. In meiner Freizeit und insbesondere auf Reisen muss ich gar nichts. Ich meide die sogenannten angesagten Orte sogar oft, weil sich meist auch viele andere tolle Dinge entdecken lassen, ohne von Horden von Instagram- und Facebook-Opfern belästigt zu werden, die unbedingt das 10 Millionste "ich war auch hier" Foto schießen müssen.

    Und was meinst du eigentlich mit "Der Bonner Theaterchor ist ein Monster"?

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    1. Das war nur Einer. Aber mit extrem tiefer Stimme.

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    2. Nope, es heißt, dass das einfach ein monströs guter Chor ist.

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