Donnerstag, 24. Juni 2021

Jenseits der Blogroll - 06/2021

 
Weil es fast alle tun, vorab ein paar Worte zum gestrigen Regenbogenspektakel: Es ist für mich nicht nachvollziehbar, wieso man ernsthaft diskutieren muss über klitzekleine zivilisatorische Selbstverständlichkeiten wie die, dass die LGBTQ-Community nicht per Gesetz benachteiligt werden soll und dass queere Menschen selbstverständlich in einer aufgeklärten Gesellschaft leben können ohne andauernde Angst vor Diskriminierung, Benachteiligung oder Schlimmerem. Wie weit sind wir inzwischen gekommen, wenn welche, die dafür eintreten, sich allen Ernstes Vorwürfe der Hybris anhören müssen? Wie armselig klein müssen Egos sei, wenn welche beim bloßen Anblick einer Regenbogenfahne bereits einen homophoben* Rappel kriegen und aggressiv werden?

*(Ja, ich weiß, eine Phobie ist keine falsche Meinung oder Attitüde, sondern eine psychische Störung, der normalerweise mit rationalen Argumenten nicht beizukommen ist, erst recht nicht mit bunten symbolischen Gesten, sondern nur mit meist langwieriger Therapie. Die meisten, die mit dem Attribut 'homophob' belegt werden, sind nicht psychisch krank, sondern in der Regel bloß Unentspannte und Arschgeigen. Oder beides.)

Wie dumm muss man ferner sein, um nicht zu merken, dass der geliebte Führer Orbán mit seinem macchiavellistischen Anti-LGBTQ-Kulturkampf von seiner innenpolitischen Schwäche ablenken will, Homosexuelle zu Sündenböcken aufbläst, man sich willig zu nützlichen Idioten machen lässt und auch noch glaubt, das geschehe im Namen der Freiheit? Schließlich ist die herablassende Nonchalance von Teilen der Linken mir unverständlich, mit der - haha, nicht links genug! - auf die woken bourgeoisen Zuckerpüppchen herabgeschaut wird.

Wiewohl es sein kann, dass die Regenbogenfraktion sich überwiegend aus pseudolinken kleinbürgerlichen Milieus sich rekrutiert und obwohl im Zusammenhang mit der Aktion man eine Menge Kritisches sagen kann über Scheinheiligkeit, Gratismut und Verfilzung mit dem Kapital, wüsste ich nicht, was es an der Sache im Kern wirklich auszusetzen gäbe. Die ist nämlich ausnahmsweise keine bloße identitätspolitische Überspanntheit, sondern eine durchaus humanistische.

Genug der Vorrede, die Links und Fundstücke:

Politik. Peter Unfried: Warum es keine linke Mehrheit gibt.

"Die Grünen sind nicht »links«, denn genau deshalb sind sie ja zu einer potentiellen Führungskraft geworden, weil sie das zusammenbrechende halblinks vs. halbrechts-Spektrum der alten Bundesrepublik verlassen haben. Weil sie im neuen Spektrum liberal vs. illiberal die klarste Alternative zum autoritären Rechtspopulismus formulieren, so wie das auch Emmanuel Macron in Frankreich getan hat – und so die rechtspopulistische Marine Le Pen in Schach halten konnte, während die frühere Politikachse halblinks vs. halbrechts in der Bedeutungslosigkeit verschwand." (Unfried, a.a.O.)

Bei Apokolokynthose gab es jetzt eine Artikelserie, in der dankenswerterweise das unsägliche revisionistische Machwerk eines gewissen A. Dirk Moses detailliert auseinandergenommen wird. Moses ist Frank Porter Graham Distinguished Professor of Global Human Rights History an der Universität North Carolina in Chapel Hill. Wer jemals mit Wissenschaftlern zu tun hatte, weiß: Je pompöser das Schild auf der Bürotür, desto mehr hat’s einer nötig. Da scheint Moses keine Ausnahme zu sein.

1. Wenn man keine Ahnung hat - 2. Der Katechismus der Deutschen -
3. Die Relativierung der Relativierer - 4. Kolonialismus vs. Holocaust - 5. A. Dirk Moses Nachklapp

Houssam Hamade über Klassismus und die verachtete Unterschicht

Was von Trump übrig bleibt, resümiert Georg Seeßlen.

