Nicht immer Kritisches über Politik, Gesellschaft, Medien, Kultur, Essen und manchmal auch Sport
Samstag, 22. Februar 2020
Tatäh!
Karneval ist Außenstehenden wie mir mitunter schwer zu vermitteln. Ein ehemaliger Arbeitskollege, der eine Zeitlang für die Colonia-Versicherung in Köln tätig war, erzählte mal, wie er auf eine Veranstaltung in einen öden Gemeindesaal in einem öden Vorort mitgeschleppt worden war. Als irgendwann dieser als Jungfrau verkleidete Mann in Begleitung von fünf dieser Zinnsoldaten reinmarschiert kam, sei der Saal förmlich explodiert. Alles habe sich selig schunkelnd in den Armen gelegen, teils mit Tränen in den Augen. Und er so: Hä? Hab ich was verpasst? Wäre mir vermutlich ähnlich gegangen.
In diesen Tagen bekommt man ja oft den Eindruck vermittelt, janz Kölle versönke kollektiv im Karnevalstaumel. Ist aber nicht so. Abgesehen von denen, die aus beruflichen Gründen nicht mittun können beim allgemeinen Ausrasten wie Feuerwehr, Polizei, Müllabfuhr, Klinikpersonal etc., gab und gibt es auch in dieser ultimativen Hochburg des Frohsinns immer welche, die sich verweigern.
Zu den einigermaßen Prominenteren gehört der alte BAP-Knöterich Wolfgang Niedecken, der Anfang der Achtziger viele Nicht-Kölner mit dem Bekenntnis überraschte, sich an Karneval regelmäßig vom Acker zu machen. Mein früherer Biolehrer war gebürtiger Kölner, redete mit uns kölsches Idiom und wohnte damals zwischen Rheinufer und St. Kunibert. Regelmäßig schwärmte er uns von seiner Heimatstadt vor. An den fünf tollen Tagen im Jahr war das anders. Da verschwanden er und seine Frau immer zu Freunden in eine sehr humorlose Ecke Westfalens. Auf meine Frage hin, wieso er nicht einfach zu Hause bliebe, meinte er mal: "Näh Jung', die pisse un kotze de Einjang voll, die vöjeln im Treppehus erömm, datt hälste escht nit uss."
Auch als Nichtaktiver lerne ich ja gerne dazu. Dass etwa, wie Alina Schwermer zu berichten weiß, auch in Köln die Heimkehrer und die Auswärtigen die viel ärgeren Jecken als die Endemsichen sind:
"Schon lange fällt mir auf, dass wir dieses Karnevalsgedöns ernster nehmen als die anderen, die richtigen, daheimgebliebenen Kölner. Die, die nie in die Welt gezogen sind. Es ist so eine Art Erdoğan-Syndrom. Nicht verwunderlich, dass der türkische Autokrat unter wählenden Deutschtürken mehr Zustimmung bekommt als in der Heimat. Neben zehntausend klugen demografischen Gründen, die es dafür gibt, entwickeln Ausgewanderte ebendiesen sehnsüchtigen Patriotismus, diese mentale Trachten-Ding, halbblind. Sie erleben Heimat, oder das, was sie dafür halten, ja nur aus der Ferne. Wie es von nahem aussieht, wollen sie auch gar nicht so genau wissen.
Unter Exilkölnern gibt es viele Karnevals-Erdoğanisten. Sie schreiben in den Medien Elogen auf die Heimat und die kölsche Kultur, höchstens nur ein kleines bisschen ironisch. Sie planen spätestens ab Oktober das Kostüm für die Session; den Daheimgebliebenen fällt am Vorabend ein, was morgen für ein Datum ist, und sie holen das Kostüm vom letzten Jahr aus dem Keller, so wie im vorletzten Jahr."
Soso, interessant. Eigentlich ist es ja sympathisch, wenn Menschen es krachen lassen, aus sich rausgehen, einfach einen draufmachen. Nur dieses Kollektive und Massenhafte törnt halt ab. In diesem Sinne: Helau, Alaaf und ohne mich.
5 Kommentare :
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Kommentare zum Post
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Ich nenne die sogenannten tollen Tage "das kalendarische Humordiktat"!
AntwortenLöschenWie die massenhafte Teilnahme an den Zügen und überhaupt in den Kneipen und den Veranstaltungen ja eindrucksvoll belegen. Könnte ihr nicht einfach die Leute feiern lassen und eure Bewertungen stecken lassen. Hören will das nämlich von uns keiner! Ein Rheinländer, der heute (66) auch nicht mehr so viel fürs Feiern übrig hat. Aber das hat nicht den Grund, dass er mich abgetörnt hätte. Man wird halt im Laufe der Jahre ruhiger. Trotzdem wünsche ich allen Jecken viel Spaß. Trotz solcher Miesmacher wie Ihnen.
AntwortenLöschenKleine Anekdote über einen Feind des Karneval aus Hamburg. Er kam nach Köln um Weiberfastnacht zu feiern. Er dachte, die Mädels, die ja eigentlich zum Antatschen "einladen", anbaggern und "was" erleben. Nun, er hat was aufs Maul gekriegt. Seitdem ist er ein Feind des Karnevals.
Hey, erzählen Sie mir bitte noch mal, was ich gefälligst zu schreiben habe und was nicht! Da stehe ich so richtig drauf. Ach so, wenn Sie schreiben "Hören [besser: lesen???] will das nämlich von uns keiner!" - woher nehmen Sie ihre Weisheit?
LöschenWas ist Karneval?
AntwortenLöschenab 36:49
https://www.youtube.com/watch?v=CFx-eJ7bjgI
Gruß aus Berlin ;D
Hetzer im Kalten Krieg: ich kotze im Strahl!
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