Samstag, 5. November 2022

Kleben, Kartoffelbrei, Kommandieren

 
Was die momentanen Festklebe- und Gemäldebesudel-Aktionen der Aktionsgruppe 'Letzte Generation' angeht, wohnen zwei Seelen, ach, in meiner Brust: Einerseits habe ich volles Verständnis für die Proteste der jungen Leute und ich finde, sie sind noch viel zu wenig radikal. Man sollte bedenken, dass für sie die Sache mit dem Klimawandel vielleicht mit etwas größerer Dringlichkeit sich darstellt als für unsereins Alte Säcke mit nur noch wenigen Jahrzehnten statistischer Restlaufzeit. Der ekelhaft belehrende Tonfall, dieses Predigen von oben herab, wie er jetzt aus diversen Medien den Jugendlichen entgegenschallt ("Liebe Jugend von heute! Demos sind ja ganz okay, aber bei festkleben und Tomatensuppe und Kartoffelpü, da hört der Spaß auf, ja?"), auf dass nichts ihre Bräsigkeit störe, würde mich vermutlich noch zu ganz anderen Aktionen anstacheln.

Es ist immer wieder herzig. Da pröppern Boomer sich seit Ewigkeiten auf über die angeblich so unpolitische, indifferente Jugend ("Wir damals, wir haben noch..."). Und wenn sie dann doch mal politisch wird, die Jugend, dann ist auch das wieder nicht recht. Moment mal! Widerstand, gut und schön, aber bitte so, wie wir uns das vorstellen, ja? "Anmaßend", heißt es da. "Hört auf mit der Opferrolle!", "Runter von der Straße!" wird da anlässlich des Todes einer Aktivistin in Berlin nicht nur plump rumgeduzt, sondern auch rumkommandiert. Höre ich da neben autoritärem Bedürfnis nach Bestrafen vielleicht auch ein wenig Neid heraus auf diese Jugendlichen, die Dinge tun, die man selbst sich früher nie getraut hat oder für die man zu faul war? Nicht? Dann habe ich natürlich nichts gesagt.

Was glauben diese Blitzbirnen? Widerstand, der niemandem wehtut und brav um Erlaubnis fragt, ist keiner. Hätte irgendeine Widerstandsbewegung der letzten Jahrzehnte irgendwas erreicht, wenn sie immer so: "Ey, liebe Männer/Weiße/Heteros/Kapitalisten etc., ist das okay so für euch oder ist das zu heavy jetzt? Okay, sorryyyyy!"? Und passt mal auf, liebe Alterskohortengenosssen, wenn diese Jugendlichen richtig die Faxen dicke haben. Es gibt da nämlich eine schlechte Nachricht: Junge Menschen tendieren dazu, mehr Energie zu haben und weit kreativer zu sein als unsereins. Oder in zehn, zwanzig Jahren, wenn wir beginnen, die Pflegeeinrichtungen zu bevölkern und hilf- und wehrlos davon abhängen, von diesen Leuten gepflegt zu werden -- uiuiui, das wird lustig!

Einerseits. Andererseits: Ja, die Kritik ist nicht völlig unberechtigt. Radikalität, die bloß Aufmerksamkeit generiert, und sei es aus den ehrenwertesten Motiven heraus, bringt erstmal gar nichts. Weil auch der ärgste Klimaignorant kaum seine Meinung ändern wird, weil ein paar berühmte Gemälde verunstaltet werden oder er im Stau steht, weil ein paar Demonstranten sich am Asphalt festgepappt haben. Und weil die Reaktionen auf so was inzwischen so ausgefeilt und eingefahren sind, dass das sofort in einem großen Geräusch untergeht. Lassen wir Frau Bosetti das erklären:


(Video im erweiterten Datenschutzmodus eingebettet. Anklicken generiert keine Cookies.)

 
Ergänzen könnte man noch: Wir haben Kapitalismus. Der ist nicht nur deutlich widerstands- und anpassungsfähiger als Revolutionsträumer das wahrhaben wollen, sondern auch die größte Einebnungsmaschinerie aller Zeiten. Kapitalismus ist, wenn Leute ein Geschäft damit machen, antikapitalistische Motive auf T-Shirts und Tassen zu drucken und zu überteuerten Preisen zu verkaufen. Kapitalismus wäre auch, dass wer ein Mittel erfindet, Sekundenkleber in Sekundenschnelle wieder aufzulösen und damit an die Börse geht. Kann nicht mehr lange dauern.







 

11 Kommentare :

  1. "Kapitalismus wäre auch, dass wer ein Mittel erfindet, Sekundenkleber in Sekundenschnelle wieder aufzulösen und damit an die Börse geht. Kann nicht mehr lange dauern."
    Kochend heißes Wasser — oder Heißluftpistole ... weiß jeder Modellbauer.

    Gruß
    Jens
    (Modellbauer)

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    1. DasKleineTeilchen6. November 2022 um 12:12

      ich geh mal davon aus, daß die sich mit 5-min-epoxy festkleben, alles andere wäre relativ einfach und zu schnell wieder lösbar, "echter" sekkleber löst sich ratzfatz einfach mit wasser, braucht nichtmal heiss sein, dauert nur bischen länger mit kaltem wasser. epoxy dagegen - wenn durchgehärtet - lässt sich *nur* mechanisch entfernen. aceton zum lösen funkt nur während der gelierphase.

