Samstag, 27. Mai 2023

Buntmetallisches

 
Tja, gibste öffentlichkeitswirksam das Benin-Buntblech an Nigeria zurück, stellste fest: Das geht gar nicht in den Besitz des Volkes über und landet auch nicht, wie angekündigt, in einem schmucken Museum zu Nutz, Frommen und Erbauung der Allgemeinheit, sondern geht über in den Besitz des heutigen Oba von Benin, der damit, wenn er mag, seinen Partykeller dekorieren oder die Teile bei Sotheby’s verscheppern kann, wenn's mal klemmen sollte.

Jetzt haben Nachfahren von aus Nigeria in die USA verschleppten Sklaven über die in New York ansässige Restitution Study Group Ansprüche an Nigeria angemeldet. Schon in vorkolonialen Zeiten sei das damalige Königreich Benin (das auf dem Territorium des heutigen Nigeria liegt und nicht mit dem modernen Staat Benin zu verwechseln ist) ein Zentrum des Menschen- und Sklavenhandels gewesen.

Doch Obacht, so verfügte jetzt Frau Professor Carola Lentz, Präsidentin des Goethe-Instituts! Es könne nicht sein, "dass wir den Nigerianern sagen, wie sie ihre Erinnerungspolitik ausrichten sollen". Das sei eurozentrisch und paternalistisch.

Aha. Zwei Fragen hätte ich da. Erstens: Wer genau sind eigentlich 'die Nigerianer'? Zweitens: Ist es nicht irgendwie viel paternalistischer, Menschen in Afrika mit für sie vielleicht lästigen Fakten zu verschonen? Hält man sie im Gegensatz zu uns coolen, erinnerungskulturgestählten Euros für so labil, dass sie das emotional nicht verkraften würden? Pardon, aber so betütert man Kinder.

Dass auch Vorfahren heutiger Nigerianer irgendwann mal Dreck am Stecken hatten, kann eigentlich nur überraschen, wer sich noch nie jenseits von Aktivismus mit Geschichte befasst hat. Es ist immer ein Problem, wenn man irgendwelche Entschädigungsansprüche erheben will an Nachfahren derjenigen, die irgendwann mal Raubzüge veranstaltet haben. Irgendwie findet sich immer einer, der sich schon vorher seinerseits was unter den Nagel gerissen hat. Am Anfang von 'Besitz' steht fast immer Gewalt. Remember 'ursprüngliche Akkumulation'?

Daher ist es normalerweise auch wohl verstandene Sitte, Restitutionen und Entschädigungen tunlichst abgewickelt zu bekommen, so lange zumindest ein paar Beteiligte noch leben. So hat man es beispielsweise in Preußen nach 1815 gemacht, als man sich die Kunstschätze wieder holte, die Napoleon nach 1806 gen Louvre verfrachtet hatte. Denkt man das Prinzip "Du schuldest mir jetzt was, weil deine Urvätereltern meinen Urvätereltern vor Jahrhunderten mal was Böses getan haben!" nämlich konsequent zu Ende, dann könnte zum Beispiel Frankreich Italien auf Entschädigung verklagen, weil Julius Caesar 50 v.Chr. in Gallien einmarschiert ist.

Auch sonst ist das alles nicht so einfach, wie das auf den ersten Blick erscheint. Völkerrechtlich musste wohl erst geklärt werden, ob der Staat Nigeria überhaupt Rechtsnachfolger des damaligen Königreichs Benin ist. Dann wird die Frage zu klären gewesen sein, ob das Königreich Benin zum Zeitpunkt des Entwendens der Bronzen überhaupt als Staat noch existierte und nicht schon Teil des britischen Empire war.

Spitzfindig? Meinetwegen, aber es geht noch weiter. Man kann es zum Beispiel fragen, ob das britische Protektorat Nigeria, so die korrekte Bezeichnung ab 1898, überhaupt ein legitimes Staatsgebilde war, da es durch Eroberung zustande gekommen ist. Nach der UN-Charta wäre das nicht so, denn die erklärt alle Kriege außer zur Selbstverteidigung oder im Auftrag des UN-Sicherheitsrates für illegitim. Damit können sich für UN-Mitglieder auch keinerlei Besitzansprüche für eroberte Gebiete ergeben.

