Donnerstag, 4. Mai 2023

Kopf. Tischkante.


"Keinen Gedanken haben und ihn ausdrücken können - das macht den Journalisten." (Karl Kraus)

Es gibt so Momente, da fragt man sich: Meinen die das jetzt wirklich ernst? Oder testen die einfach nur aus, was so geht ohne schallend ausgelacht und mit nassen Fetzen aus der Stadt getrieben zu werden? Nehmen wir Nikolaus Blome, eins der Sturmgeschütze des Neoliberalismus beim Spiegel. Dort verbrutzelte er jetzt eine Kolumne, in der er den gierigen Gewerkschaftern mangelnde "linke Solidarität" vorwarf. Denn sie dächten, so ist dem Teaser zu entnehmen, nur an sich und ihre Geldbeutel und nicht an ihre arbeitslosen Genossen. Pfui!

Logischer Umkehrschluss: Wenn gewerkschaftlich organisierte abhängig Beschäftigte sich mal nicht so anstellten und weiterhin massive Reallohnverluste einfach mal in Kauf nähmen, anstatt wegen dem bisschen Inflation mir nichts, dir nichts rumzustreiken wie nicht gescheit, dann profitierten auch Arbeitslose davon.

Kopf. Tischkante. Aua.

Zur Erinnerung.


Danke.

(Warum Gewerkschafter übrigens zwingend 'links' sein müssen bzw. das, was Blome dafür verkaufen will, erschließt sich nicht ohne weiteres. Die meisten dürften im weitesten Sinne mehr oder minder sozialdemokratisch unterwegs sein. Der berüchtigte Bahnerpresser Claus Weselsky hingegen war und ist CDU-Mitglied. Aber wer wird auch immer so pingelig sein? Opfer müssen gebracht werden.)

Nun haben Blome und ich ja gemein, dass wir beide weder Volkswirte noch sonstwie Ökonomen sind. Aus meiner Sicht stellt sich das eher so dar: Arbeitslose, die (noch) nicht vom Jobcenter alimentiert werden, beziehen ihre Leistungen überwiegend aus Mitteln der Arbeitslosenversicherung. Die wachsen aber nicht auf dem Baum, sondern kommen genau woher? Richtig! Aus den Beiträgen, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer an sie abführen. Wenn nun sozialversicherungspflichtig Beschäftigte mehr bekommen, dann passiert was? Richtig! Die Einnahmen der Sozialversicherungen steigen. Was für darauf Angewiesene nicht per se schlecht ist.

Auch Umschulungen und Weiterbildungen werden normalerweise aus Mitteln der Sozialversicherung finanziert. Auch hier will mir scheinen, dass Arbeitslose, und damit auch die Volkswirtschaft grosso modo von besseren Einnahmen der Sozialversicherungsträger nur profitieren können. Und wenn das Einnahmenplus nur dazu verwendet wird, den Bundeszuschuss für die Sozialversicherungen abzuschmelzen, dann wäre so was doch auch zu begrüßen.

Da der Artikel leider hinter einer Paywall ist, kann man als Otto Normalnichtzahler nur spekulieren, wie genau Blome zu der Schlussfolgerung kommt, mehr Geld für Beschäftigte ließe die Arbeitslosigkeit steigen bzw. hielte Arbeitslose in ihrem Schicksal gefangen. Wir erinnern uns: 2015 sollte Die Deutsche WirtschaftTM schon einmal mit einem Ächzen im Abgrund versinken. Der Grund: Luxuriöse 8,50 Euro Mindestlohn. Nun ist das aber so, dass die Arbeitslosenquote von 2015 bis 2019 zurückgegangen, ab 2020 -- das Virus! -- wieder leicht angestiegen ist und seither wieder sinkt. Obwohl der Mindestlohn seitdem gestiegen ist.

(Und es wird noch schlimmer kommen. Jetzt hat ja der EuGH, jene Brutstätte der Weltrevolution, dem arbeitgeberfreundlichen Prinzip der 'Vertrauensarbeitszeit' einen Riegel vorgeschoben, indem er eine genaue Erfassung der Arbeitszeiten vorschreibt. Was soll nur werden ohne "Zwanzig Überstunden im Monat sind bei uns inklusive."?)

Doch die Zumutungen wollen kein Ende nehmen. Jetzt erfrechen sich schon welche, den Fachkräftemangel dergestalt schamlos auszunutzen, dass sie eine Vier-Tage-Woche fordern. Nur! Vier! Tage! Arbeiten! Und das, wo doch jeder weiß, dass deswegen Die Deutsche WirtschaftTM definitiv mit einem Ächzen im Abgrund versinken wird. Wo doch allgemein bekannt, dass der Plebs mit so viel Freizeit gar nicht umgehen kann und das eherne Gesetz von Angebot und Nachfrage stets und jederzeit ausschließlich zum Nutzen des Kapitals zu gelten hat.

Irgendwann in den Neunzigern, als Erich Böhme noch bei SAT 1 talkte, saß dort mal eine Runde, in der der einstige FAZ-Herausgeber Hugo Müller-Vogg vertreten war und ein Soziologe, dessen Name mir leider entfallen ist. Als Müller-Vogg anhub, über 'Sozialschmarotzer' und 'Sozialmissbrauch' zu schwadronieren, fuhr im letzterer in die Parade und meinte, er sei gern bereit, über Sozialmissbrauch zu diskutieren, sofern im selben Maße über Steuerhinterziehung geredet werde. Das war dann schnell Ruhe im Saal und der sonst so eloquente Müller-Vogg überraschend maulfaul. Brummelte was von "Kannmansonnichtsagen! Unverschämtheit!"