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    2. "2-K-Epoxidharz" ... stimmt,
      das ist fest für die Ewigkeit. Das Einzige was geht, ist Reparieren von GFK mit GFK. Dabei werden die oberen Moleküle wohl offen für das neue Material. Hält auch gut.

      Gruß
      Jens
      (off topic — ich weiß)

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  2. Aceton sollte Sekundenkleber (auf Acrylatbasis) auch lösen. Ansonsten auch Montagekleber (Polyurethanbasis) oder den genannten 2-K-Epoxidharz. Letztere lassen sich nur Bergmännisch abtragen.

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  3. Die Herrschenden setzen die Grenzen dort, wo bestimmte Formen des Widerstandes ihnen wirklich schaden könnten oder Angst machen. Ihr politisches Personal erweist sich dabei als Komplizen. Ihre Definitionsmacht zeigte sich in der Aussage: „Gewaltfreier Widerstand ist Gewalt!“.

    Auf der anderen Seite ist zu hören: „Wenn Scheiben klirren, schreit Ihr, wenn Flüchtlinge brennen (oder ertrinken), schweigt Ihr!“

    Ich beobachte die Radikalisierung der Klimaschutzbewegung von Anfang an und begrüße es, dass die Aktionen riskanter werden. Leider bin ich zu alt, um da noch mitzumachen. Allerdings stelle ich mir unter historischen Gesichtspunkten immer wieder die Frage, was wohl geschieht, wenn die staatliche Repression alle Widerstandsformen erstickt und der Rückhalt der Bevölkerungsmehrheit ausbleibt. Führt das zur Resignation der Akteure? Oder in die Militanz? Dazu empfehle ich die Geschichte der RAF und der des „17. Juni“. Als Mittelweg könnten sich die militanten gegen Sachen gerichteten Widerstandsformen der RZ und der Roten Zora anbieten (PDF zum Herunterladen des gesamten Buches "Früchte des Zorns": https://de.scribd.com/document/22408464/Die-Fruchte-des-Zorns).

    Leider sind sie alle gescheitert, bzw. landeten im Knast, weil sie nicht die Unterstützung des deutschen Michels und der Medien hatten.

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  4. "weil sie nicht die Unterstützung des deutschen Michels und der Medien hatten"
    Das mit den Medien ist ja wohl ein Euphemismus, wenn ich so an die Springerpresse denke.
    Aber der Gedanke ist sowohl richtig als traurig. Solange sich die "Der Deutsche Michel" genau wie alle Anderen nicht die Frage nach einer gerechten Zukunft für alle "Nichtreichen" stellt und ein entsprechendes Klassenbewusstsein entwickelt, wird sich nix ändern. Dieses benötigte Bewusstsein wird gerade übrigens aufs feinste durch die Sozialen Medien regelrecht atomisiert und gleichzeitig — wie mit einem Blitzableiter — auf sozial noch Schwächere abgeleitet.

    Gruß
    jens

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  5. Ein sehr reflektierter Beitrag zum Thema ganz ähnlich wie der von Sarah Bosetti.

    @Jens

    "Aber der Gedanke ist sowohl richtig als traurig. Solange sich die "Der Deutsche Michel" genau wie alle Anderen nicht die Frage nach einer gerechten Zukunft für alle "Nichtreichen" stellt und ein entsprechendes Klassenbewusstsein entwickelt, wird sich nix ändern. Dieses benötigte Bewusstsein wird gerade übrigens aufs feinste durch die Sozialen Medien regelrecht atomisiert und gleichzeitig — wie mit einem Blitzableiter — auf sozial noch Schwächere abgeleitet."

    Geschieht das nicht schon seit Jahrzenten und ist einfach das alte Prinzip: "Teile und herrsche"? Mit den SM hat man nur neben dem Smartphone ein Mittel, wo jeder seine Meinung in die digitale Welt absetzt und meint, damit einer widerständigen Gruppe anzugehören oder gar Mehrheit zu sein. So ist das eben mit den Echokammern und auch eine der fundamentalen Kritiken an dem ganzen Corona-Widerstand-Gedöns, die sich da für den nabel der Welt hielten.

    Beim Bewusstsein müssten sich die - nennen wir sie mal Spießer - erst einmal bewusst sein, dass sie überhaupt noch Teil einer Klasse sind. Mit Häuschen, Auto und den ganzen Annehmlichkeiten eines bürgerlichen Lebens wird das schön verschmiert und ein vermeintlicher Abstand zu denen ganz unten suggeriert. Genau das lässt viele auch das Wissen um die tatsache eines sich selbstverusachten Klimawandels ausblenden und lieber auf die "Störer" dieser Ordnung eindreschen, statt die Ordnung in Frage zu stellen. Ich sage nur sinngemäß wie Kraftklub bei "3 Schüsse in die Luft":

    Ich ziehe in den Krieg, aber keiner zieht mit
    3 Schüsse in die Luft und nur Beschwerden über Krach...