Allein: Die UN-Charta gab es damals noch nicht. Und welcher Staat auf der Welt ist nicht entstanden, weil mal jemand irgendwo einmarschiert ist? Fällt mir spontan kaum einer ein.

Moment mal, wie sind die Bronzen eigentlich nach Berlin gekommen? Man hatte sie britischen Kunsthändlern abgekauft. Das war übrigens gängige Praxis damals. Als ab dem 19. Jahrhundert das Interesse an historischen Artefakten wuchs, durchstreiften reiche Hobbyarchäologen den Nahen und Mittleren Osten und kauften Händlern tonnenweise antiken Kram ab. In Ägypten etwa maß man den Antiken einst nur wenig Bedeutung zu. Der Handel mit aus Gräbern geraubtem Plunder, darunter auch Mumien als Arzneimittel, florierte. Grundstock für das riesige British Museum waren Privatsammlungen, die dem Staat übereignet wurden.

Trotz alledem habe ich persönlich nichts gegen die Restitution der Bronzen einzuwenden. Der Verlust für das kulturelle Leben in Deutschland dürfte sich in Grenzen halten, zumal die Sachen gut erforscht und weiterhin als Bilder zugänglich sind, auch über Leihgaben lässt sich immer reden.

Jenseits aller völkerrechtlichen Überlegungen steht über allem die Frage, wieso europäische Museen voll mit Exponaten aus aller Welt sind, während europäische Exponate in aller Welt deutlich weniger repräsentiert sind. Und so haftet dergleichen Exponaten nun einmal, allem gegenwärtigen guten Willen zum Trotze ('Weltkunst'), immer noch ein leichter Beigeschmack kolonialen Trophäenzeigens an. Und diese Zeiten sind, wie die des Deutschen Kaiserreichs, nun einmal vorbei. Zum Glück.








6 Kommentare :

  1. Shit comes in all colors.

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    1. Meinten Sie "Shit comes out of all colours"?

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  2. „Erinnerungspolitik“ hat einen gewissen Beiklang von „Geschichtsverkärung“. Gewalt und Unrecht begleiteten die Menschen schon lange bevor sie keine Tiere mehr sein wollten; das wurde im evolutionären Verlauf nicht wie durch Zauberei korrigiert sondern- dank sich immer höher entwickelnder kognitiver Fähigkeiten- nur noch verstärkt. Was Menschen sich seit zehntausenden Jahren antun ist unsere Geschichte: Krieg, Gewalt, Unterdrückung, Ausbeutung und Unrecht in wechselnden Gesellschaftsformen. Mehr ist da nicht zu erinnern. Wir müssen endlich nach vorn schauen und diese Matrix aus Scheisse hinter uns lassen, nur wie?

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  3. Dann wird die Frage zu klären gewesen sein, ob das Königreich Benin zum Zeitpunkt des Entwendens der Bronzen überhaupt als Staat noch existierte und nicht schon Teil des britischen Empire war.

    Mit Verlaub, aber das ist irrelevant, weil die Briten (wie die Franzosen, Portugiesen, Italiener, Deutschen usw.) damals in Afrika nicht verloren gehabt hätten und die Einverleibung von Teilen Afrikas so oder so unrechtmäßig war. Und komme mir keiner mit Verträgen zwischen Kolonialmächten und damaligen Machthabern, die waren nämlich in aller Regel aufgezwungen oder sonst nicht eben sauber zustandegekommen.

    Moment mal, wie sind die Bronzen eigentlich nach Berlin gekommen? Man hatte sie britischen Kunsthändlern abgekauft. (...) Grundstock für das riesige British Museum waren Privatsammlungen, die dem Staat übereignet wurden.

