Samstag, 15. Februar 2020

Links, rechts, Hufeisen


"Die DDR und die Sowjetunion sind Schnee von vorgestern, und dabei sollte es auch bleiben. [...] Die Gräuel des Staatssozialismus des 20. Jahrhunderts sollten nicht dafür missbraucht werden, jede Kritik an den Problemen des heutigen Kapitalismus zum Verstummen zu bringen." (Kristen Ghodsee)

Groß ist ja seit dem Tag von Erfurt im bourgeoisen Preßwesen auch das Erstaunen darüber, dass die hirnlose Hufeisentheorie vielleicht doch nicht so das hammermäßige politische Universal-Welterklärungsmodell ist, so alles in allem. Wenn auch zähneknirschend muss man sich eingestehen, dass ein Bodo Ramelow, obschon Mitglied der Linken, während seiner Amtszeit nachweislich anderes im Schilde führte als Gulags und Mauern errichten, rote Fahnen hissen, Landwirtschaft kollektivieren, Staatsfeinde liquidieren, Geheimpolizeien aufbauen, Bürger in hässliche blaue Hemden zwingen oder gar, Horror of Horrors des deutschen Bildungsbürgers, das Gymnasium abzuschaffen.

Mehr noch: Obschon den Begriff dauernd im Munde führend, stehen nicht wenige jetzt plötzlich vor der Frage, was das eigentlich genau ist, dieses 'links'. Kein Problem. Lässt sich in seinen Grundzügen in vier relativ kurzen Sätzen umreißen. Links zu sein bedeutet:

1. Ein grundsätzlich humanistisches Menschenbild zu haben.
2. Ausbeutung und Unterdrückung nicht für natur- oder gottgegeben zu halten, sondern für menschengemacht (und daher zu ändern, wenn nicht abzuschaffen).
3. Kapitalismus nicht für die Lösung, sondern für die Ursache ziemlich vieler Probleme sowie
4. ein besseres Leben für machbar zu halten (wenn schon nicht für alle, dann zumindest für deutlich mehr als gemeinhin behauptet wird).

Das ist schon alles. Also im Wesentlichen. Hat doch gar nicht weh getan, oder? Nicht dafür.

(Was man dann konkret daraus macht, ist natürlich noch einmal eine ganz andere Frage. Über die Linke sich - Volksfront von Judäa! - von jeher die Köpfe heißzudiskutieren pflegen, derweil der Rest der Welt, halb amüsiert, halb abgeschreckt, das Popcorn kalt- und die Getränke warmstellt. Dass man Linkssein so vergleichsweise einfach umreißen kann, bedeutet keineswegs, dass es auch in der Praxis einfach wäre. Und wer auch immer erzählt, es sei total schwierig und kompliziert zu definieren, was links sei, oder dass es links und rechts ja quasi gar nicht mehr gäbe, tut das mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aus einem ganz bestimmten Grund.)

Selbstredend gibt es weitere Anmerkungen. Etwa, dass das Gesamtpaket entscheidend und es Augenwischerei ist, sich bloß was passendes rauszupicken. So gibt es nicht wenige Rechte, die sich als Antikapitalisten gerieren, meist weil sie die alte antisemitische Schnurre vom jüdischen Finanzkapital Gassi führen, oder behaupten, sie seien ja quasi auch Sozialisten, weil sie schließlich für eine solidarische Volksgemeinschaft einträten. Ist aber Quatsch, weil Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus sich eben nicht so dolle mit einen universalistischen humanistischen Menschenbild vertragen.

Dann wäre da noch die Frage, was eigentlich der Unterschied ist zwischen Links und Rechts. Darüber kann man natürlich massig laufende Regalmeter an politischer Theorie wälzen, aber ich fühle mich langsam zu alt für den Scheiß. Behelfen wir uns also. Letztlich läuft es darauf hinaus, was der Soziologe Ahmin Nasseni mal im brieflichen Dialog mit dem Dickdenker von Schnellroda meinte: Reduziere man beides auf seinen Kern, dann bliebe übrig, dass links prinzipiell inklusiv sei, rechts hingegen exklusiv. Das bedeutet, rechte Regimes müssen zwangsläufig irgendwann definieren, wer dazugehört und wer nicht. Tun sie das auf Basis der ethnischen Zugehörigkeit, bringt sie das früher oder später zu irgendeiner Variante der Nürnberger Rassegesetze.

