Montag, 29. Juni 2020

Eins, zwei, Polizei


"Man kann übrigens gleichzeitig gegen den Text und gegen dessen Verbot sein. Möge schlichteren Gemütern der Kopf implodieren." (Robert von Cube)

Weil der 'Social' Media-Pöbel als Reaktion auf diese taz-Kolumne exakt das macht, was er als einziges wirklich beherrscht und gelernt hat im ganzen verpfuschten Leben, beleidigen, Gewalt androhen und einschüchtern nämlich, und zwar nicht nur die Autor*n der Kolumne, habe die taz-Redaktion sich jetzt gezwungen gesehen, Kontakt zur Polizei aufzunehmen und um Unterstützung zu bitten, wie es heißt. Womit sie im übrigen nichts weniger tut als das, was ein verantwortungsvoller Arbeit-/Auftraggeber in so einem Fall zu tun hat.

Und wenn Hengameh Yaghoobifarah tatsächlich Polizeischutz bekäme, dann wäre das natürlich ein echter Treppenwitz. Andererseits aber auch ein schönes Zeichen dafür, dass wir eben nicht in einer Diktatur leben, in der Leistungen und Strafen nach Gesinnungsprüfung oder qua gesundem Volksempfinden verteilt entzogen oder verhängt werden. Und je lauter gewisse Leute fordern, der Autor*n Schutz zu verweigern oder es herbeisehnen, einer der damit betrauten Beamten möge sich doch bitte vergessen im Dienst, desto mehr offenbarte das, was von ihren Bekenntnissen zu Demokratie und Rechtsstaat wirklich zu halten wäre.

Übrigens: Natürlich war früher nicht alles besser, aber ist eigentlich noch jemandem aufgefallen, was für Mimosen und Heulsusen sich da in konservativ/bürgerlichen Kreisen inzwischen tummeln? Ich meine, der typische konservativ/rechte Graue Herr von früher trug panzerartige Anzüge in gedeckten Farben plus Kassenhornbrille und hielt etwas darauf, sich absolut nichts anmerken, alles an sich abtropfen zu lassen. Emotionalität war was für Pussies.

Wäre Helmut Schmidt auf die Kolumne angesprochen worden, dann hätte er vermutlich zwischen zwei Zügen an der Mentholfluppe ohne aufzusehen gefragt: "Wer? Yoghurt? Bedaure, diese [kurze Pause] Yournalistin ist mir nicht bekannt." Und weiter hinter dem Qualmvorhang in den Akten geblättert (und damit mehr gesagt als Horst Seehofer in einer halbstündigen Presseerklärung). Helmut Kohl hätte gefragt, was diese Tatz eigentlich genau sei und ob man das essen könnte. Und Gerhard Schröder hätte im Vorbeigehen wohl was von "Gedöns" gebrammt (und Otto Schily beauftragt, härtere Gangart zu fordern). Einzig Franz-Josef-Strauß hätte sich in eine fünfzehnminütige Schimpfkanonade über Moskaus Fünfte Kolonne hineingesteigert, die allerdings so maßlos und aberwitzig gewesen wäre, dass kaum einer sie ernstgenommen hätte.

Inzwischen aber, man muss es leider konstatieren, hat das konservative/rechte/bürgerliche Establishment exakt jene Schneeflöckchenattitüde kultiviert, die es anderen immer zum Vorwurf macht. Buhuuu, ich wurde traumatisiert! Gefühle wurden verletzt! Wie kann man so gemein sein? Wo ist sie hin, die Kunst des coolen Abbügelns und lässigen Gar nicht Ignorierens?

Ach so, noch ein Gedanke, eigentlich mehr eine freie Assoziation. Doch wie sagte Umberto Eco sinngemäß: Texte sind Maschinen zur Erzeugung von Interpretationen, auf die man als Autor keinen Einfluss mehr hat. Könnte es sein, frage ich mich, dass die Müll-Metapher doch nicht so abwegig und inhuman ist wie fast einhellig propagiert, sondern, vielleicht ungewollt, einen empfindlichen Punkt berührte (was die Heftigkeit der Reaktionen auch erklären würde)? Zumal in einem Land mit ausgeprägten, durchaus noch wahrnehmbaren obrigkeitlich-autoritären Traditionen?

Polizeibehörden sind nicht nur dazu da, die herrschende Ordnung aufrechtzuerhalten, sondern auch, damit sie sich möglichst professionell derjenigen annehmen, mit denen der brave Bürger lieber nichts zu tun haben will und die bitte in ihren Milieus bleiben sollen. Diebe, Räuber, Halbseidene, Gewalttäter, Betrüger, Mörder, Sexualstraftäter etc. In Teilen diejenigen also, die vom braven Bürger gern mal mehr oder minder explizit in die Nähe menschlichen Abfalls gestellt werden und die, je nach Schwere der Tat, bitte möglichst lang in hinter Schloss und Riegel zu entsorgen sind. Wer das überzogen findet oder allzuweit hergeholt, lese sich durch, was in Kommentarspalten losgeht, wenn wieder ein schlimmer Fall von Kindesmissbrauch bekannt wird.

Bei der Online-taz jedenfalls sah man sich auch gezwungen, die Kommentarfunktion bis auf weiteres zu deaktivieren.




4 Kommentare :

  1. Ich habe den Taz-Text bis heute nicht gelesen und frage mich, was hinter dieser offensichtlich von den bürgerlichen Parteien und der bürgerlichen Presse inszenierten Empörung steckt. Es ist ja immer interessant, worüber nicht gesprochen wird. Ich höre Theaterdonner, dichte Nebelschwaden wabern über die Bühne und im Hintergrund schleicht sich Amthor in die Sommerpause.

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    1. Letzteres ist natürlich ein willkommener Nebeneffekt. Spannend an der Sache ist, was gerade wohl innerhalb der taz abgeht. Da stehen die Journalisten alter Schule gegen die jungen identitätspolitisch Durchgeformten.

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  2. Was sind wir für eine komische Gesellschaft geworden, in der jeder souveräne Umgang mit Kritik ebenso fehlt wie das Verständnis für Ironie. Ich habe es immer schon geahnt: viele Menschen nehmen sich wichtiger als ihnen als Teil der Gemeinschaft zusteht. Zurück wohin bewegen wir uns? Mir graust!

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  3. https://www.br.de/kultur/birk-meinhardt-wie-ich-meine-zeitung-verlor-sz-medienkritik-100.html

    Für die Selbstgerechten: Ist dann wahrscheinlich auch so ein "Wutbürger", "Verschwörungstheoretiker", "Konservativer" oder "Rechter"?

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