"Ein beunruhigend großer Teil unserer Mitmenschen scheint entschlossen, Personen, Ideen, Bewegungen zu folgen, die weder rational zu erklären noch moralisch zu rechtfertigen sind. Besonders erschreckend ist das, wenn man Menschen, denen man lange freundschaftlich verbunden war, sozusagen über Nacht an eines dieser antirationalen und antiethischen Milieus verliert. Der Bruch mit der großen Erzählung von Demokratie und Rechtsstaat, Aufklärung und Humanismus, Wirklichkeit und Wissenschaft geht mitten durch die Familien, die Nachbarschaften, die Arbeitswelten, die Vereine. Oft ist dieser Bruch so fundamental, dass es kaum zur Versöhnung kommen kann." (Seeßlen, a.a.O.)

Thomas Fischers regelmäßige Kolumne bei Spiegel online ist zwar leider eingestellt, aber ein Gastbeitrag erscheint wohl noch dann und wann.

Ulli Hannemann über den dußligen Zinnober um Annalena Baerbocks Lebenslauf, auf den nur dünkelhafte Bildungsbürger mit Balken im eigenen Auge wirklich reinfallen können.

Interview mit Arye Sharuz Shalicar, Presseoffizier bei den Israel Defense Forces, über die Lage in Israel nach dem Waffenstillstand

Kultur/Gesellschaft/Gedöns. Stefan Kleiber über das 1990 erschienene Album 'Violator' von Depeche Mode. Die waren für uns damals bloß eine überschätzte, gehypte Teenie-Popband. Das im Jahr zuvor erschienene Livealbum '101' ist dauerhaft untermalt von einer Geräuschkulisse enthemmt kreischender Halbwüchsiger. Konnten wir als soeben nicht mehr Halbwüchsige beim besten Willen nicht ernst nehmen damals. Und so entging uns auch, dass auf 'Violator' zwei Jahrhundertsongs waren, nämlich 'Enjoy The Silence' und 'Personal Jesus'. Merke: Ein Song, der vom späten Johnny Cash des Coverns für würdig erachtet wurde, kann unmöglich wirklich schlecht sein.

Musik. Komponist, Dirigent und Musiklehrer R. Douglas 'Doug' Helvering über 'Forth Of Fifth' von Genesis:


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Sport. Philipp Lahm über modernen Fußball und Trainerphilosophien.

Holger Gertz mit dem obligatorischen Rückblick auf die Panini-Sammelbilder früherer Europameisterschaften. (Augenkrebsgefahr!)

Essen/Trinken/gut leben. Ralf Sotscheck über das 'The Virgin Mary' in Abu Dhabi. Ein nach der alkoholfreien Variante der Bloody Mary benannter 'authentischer' Irish Pub. In dem kein Alkohol ausgeschenkt wird. Sehr authentisch.

"Der Dubliner Schriftsteller Brendan Behan sagte einmal, dass er nur aus zwei Gründen trinke: »Wenn ich Durst habe, und wenn ich keinen Durst habe.« Dieses Prinzip haben sich Generationen von Iren zu eigen gemacht. Behan ist allerdings im Alter von 41 Jahren in der Harbour Lights Bar in Dublin tot umgefallen." (Sotscheck, a.a.O.)

Überhaupt: Jan Stich über den Unfug um 'echtes, authentisches' Essen.

Apropos authentisch - Das Rezept. Oder besser: Eine Annäherung. Wer gedacht hat, Italiener seien die ungeschlagenen Weltmeister darin, einen Riesenzinnober mit dem Essen zu machen, hatte noch nie mit Asiaten zu tun. Egg Fried Rice, im Wok gebratener Reis mit Ei, ist ein vermeintlich simples Gericht, ein Resteessen, das in ganz Ostasien verbreitet ist. In den meisten Haushalten dort ist fast immer kalter Reis vom Vortag übrig, ansonsten braucht man nur Knoblauch, Öl, Ingwer, Chili, Eier, Frühlingszwiebeln und etwas Sojasauce (Shrimps, Huhn oder Tofu sind optional). Trotzdem sind der Fehlerquellen viele.

Das musste auch der wackere Pariser Kochnerd Alex feststellen. So widmete er dem vermeintlich frugalen Alltagsmampf eine ganze Serie, angefangen beim richtigen Wok über die korrekte Rührtechnik bis hin zur richtigen Methode, Reis zu kochen. Viel Spaß beim Nachmachen.

Denn es gibt sehr strenge Richter. Etwa Uncle Roger. Uncle Roger ist die Kunstfigur des Londoner Comedians Nigel NG, der malaysischen Migrationshintergrund hat. Uncle Roger ist geschieden und lebt allein, so hat er viel Zeit, sich Kochvideos anzusehen. Und er kennt keine Gnade, wenn irgendein dahergelaufener Stümper, ob Profikoch oder nicht, sich am Heiligen Fried Rice versündigt. Hier trifft sein Bannstrahl Jamie Oliver. Hay-yaaaah!


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