    ...das trifft´s so ziemlich.

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    1. Mit dieser altlinken Denke vom "Klassenbewusstsein" wirst du höchstens ein großes Gähnen hervor rufen! Sorry, aber die Lebernswirklichkeit der sog. "Spießer" unterscheidet sich dank "Häuschen, Auto und den ganzen Annehmlichkeiten eines bürgerlichen Lebens" drastisch von jener der prekär arbeitenden Jobber, Hartz4-Empfänger, Geringverdiener oder gar Obdachloser und Flüchtlinge! Und das nicht erst seit gestern, sondern seit Jahrzehnten. Die Vorhaltung "Ihr seid doch auch Arbeiterklasse" hat schon 68 nicht verfangen - wirklich schade, dass das immer noch nicht begriffen wird bzw. keine Konsequenzen im Umdenken zeitigt!

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    2. @Anonym

      "Mit dieser altlinken Denke vom "Klassenbewusstsein" wirst du höchstens ein großes Gähnen hervor rufen! Sorry, aber die Lebernswirklichkeit der sog. "Spießer" unterscheidet sich dank "Häuschen, Auto und den ganzen Annehmlichkeiten eines bürgerlichen Lebens" drastisch von jener der prekär arbeitenden Jobber, Hartz4-Empfänger, Geringverdiener oder gar Obdachloser und Flüchtlinge!"

      Das mag sein. Andererseits zeigt doch gerade die jetzige Zeit, wie schnell die gerne verklärend und eher so genannte Mittelschicht zur prekären wird, wenn die hin und wieder auf Pump erworbenen Annehmlichkeiten des bürgerlichen Lebens durch Teuerung oder Ausfall des regelmäßigen Zahlungseingang nicht mehr zu finanzieren sind. Leider verbündet sich dann diese Mittelschicht lieber mit einem rechten Mob für ihre Existenzinteressen und sucht sich ein noch schwächeres Opfer als Schuldigen.

      Witzigerweise hat inzwischen zumindest scheinbar jeder gepeilt, dass dieses klitzekleine Projekt "Retten der Welt" nur funktionieren wird, wenn der pöse Kapitalismus endet. Wie das funktionieren soll, konnte mir abseits der "Reinen Lehre" aber auch noch keiner realistisch verklickern. Die Variante eines aus sich selbst heraus zu reformierenden oder gar abdankenden Kapitalismus scheitert daran, dass die Mächtigen und ihre Vertreter ihre Macht und den Platz am Trog nun einmal nicht freiwillig abgeben werden. Ohne Zwang geben diese nicht einmal für Menschenrechte, Klima und das ganze Pipapo ab, wenn es deren uneingeschränktes Tun und damit die Profite gefährdet. Wenn die bereits wegen ein paar popliger Klimaaktivisten oder einem bescheuerten Bahnhofsprotest wie wütende Köter reagieren, dann will ich gar nicht wissen, was bei wirklichen gesellschaftlichen Konflikten passiert. Schutzhaft ist ja in einigen Bundesländern bereits wieder en vogue und Noskes gibt´s im Zweifel genug.

      Falls es also tatsächlich diskussionswürdige Ansätze gibt, wie der jetzige Zustand in einer Art friedlichen Übergang aka 1989 in eine andere demokratische Gesellschaft geändert werden kann, die hinterher wirklich weitestgehend gleiche Teilhabe aller Menschen bietet statt alles Kapitalinteressen unterzuordnen, und so nebenbei das Umweltproblem löst, lasse ich mich gerne belehren und bin sofoert dabei. Angesichts solcher Ausfälle von Menschen eines Schlages wie Merz, Lindner, Röpcke und ähnlichen Kalibern gegenüber Armen sehe ich da schwarz.

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  6. Jens: Warum der Michel nicht aufbegehrt, liegt unter anderem auch an den Missionaren der Verblödung. Da wird zur Hauptsendzeit regelmäßig eimerweise des Kitchup durch die Flachbidschirme geflutet. Für hohe Einschaltquoten sorgen talentbefreite Möchtegernpromis wie z. B. Giovanni Zarella, Ross Antony, Andrea Berg, Maite Kelly, Roland Kaiser, Mark Forster und Florian Silbereisen.

    Um der Frage zuvor zu kommen, was ich denn dagegen setzen würde. dies hier zur Kostprobe:
    Wattstax 1972, das Gegenstück der PoC zu Woodstock. 150.000 Schwarze im Stadion. Alles friedlich auch nach Besetzung der Rasenfläche.

    https://www.youtube.com/watch?v=6sYHnx8LRNI

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  7. "Beim Bewusstsein müssten sich die - nennen wir sie mal Spießer - erst einmal bewusst sein, dass sie überhaupt noch Teil einer Klasse sind. Mit Häuschen, Auto und den ganzen Annehmlichkeiten eines bürgerlichen Lebens wird das schön verschmiert und ein vermeintlicher Abstand zu denen ganz unten suggeriert"
    Genau!!
    Und das mit der Verblödung zur Hauptsendezeit stimmt ebenfalls.

    Gruß
    Jens

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