Mittwoch, 9. Juni 2021

Gut gemeint vs. gut gemacht

 
Vor etlichen Jahren diskutierte ich im Auftrag der VHS Bochum mit einer Schulklasse das Thema Bewerbungen. Irgendwann entfleuchte mir der Satz: "Also, wenn Sie überall so ein 08/15-Anschreiben dazulegen, dann können Sie sich bewerben, bis Sie schwarz werden." Zu spät fiel mir auf, dass eine schwarze Schülerin in der Klasse war. Als es mir auffiel, entschuldigte ich mich aufrichtig und bat Sie, das um Himmels Willen nicht falsch zu verstehen. Woraufhin sie bloß laut lachte und meinte, das sei kein Problem, erstens habe ich Sie ja nicht verletzen wollen, zweitens sei sie noch ganz andere Sachen gewohnt. Ich dankte einigermaßen erleichtert.

Keine Ahnung, was los wäre, würde mir Ähnliches heute passieren. Es ist nicht ausgeschlossen, dass so ein Auftritt inzwischen dazu führen würde, dass eine Eingabe an den Auftraggeber selbigen auffordern würde, mich mit sofortiger Wirkung und ein für allemal von meinen Funktionen zu entbinden. Wegen Rassismus. Schwein gehabt. Gnade der frühen Geburt. Was mich zu der Vermutung bringt? Ein Vorfall, der sich kürzlich am Anna-Siemsen-Berufskolleg in Herford zugetragen hat:

Als die Fachabiturientin Emma K. feststellte, dass der Text, der für die Deutschprüfung zu analysieren war, mehrfach das N-Wort aufwies, konfrontierte sie ihre Lehrerin sofort damit. In einem Gespräch sagte sie danach, sie habe sich gewünscht, dass die Lehrerin sie ernst nehme und anerkenne, dass der Text verletzend für sie sei, und dann dafür gesorgt hätte, dass sie so eine Aufgabe nicht bearbeiten müsse. Letzteres ist in einer (Fach-)Abiturprüfung ad hoc übrigens nicht ohne weiteres machbar. Das als bloße überspannte Anstellerei abzutun, wäre nicht nur menschlich schäbig. Überhaupt ist die Auseinandersetzung mit dem Vorfall nicht so unproblematisch wie sie auf den ersten Blick scheinen mag.

Man kann es drehen und wenden wie man will, aber als Nichtbetroffener habe ich keine Ahnung, wie eine Person of colour sich in so einer Situation fühlt. Ich kann nur vermuten, dass das auch ein wenig von den Milieus abhängt, in die jemand hineingeboren wurde bzw. sich so bewegt. Meine Annahme: In Teilen von dem, was gemeinhin bürgerliche Mitte genannt wird, wo man Grüne wählt und sich selbst tendenziell als linksliberal versteht, dürfte es noch am wenigsten Probleme geben, gefolgt vom christlich geprägten bürgerlich-konservativen Milieu. (Wobei ich auch nicht beurteilen kann, inwieweit man dort unterschwelligem oder positivem Rassismus ausgesetzt ist. Ich fürchte, mehr als erhofft.)

So kann ich auch nicht beurteilen, was ein entsprechend betroffener Mensch empfindet, wenn er zum Beispiel in einem Text das N-Wort liest. Etwa in der Kurzgeschichte 'Eine schöne Beziehung' von Henning Venske aus dem Jahr 1983. Man tut dem 1939 geborenen Venske, Zeit seines langen Lebens ein Linker und Humanist, sicher kein Unrecht an, wenn man zu seinen Gunsten annimmt, dass es ihm niemals darum ging, rassistische Propaganda zu verbreiten.

Wer sich die Mühe macht, das literarisch und ästhetisch eher schmale Geschichtchen zu lesen, wird eventuell zu dem Schluss kommen, dass die einigermaßen offen zutage liegende Intention des Autors zwar ehrenwert sein mag, die Art und Weise, sie zu vermitteln, inzwischen allerdings arg aus der Zeit gefallen wirkt. Erinnert in seiner Diskrepanz zwischen gut gemeint und gut gemacht ein wenig an den Sketchklassiker 'Der Türke in der Straßenbahn', der einst von Harald Schmidt kongenial interpretiert wurde.


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Bei Venske geht es um eine alte Frau, die ihr Leben lang nie aus ihrem Dorf gekommen ist, und die beschließt nach dem Tod ihres Mannes, endlich ihr Leben zu genießen. So macht sie eines Tages einen Ausflug in die große Stadt, geht in das SB-Restaurant eines Kaufhauses, wo es zum geschilderten Missverständnis kommt. Setzt man ihr überraschtes Urteil, es gäbe auch anständige "N", das in dieser Wortwahl nach meiner Erinnerung bereits in den Achtzigern verpönt war, in einen Kontext, dann handelt es sich eventuell nicht um den blanken Rassismus als das es auf den ersten Blick erscheint, sondern ist vielmehr ihrer Sozialisation in Kriegs- und Nachkriegsjahren geschuldet.