Auch das ist nicht wirklich schwierig zu begreifen. Sollte eigentlich keinen durchschnittlich begabten Mitteleuropäer überfordern. Erst recht nicht diejenigen, die für sich in Anspruch nehmen, von ihren Redaktionsstuben aus die Welt zu erklären. Muss man vielleicht auch verstehen. Journalist wird man heute ja vornehmlich bzw. hat einen nur noch schwer aufzuholenden Startvorteil, wenn man aus privilegiertem bürgerlichen Hause kommt, das bereit und in der Lage ist, den Sprösslingen auch nach Eintritt ins Erwachsenenalter ein Leben zwischen lachhaften Honoraren und unbezahlten bzw. kaum bezahlten Praktika finanziell zu ermöglichen. Solche Milieus, in denen man zudem dazu neigt, den Wert von Bildung allein an deren wirtschaftlicher Verwertbarkeit zu bemessen, waren von jeher ein idealer Nährboden für den Extremismus der Mitte.  

Übrigens: Hätten Sie's gewusst? Hufeisen galten einst als Glücksbringer und wurden gern über dem Türsturz angebracht. Von wo aus sie nicht selten arglosen Glückssuchenden schmerzhaft aufs Haupt fielen.





9 Kommentare :

  1. Die Ideologie der "Mitte" ist die Trutzburg der Bonner Altparteien, die ihren eigenen Verfall zum Untergang der Demokratie verklären wollen. Veränderung kommt selten aus dem Zentrum der Macht, sondern von ihrer Peripherie. Wer herrscht, der möchte, dass alles so bleibt wie es ist. Wer beherrscht wird, möchte die Herrschaftsverhältnisse ändern. Hier stehen links und rechts im unmittelbaren Konkurrenzkampf. Ihre Ziele könnten nicht unterschiedlicher sein.

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  2. "Links zu sein bedeutet:..."

    Das klingt alles so merkwürdig verdruckst, so unentschlossen.

    Ein humanistisches Weltbild zu haben was bedeutet das eigentlich? Doch wohl nicht mehr, dass man den Menschen als Mensch erkennt, ihn so wahrnimmt, wie er sich als Mensch eben präsentiert im negativen wie im positiven Sinne.

    "Ausbeutung und Unterdrückung nicht für natur-oder gottgegeben zu halten, sondern für menschengemacht..."
    Ausbeutung von Menschen durch den Menschen hat es wohl immer schon gegeben. Die Differrenz zu vorkapitalistischen Gesellschaften besteht eben darin, dass sie sich in der bürgerlichen Gesellschaft in der Lohnarbeit als allgemeine, ausschliessliche Reproduktionsform durchgesetzt hat.

    Kapitalismus ist sowohl Ursache als auch Hoffnung für die Lösung der selbst verursachten Probleme auf seinen eigenen Grundlagen (Transformation der Gesellschaft in einem "New Green Deal".

    " ein besseres Leben für machbar zu halten (wenn schon nicht für alle, dann zumindest für deutlich mehr als gemeinhin behauptet wird)."

    Das ist ja ein ganz aufschlussreicher Satz, der für mich nicht nur anschlussfähig ist, sondern eigentlich nur das linke Dilemma wiederholt, das nicht zwischen ökonomischer Basis und staatlicher Ebene unterscheiden kann.

    Der Unterschied zwischen Links und Rechts lässt sich inzwischen noch nicht einmal mehr an dem Diktum vom Karl Marx entfalten
    "…alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist."



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  3. Es gibt mehr als ein humanistisches Menschenbild. Bzw., es gibt mehr als ein Menschenbild, was von seinen Vertretern (m/w/d) als humanistisch bezeichnet wird.

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  4. Für mich bedeutet links auch die Abschaffung des Eigentums an Produktionsmitteln und die Auflösung des Widerspruchs zwischen Arbeit und Vergnügen nebst einem Ende des Arbeitszwangs. Ich halte es da außerdem noch immer mit der Theorie der Triple Opression, die die Abschaffung der drei Unterdrückungsformen "Sexismus, Rassismus und Kapitalismus" thematisiert. Links zu sein schließt für mich auch die Ablehnung eines anthropozentrichen Welt- und Menschenbildes ein.

