Unter Realitätsverweigerern

In letzter Zeit fällt mir immer öfter das ein, was ich irgendwann mal 'atheistischer Fehlschluss' nannte. Atheisten, und nicht nur die, neigen mitunter zu der Annahme, ein Verschwinden der Religion aus dem öffentlichen Leben bzw. ein Verlust an Bedeutung führe dazu, dass überall Vernunft und Rationalität Einzug halten. Ich bin da skeptisch, würde sogar sagen, das Gegenteil ist richtig. Gilbert Keith Chesterton, Erfinder der Figur des Pater Brown, sagte einst den klugen Satz:

"When people stop believing in God, they don’t believe in nothing - they believe in anything."

Ich denke inzwischen, die Grünen füllen eine Leerstelle (oder sind da reingetappt): Sie haben in der Wahrnehmung von Teilen der Öffentlichkeit die Rolle eingenommen, die einst der Pfarrer auf der Kanzel innehatte: Den Menschen erklären, dass sie Mist bauen und sich bessern müssen, sonst droht ihnen übles. Die schlechten Nachrichten überbringen müssen: Es wird unbequem und es wird teuer. Und das hört natürlich keiner gerne. Erst recht nicht eine Bevölkerung, die sich 16 Jahre lang mehrheitlich von einer Kanzlerin in eine Komfortzone hat lullen lassen, in der alles immer so weitergehen wird wie bisher.

Wir haben es es also möglicherweise mit einer Art Religionskrieg zu tun bzw. mit einer Auseinandersetzung, die längst jedes Maß verloren und eine Schärfe angenommen hat, die an Religionskriege erinnert. Im Falle der Grünen, die man ja mit Recht für vieles kritisieren und denen man einiges vorwerfen kann, darunter ihre, gelinde gesagt, katastrophale Kommunikation nach außen, scheint inzwischen so ziemlich nichts mehr zu dumm, zu absurd und zu weit hergeholt zu sein, um nicht noch als spottbilliger Anwurf dienen zu können.

Mein allerliebster ist ja der mit der Realitätsverweigerung.

Bedaure, aber zu den Realitäten gehören folgende:

• Der Klimawandel passiert und er ist menschengemacht.
• Die CO2-Emissionen durch fossile Energien müssen runter, erneuerbare Energien hochgefahren werden.
• Und das so schnell und flächendeckend wie irgend möglich.
• Je länger wir warten, desto teurer und unbequemer wird es.
  

Die Grünen in Bausch und Bogen dafür zu verdammen, dass sie das angehen, wird keines dieser Probleme auch nur im Ansatz lösen.

Mein zweitliebster ist: Wir können die Welt nicht allein retten. Die ganze Welt lacht sich kaputt über die deutschen Moralweltmeister und ihren Wärmepumpenirrsinn ("Heiz-Hammer!!!").

Soso. Interessanterweise liegt Deutschland beim Einbau von Wärmepumpen im internationalen Vergleich auf dem vorletzten Platz vor Großbritannien. An der Spitze liegen nordeuropäische Länder. Und China überholt gerade die restliche Welt beim Aufbau von Solaranlagen.

"Hahaha, die dummen Schweden, Finnen und Norweger! Wissen nicht, dass es bei ihnen im Winter kalt ist und ihre doofen Wärmepumpen da gar nicht funktionieren werden. Hahaha, die dummen Chinesen! Wissen nicht, dass ein paar Solarpaneele die Welt nicht retten werden, hahaha! Zum Glück sind wir Dagegendeutsche da viiieeel weiter."

"Wir wenden einerseits ein, dass wir die Welt nicht alleine retten können und:

- fordern gleichzeitig Schutz der deutschen Autohersteller vor billigen E-Autos aus China
- beschweren uns bei den USA, dass auch europäische Unternehmen da drüben demnächst steile Klimavorgaben einhalten müssen
- denunzieren die energetisch bei weitem effektivste Form des Heizens (Wärmepumpen) als kommunistischen Ökowunschtraum, obwohl sie in jedem anderen entwickelten Land dieses Planeten wunderbar funktioniert ...
- ... und wir technisch mit führend bei der Entwicklung dieser Technologie sind
- verhindern die Installation extrem billiger, flexibel abrufbarer und jetzt schon reichlich verfügbarer Windenergie, für die Deutschland geographisch geradezu prädestiniert ist
- vernichten (ohne großes Mediengetöse) 80.000 einheimische Arbeitsplätze in der gerade entstehenden und schnell wieder totgetretenen Photovoltaikindustrie - und schaffen so mittlerweile Millionen von Arbeitsplätzen im Ausland
- erhalten aber zu irrsinnigen Kosten (und mit viel Mediengetöse) die 20.000 Arbeitsplätze im Braunkohletagebau
- und träumen uns Energieformen herbei, die entweder in frühestens 40 Jahren marktreif sein werden (wenn sie es je werden) oder einen hanebüchen schlechten Effizienzgrad haben

Und am Ende werden wir uns, weil wir nun mal Deutsche sind, zutiefst ungerecht behandelt fühlen, weil die Katze tot ist, die wir selbst erwürgt haben.

Und Schuld an allem sind die Grünen, weil sie genau davor immer gewarnt haben.

Und das Lustige ist: diese nur scheinbar völlig widersinnige Politik ist ganz einfach zu erklären und nur der endgültige Beleg für die Korrumpierung weiter Teile der politischen und journalistischen Klasse durch global operierende Mineralöl- und Energiekonzerne.

Oder die eigene Dummheit." (Wolfgang Walk)

Ohne die Grünen bzw. die Ampel unnötig verteidigen zu wollen, stellt sich die Frage: Welche Regierung der Welt hätte eine Chance, all diesen Erwartungen gerecht zu werden? Gipfel der Ironie: Jene Partei, die 16 Jahre lang (teils mit tatkräftiger Unterstützung der Spezialdemokraten, das sollte man nicht vergessen) dafür verantwortlich war, dass alle Schritte in Richtung Energiewende, gleich wie zaghaft, abgewürgt, torpediert und wieder rückgängig gemacht wurden, und die Abhängigkeit von russischem Gas verdoppelt wurde, spuckt jetzt die größten Töne und flutet die Zone mit Fake News. In enger Zusammenarbeit mit den Springermedien übrigens (das muss diese linksgrün gleichgeschaltete Presse sein, die immer geschlossen Regierungspropaganda betreibt).

Hätten Sie’s gewusst? Die CDU hat im Januar beschlossen, sich als "Klimaschutzpartei" zu positionieren. Aber zum Glück sind bigott immer nur die anderen.