Wie so oft sind Betroffene nicht so sehr das Problem, sondern hauptberufliche Aktivisten, deren Fortkommen allein davon abhängt, möglichst viel Lärm zu machen, egal ob Logik und Stringenz dabei unter die Räder kommen. So spricht Tahir Della, Sprecher der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) den zuständigen Stellen jegliches Problembewusstsein ab. Aha. Wer weiß, vielleicht haben diejenigen, die den Text ausgewählt haben (die dezentrale Prüfung wurde von Fachlehrern mehrerer Berufskollegs erstellt), sich gedacht: Ja gut, das ist vielleicht provokant und nicht unproblematisch, gerade auch für Schülerinnen und Schüler, die davon betroffen sind. Aber es handelt sich bei ihnen um junge Erwachsene. Die vielleicht studieren wollen. Was mitunter bedeutet, auch die eigene Position zu reflektieren und das eventuell sogar in seine Analyse einfließen zu lassen. Wem, wenn nicht ihnen, kann, darf man so etwas zumuten? Darüber lässt sich diskutieren.

Man verstehe mich nicht falsch: Es ist ein echter gesellschaftlicher Fortschritt, dass Rassismus zum Thema gemacht und darüber gestritten wird. Es ist nichts weiter als stinknormal, dass die Rezeption von Kunst, Literatur etc. sich permanent wandelt, weswegen das Argument "Das war damals schließlich auch kein Problem!" keines ist. Ferner geht es völlig in Ordnung, wenn diskriminierte Minderheiten sich vernehmlich zu Wort melden. So wie es auch ein echter Fortschritt ist, wenn etwa missbrauchte Kinder heute weit öfter hoffen können, ernst genommen zu werden. Auch wenn das dem einen oder andern lästig ist. Ohne lästig kein Fortschritt. Es wäre demnach, wie gesagt, schofel, der jungen Frau absprechen zu wollen, - jetztstellnsesichmanichsoan! - überhaupt diskriminiert worden zu sein.

Das ist die eine Sache. Etwas anderes ist es jedoch, wenn Della meint, Rassismus ließe sich nicht brechen, indem rassistische Redewendungen und Sprache verwendet würden. Die Begriffe würden damit festgeschrieben. Und dann fordert: "Es gibt genug Schultexte, die antirassistisch sind, die anderen muss man aus dem Verkehr ziehen." Und genau das muss man eben nicht. (Es gibt übrigens durchaus Frauen, die sich durch das Verwenden des Generalpronomens 'man' herabgesetzt fühlen - nur zur geneigten Info…).

Alles, was irgendwem aus irgendwelchen Gründen nicht passen oder gar kränkend wirken könnte, aus allen Curricula zu streichen, bedeutet in letzter Konsequenz das Ende dessen, was seit der Aufklärung Bildung genannt und teils sogar praktiziert wird. Alle Erfahrung zeigt, dass mit inquisitorischem Gestus alles Missliebige (wer legt, nebenbei gefragt, eigentlich die Kriterien dafür fest, was missliebig ist?) vom Antlitz der Erde tilgen zu wollen, so edel die dahinterliegende Absicht auch sein mag, diese Welt nicht zu einem besseren Ort macht. Wie will man über Rassismus aufklären, eine Haltung dazu entwickeln, wenn man ihn komplett meidet wie der Teufel das Weihwasser?

Aus gegebenem Anlass möchte ich mich ausnahmsweise wiederholen. Im Zuge der Debatte um die Drucklegung der Autobiographie von Woody Allen erinnerte ich an die folgendes:

"Seit 1958 erscheinen im Deutschen Taschenbuch-Verlag (dtv) die Memoiren von Rudolf Höß, des ehemaligen Kommandanten von Auschwitz. Höß schrieb sie in polnischer Untersuchungshaft, bevor er 1947 auf dem KZ-Gelände hingerichtet wurde. Das Buch ist bis heute im Handel zu beziehen. Von Forderungen, dieses schmale, literarisch schwache, für Holocaust-Überlebende sicher nur schwer erträgliche Machwerk gefälligst nicht zu veröffentlichen, ist nichts bekannt. Es war allen klar: Die Welt wird kein besserer Ort, wenn man das verhindert. Im Gegenteil, will diese verfluchte Menschheit eine Chance haben, irgendwie weiterzukommen, dann muss man auch das, vielleicht gerade das lesen dürfen, auch wenn‘s weh tut. Anders geht es nicht."

Dahinter sollte man nicht zurückwollen. Auch da wiederhole ich mich.





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