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    1. @altautonomer,

      ich habe es inzwischen nicht mehr so eilig mit einem Bekenntnis zu einer imaginären Linken, eher damit zu ihr auf Distanz zu gehen.

      Was soll ein Mensch, der dem Opportunismus der Parteilinken seit Jahrzehnten ausgesetzt war, noch anderes aufbringen als Resignation.

      Mehr als das, erscheint mir schon als übermenschlicher Willensakt, den ich nicht mehr aufzubringen vermag.

      Und diese zahlreichen Beschwörungen, wie das Sterben der Linken noch aufzuhalten sein könnte, hat diesen Charme wie das Rufen nach Regen in der Wüste.

      Inzwischen kommt mir das so vor, wie auf seiner eigenen Beerdigung anwesend sein zu müssen.

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  5. Zwei Praktikanten von Bonetti Media erklären den Kapitalismus und den Kampf der Arbeiterklasse:

    https://www.youtube.com/watch?v=I48I-HqqkdA

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  6. Na, - neben den großen Weltformeln und sonstigen terminologischen Kriegen, kann man hierzülande das Ding mit links und rechts, auch mal ganz pragmatisch einfach an der Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberorientiertheit fest machen, (sind doch alles so Ökonomen), und man hat bereits schon beim links- oder rechtsliberal, recht offensichtliche Seltsamkeiten. Jüngst las ich übrigens in einer Gazette, nach dem Thüringischen Debakel, dass die FDP gar nicht liberal ist, bzw. lediglich wirtschaftsliberal und dies Arbeitgeber-orientiert. Irre, (was reden wir Linken eigentlich seit jetzt über fuffzehn Jahren ?), dass so was immer erst auffallen muss, wenn die noch extremere Variante des Gleichen anklopft. Was soll's? Wenn jetzt noch die mediale Weisheit käme, dass sich einst linksliberal nennende Gemüter mit einer Agenda zum vollkommen simplen Rechtsliberalismus hin wendeten, und das immer noch nicht zugeben können, könnte man fast ein paar entwicklungsbedingt narrative Zusammenhänge vermuten. Das Hufeisen indes, sehe ich größer, als wie ausschließlich über der Tür der christlichen Händlerseele hängend. Wenn man sich z.B. so was wie eine gegenaufklärerische Querfront im Hufeisen vorstellen und auch sichten kann, bzw. nicht schön redet, - dass sie genauso übersehen hat, wo die reale quantitative Last liegt, bekommt das einen ganz eigenen bizarren Charme.

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  7. Man kann z.B. Politik machen für Arbeiter und Angestellte in Deutschland oder für deutsche Arbeiter und Angestellte (generisches Maskulinum.
    Man kann auch Vereinen wie dem Weltwirtschaftsforum auf den Leim gehen und den neoliberalen feuchten Traum einer weltweit flexibel verfügbaren Armee von Arbeitskräften (grenzenlose Arbeitsmigration) verwechseln mit dem humanitären Gebot, Menschen in Not zu helfen.
    Und so lange wie wir keine kommunitaristische Linke in Deutschland haben, werden sich auf diesem Feld die Nazis breitmachen.

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  8. Linke neigen dazu, ihre dunklen Seiten zu unterschätzen. Es gibt einen linken Faschismus, der dem rechten in Nichts nachsteht und der sogar gefährlicher, weil meist unerkannt ist. Auswüchse wie Stalinismus, Maoismus oder die heutige Idenditätspolitik werden meist als Ausrutscher betrachtet, sind aber bereits nachhaltig im Denken eines Teils der Linken angelegt.
    Die dunkle Seite der Linken wird dann gerne mißbraucht, um die Gesamtlinke zu diskreditieren, wobei völlig ausgeblendet wird, daß auch alle anderen Strömungen ihre dunkle Seite haben- Rechtskonservative sind oft extrem intolerant, in der Sozialdemokratie gibt es eine stockfinstere kulturelle Seite, für die der Begriff "mittelalterlich" noch einen Euphemismus darstellt, die Ökobewegung hat eine äußerst reaktionäre Seite, und, siehe unsere Zeit, selbst der Liberalismus kann sich ziemlich faschistisch gebärden.
    Nicht die pöhsen Linken sind an allem schuld, bedenkliche Denkweisen ziehen sich quer durch alle Richtungen, mit dem Neoliberalismus als übergeordnetem Sammelbecken.

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