    Und wo hatten die britischen Kunsthändler die Bronzen her? Von den Plünderern, die sie aus Afrika geholt haben, übrigens unter Zerstörung der meisten Städte des Königreichs Benin (also Niederbrennenlassen durch Bewaffnete, unter großzügiger Inkaufnahme ziviler Todesopfer). Die genannten Privatsammlungen werden ähnlich zustandegekommen sein: Entweder Großvaters "persönliche Andenken" an die Raubzüge in Afrika, oder die Plünderer haben sie seinerzeit weiterverkauft.

    Und auch damals galt wohl schon der Grundsatz, dass man nicht rechtmäßig erwerben kann, was gestohlen oder geraubt wurde. Und dass diese Kunstwerke aus Plünderungen stammten, war allgemein bekannt (auch wenn man sich wohl oft einredete, dass da wunderliche Gelehrte die Fährnisse einer Afrikafahrt auf sich nahmen, um diese interessanten Dinge den Einheimischen abzukaufen). Alle Teilnehmer der Berliner Konkokonferenz wussten, dass man rechtliche Aspekte bewusst ausgelassen hatte, als man die Modalitäten den Wettlauf um Afrika untereinander regelte und lieber nicht so genau hinschauen wollte, wie die Inbesitznahme der jeweiligen Kolonien so gelaufen war.

    Deutschland war zwar spät dran und hatte auch nur vergleichsweise wenig Kolonien in Afrika, hat in der kurzen Zeit bis zum ersten Weltkrieg aber mehr als ausreichend gezeigt, dass man in Sachen Rücksichtslosigkeit und schierer Mordlust den Briten und Franzosen in nichts nachstand. Auch deshalb sollten wir in Deutschland den Ball sehr, sehr flach halten was das Formulieren von Bedingungen für die Rückgabe geplünderter Kunstgegenstände und menschlicher Überreste aus Afrika angeht.

    Das Zeug ist dort systematisch weggeplündert worden, die Kolonialmächte haben dort ganze Länder abgefackelt, während sie Wertgegenstände abräumten. Und egal, wer jetzt Rechtsnachfolger von wem ist oder wer rechtmäßige Ansprüche auf Repatriierung dieser Raubkunst stellen kann, es sollte klar sein, dass europäische Länder oder Museen kein Recht auf diese Kunstgegenstände haben. Und es wäre mehr als bittere Ironie, wenn ausgerechnet die Nachfolger der Leute, die den halben Kontinent verwüstet, ganze Kulturen und Gesellschaftsordnungen vernichtet und den Reichtum des Landes gestohlen haben, jetzt große Besorgnis um die Aufbewahrung der gestohlenen Kunstwerke hegen, damit die auch ja sachgemäß aufbewahrt werden udn nicht, wo kämen wir da hin, Schaden nehmen oder von Privatleuten verschachert werden.

    Der Kolonialismus ist insgesamt eine Schande, und auch wenn mittlerweile überhaupt über die Rückgabe der Raubkunst geredet wird, ist der Umgang damit immer noch zum Schämen.

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    1. Ok, ich räume gern ein, an der einen oder anderen Ecke etwas provokant formuliert zu haben. Ich erinnere auch daran, dass meine Quintessenz die ist, dass die die Rückgabe trotz allem für moralisch geboten halte.
      Es gibt aber schon einen Grundsatz, der mindestens so wichtig ist wie 'In dubio pro reo', und der lautet: Nulla poena sine lege. Außerdem ist moralische Empörung allein keine politische Kategorie. Aktivismus zielt immer auf maximale Vereinfachung und simple Täter-Opfer-Zuschreibungen. Ich habe kein Problem damit, den europäischen Kolonialismus als das Großverbrechen anzusehen, das er war. Es geht mir aber gegen den Strich, wenn Hinweise darauf, dass es auch in den späteren Kolonien alles andere als friedlich zugegangen ist, als illegitim abzubürsten. Daran zu erinnern (was im Falle Nigerias übrigens US-amerikanische Nachfahren von Sklaven aus Benin getan haben), muss nicht zwingend der Täter-Opfer-Umkehr gelten.

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