Sonntag, 2. Februar 2020

Peripherie


Die auch durch mein Heimatsprengel führende Autobahn 2 trägt hier den inoffiziellen Namen 'Warschauer Allee'. Ein Teilstück davon, das zwischen dem Kreuz Oberhausen und der Ausfahrt Hamm-Uentrop nämlich, könnte man auch, analog zur 'Romantischen Straße' oder zur 'Deutschen Alpenstraße', problemlos in 'Deutsche Kohlekraftwerksstraße' umbenennen. An den Gestaden von Rhein-Herne- und Datteln-Hamm-Kanal liegt dort wie an einer Perlenschnur ein kohlegefeuerter Meiler neben dem anderen. Da denkt man sich als Hiesiger zuweilen: Wieso eigentlich das ganze Aufhebens um dieses Dattelner Kraftwerk? Darauf kommt es nun wirklich nicht mehr an. Und der Rest der Republik so: Datteln? Sind das nicht diese picksüßen Gnubbel, die man im Supermarkt bekommt?

Gut möglich, dass man im Dattelner Rathaus schon überlegt, Luisa Neubauer zur Ehrenbürgerin zu machen. So viel überregionale Publicity wie durch das Schandkraftwerk (das wohl nie hätte gebaut werden dürfen) und den Protest dagegen dürfte dies verschlafene, von der Welt vergessene Nest am allernördlichsten Rand des Ruhrgebiets nämlich noch nie gehabt haben. Vorausgesetzt, die Einwohner sind zwischendurch aus ihrem Dauerkoma erwacht. Anders lässt diese Stadt sich nämlich kaum ertragen. Ein harter Brocken für Stadtmarketing-Experten.

Ach so, ja. Größtes Kanalkreuz der Welt. Wie konnte ich das übersehen?

Vor Jahren hatte mich einmal ein dort lebender damaliger Arbeitskollege gebeten, ihm bei einer Bewerbung zu helfen. Ich tat erfolgreich so. Als Dankeschön wollte er mir einen ausgeben. Da er noch von den Folgen eines Motorradunfalls rekonvaleszierte, machte ich mich eines schönen Sommerabends auf nach Datteln. Wir trafen uns inmitten einer erlesenen Scheußlichkeit namens Busbahnhof, den skrupellose Stadtplaner wohl mit dem Ansiedeln diverser Läden versucht hatten, ein wenig aufzuwerten. Ohne Erfolg. Meine Frage, wo sich denn hier 1-2 Bierchen nehmen ließen, brachte ihn in echte Erklärungsnot. Wir landeten schließlich in einer Eisdiele, die auch Weizenbier auf der Karte führte. Party hard!

Wie fast alle, die das irgendwie können, ist er längst weggezogen. Die Jüngeren ziehen in größere Städte oder gleich in eine der nahegelegenen schmuckeren Münsterländer Kleinstädte. Es gibt Städte in der Gegend, die sind auch verschlafen, doch dabei durchaus hübsch und ansehnlich, dann gibt es welche wie Wulfen-Barkenberg und Marl, die man in grenzenlosem Optimismus in den Sechzigern auf die Grüne Wiese geklotzt hat und die immerhin konsequent hässlich sind. Datteln aber ist nichts davon. Man fährt durch und denkt: War das da gerade eine Stadt?

Das klingt gehässiger als es gemeint ist. Es ist auch weniger die Optik. Die ist woanders auch nicht immer schön. Wer die Kölner Innenstadt kennt, jenes Paradebeispiel dafür, wie man eine im Krieg zerbombte Stadt nicht wiederaufbauen sollte, weiß, wo der Frosch die diesbezüglichen Locken hat. Nein, es ist diese Tristesse. Das Abgeschnittensein. (Der Schnellbus, der 30 Minuten bis in die Kreisstadt braucht, fährt tagsüber einmal pro Stunde, nachts nicht. Eine Anbindung an das S-Bahn-Netz wäre technisch möglich und wird seit vielen Jahren diskutiert. Ohne Erfolg.) Dieses spürbare Wissen darum, dass man am Arsch ist und es kaum Aussicht auf Besserung gibt.

"Die Randzonen, vor allem im Norden des Ruhrgebiets, werden die Leidtragenden sein. Sie werden zu mies angebundenen Vororten mit wenig attraktiven Jobs ohne Universitäten und mit nur wenigen Hochschulplätzen verkommen. Auf die Solidarität der Städte im Zentrum werden sie sich nicht verlassen können. Das Ruhrgebiet wird in wenigen Jahrzehnten nicht mehr existieren." (Stefan Laurin)

Sie können ja nicht wirklich was dafür in Datteln. Also nicht mehr als woanders. Außer dass sie sich vielleicht ein wenig zu lange darauf verlassen haben, dass das mit dem Kohleausbuddeln irgendwie weitergehen wird. Sich wie in vielen Ruhrgebietsstädten an ihre kleine Welt aus Pütt, Kneipe, Konsum, Kegelclub und SPD-Ortsverein geklammert. Gehofft haben, dass man sie schon nicht fallen lassen wird. Der als 'Ekel von Datteln' zu gewissem literarischem Ruhm gelangte Ex-Bürgermeister Niggemeier kann als typischer Vertreter dieses heimeligen Revierfilzes gelten.

Datteln ist das, was übrigbleibt, wenn der Strukturwandel mit einer Region fertig ist. Hohe Arbeitslosigkeit und eine durch zu viel Geld in besseren Zeiten in die maximale Trostlosigkeit verschandelte Innenstadt. In der es vor allem Leerstand, Nagelstudios und Ein-Euro-Läden gibt. (Was das angeht, ist meine Heimatstadt auch sehr gut unterwegs. Letzte Idee der Stadtoberen: Die leeren Fenster mit Fotofolien aus besseren Zeiten überkleben.)

Verständlich, dass in so einer Stadt das Verständnis für juvenile Kraftwerksgeländebesetzer nicht eben überschäumend ausfällt, Publicity hin oder her. In 20 Jahren oder so, wenn Datteln 4 ein Museum sein wird, was hier in der Gegend nicht unwahrscheinlich wäre, werden sie dann Themenführungen anbieten darüber, wie man damals, Anfang 2020, im Widerstand war.





2 Kommentare :

  1. "Außer dass sie sich vielleicht ein wenig zu lange darauf verlassen haben, dass das mit dem Kohleausbuddeln irgendwie weitergehen wird.Sich wie in vielen Ruhrgebietsstädten an ihre kleine Welt aus Pütt, Kneipe, Konsum, Kegelclub und SPD-Ortsverein geklammert."

    Man könnte sich (nur theoretisch und selbstverständlich rein hypothetisch) auch darüber freuen, dass der ganze kapitalistische Zirkus weiter gezogen ist. Man könnte die ganzen hässlichen Gebäude abreißen und stattdessen Gärten und Parks anlegen. Statt zusammen in einer Kohlegrube zu schuften, zusammen Gemüse und Obst anpflanzen. Statt sich einer Kneipe volllaufen zu lassen, schön eine Gartenparty feiern.
    Aber wenn der Kapitalismus erst mal weg ist, dann fällt den Leuten nichts mehr ein außer dass sie ihn wieder haben wollen mitsamt seinem Dreck, Konsum etc..

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  2. Vielleicht hättet ihr ein Bierchen auf der Dattelner Golfanlage "Jammertal" bekommen? ;-)

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