Auf das o.g. Preßerzeugnis übertragen, könnte man also sagen: Wir können gern diskutieren über unverschämte Streikende, wenn wir mit gleicher Verve diskutieren über all jene Unternehmen, die in der Krise mit saftigen Preiserhöhungen astronomische Gewinne gerafft haben.

Aber ich Geizhals habe ja auch nur den Teaser gelesen. Was weiß denn schon ich?

***

Dann ist da noch Sabine Röthig. Die gab jetzt in der 'Berliner Zeitung' den Klimaklebern ungefragt wertvolle Tipps, wie sie mit besserem Styling ihre Chancen auf mehr Akzeptanz in der Bevölkerung signifikant erhöhen könnten.

"Was die deutsche Klima-Armee offenbar noch nicht verstanden hat: Keine Revolution lässt sich ohne Stil anzetteln. Man denke nur an die Rote-Armee-Fraktion, deren Anführer für ihren Style bis heute in der Popkultur gefeiert werden und die sogar ein Logo hatten. [...] Auch wenn es hilft, als Rebell ein schönes Gesicht oder einen tollen Körper zu haben, hat der liebe Gott das nicht für jeden vorgesehen. Deswegen ist ein Signature-Style das eigentliche A und O, um sich zur Marke zu machen und Follower zu begeistern." (Röthig, a.a.O.)


Kopf. Tischkante. Aua.

Abgesehen davon, dass man über Anliegen und vor über allem Methoden der 'Last Generation' sowie die Doppelmoral einiger ihrer Akteure gewiss kritisch diskutieren kann, und ferner abgesehen davon, das Röthigs Textlein eventuell gewisse Klischees über die intellektuelle Fallhöhe von Modejournalist:innen bedient, muss man sagen: Respekt! Das muss man hinkriegen: Einer Gruppierung, die von CDU/FDP abenteuerlicher- und unverdienterweise als "neue RAF" gebrandmarkt wird, empfehlen, sich mal ein Beispiel an der RAF zu nehmen. Ist das noch kreativ oder schon medikamentös?

Man könnte auch so sagen: Wenn an der Nummer mit dem Klimawandel und seinen Auswirkungen  auch nur ansatzweise was dran sein sollte, dann sind Fragen nach Aufmachung und Signature Stlye unsere geringsten Probleme.

Vielleicht habe ich auch einfach nur keinen Humor.

Sicher hingegen scheint mir, dass es deutlich schmerzloser ist und sich's besser lebt, wenn man zumindest Teile des politischen Journalismus als das begreift, was sie offenkundig sind: Unterhaltungsformate.







7 Kommentare :

  1. Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.

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  2. Danke. Ich habe den Link mal anonymisiert. Sicher ist sicher.
    Cliquez s.v.p.

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  3. ... das mit dem Kopf auf den Tisch unterschreibe ich dir.
    Dem Kapital fällt doch immer wieder das Gleiche zum Thema Lohnverzicht ein: a. der Wirtschaft gehts gerade nicht gut. b. wir dürfen das zarte Pflänzchen des Aufschwungs nicht abwürgen. Da beide paar Schuhe nun abgelatscht sind, sucht man sich was Neues aus — siehe oben. Weitere spontane Vorschläge: Gewrkschaftliche Solidarität mit dem Klimawandel, Solidarität mit der Acatamawüste, Solidarität mit der Ukraine, Solidarität mit Taiwan — die Liste der absurden Möglichkeiten ist grenzenlos ( in ihrer Dummheit).

    Gruß
    Jens

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  4. "Vielleicht habe ich auch einfach nur keinen Humor."

    Das wird es sein. Einfach mal zusammen ne Runde lachen, dann wird es wieder. Medientexte kann man sich ansonsten auch schönsaufen.
    Was den Style der Letzten Generation angeht, vielleicht könnte man das RAF-Logo nehmen, statt RAF einfach LG reinschreiben und die Flinte durch eine Sekundenklebertube ersetzen. Dann haben die Röthigs wieder was zu schreiben.

    Und um ganz "anzukommen" könnten die Klimaaktivisten einfach einen Dachverband der Klimaaktivisten in Deutschland (DdKAiD) oder so gründen, mit Büro in Berlin, Webseite, Newsletter usw.

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    1. Etwas Ähnliches gibt es bereits:
      https://shop.titanic-magazin.de/textilien/t-shirt-ring-deutscher-makler.html

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  5. Zu Karl Kraus: "Es gibt immer etwas zu Schreiben - es fällt einem nur nicht immer ein." (Glumm)

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  6. Ja Sozialbetrug.
    Hat der Herr H. Heil gerade in einer Talkshow verkündet, zukünftig gerne KI (genrativer Transformer) in zb Stimmanalysen gegen Sozialbetrug einzusetzen. Kein Wort von Steuerbetrug, Schwarzarbeitanbieterei oder ähnlichem.
    Zur Erinnerung, Sozialbetrug 2022 kostete 14.121.501 Euro, geschätzter jährlicher Steuerbetrug ca 100.000.000.000 Euro (etwa das 7000 fache).
    Keinerlei Widerworte darauf.
    Da zeigt sich, wo die Lobby steckt.

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