Dienstag, 4. Juli 2023

Die Bundesjugendspiele sind nicht das Problem


Jetzt werden also die Bundesjugendspiele in der bisherigen Form abgeschafft. Den Kindern ist das Trauma, eventuell nur eine Teilnehmerurkunde zu bekommen (die es zu meiner Zeit noch nicht gab), nicht mehr zuzumuten, heißt es. Also weg damit. Komisch, ich und die, mit denen ich so rumhing, haben die Bundesjugendspiele damals nie als Zumutung empfunden, sondern eher als nette Abwechslung vom Schulalltag. Typische Bundesjugendspiele sahen für unsereins ungefähr so aus:

8:30 Uhr: Mit Freunden zum Stadion radeln (geil, nicht zur Schule!)
8:50 Uhr: Sehen, wo man seine Klamotten lässt. Vor allem den Proviant sicher zu verstauen war wichtig, außerdem hatte Muttern ein bisschen was springen lassen für Getränke vom Kiosk ("Aber nicht das süße Zeug, hörst du!" - "Ja, Mama."). Seine Riege suchen.
9:15 Uhr: 100-Meter-Lauf. Meist Vorletzter geworden, je nach dem, welche von den anderen Bewegungslegasthenikern von ihren Eltern eine Entschuldigung bekommen hatten. Zwei Stunden warten. Alle Butterbrote aufessen, ungesunde Getränke vom Kiosk trinken.
11:15 Uhr: Ballwerfen. Mittelgut. Ab Klasse 7 auch Kugelstoßen. Schon besser! Ach, das war die Frauenkugel? Mist! Wieder zwei Stunden warten, Schokolade essen, die der beste Freund mitgebracht hat, ungesunde Getränke vom Kiosk trinken.
13:15: Weitsprung. Meist Vorletzter geworden, je nach dem, welche von den anderen Bewegungslegasthenikern von ihren Eltern eine Entschuldigung bekommen hatten. (Hochsprung war keine Alternative, sondern nur was für Bewegungstalente, Sportvereinsmitglieder und Streber.) Eine Stunde warten. Chips vom Kiosk futtern, für ungesunde Getränke reicht das Geld nicht mehr.
14:00 Uhr: Feierliche Verleihung der Urkunden. Kriege mal wieder keine. Trotzdem, ein schöner Tag geht zu Ende. Energiebilanz: Geschätzte 3.000 Kcal eingepfiffen, maximal 300 verbraucht, also positive Energiebilanz. Passt. Sport ist gesund.

Kommt also immer ein bisschen darauf an, was man draus macht. Ab Klasse 11 war sowieso Ruhe, denn da war man Riegenführer oder Messknecht und blieb fürderhin verschont vom Zwangsgesportel.

Nicht näher eingehen sollte man auf jene, die jetzt wieder einmal das Rad drehen vom Niedergang Deutschlands oder von der verweichlichten Jugend. Die Kulturpessimisten, die wegen der Jugend von heute die Welt untergehen sehen und wieder einen weiteren Beweis haben für ihre öde und denkfaule Dekadenzerzählung.

In einer Zeit, in der gerade sehr viele Karten in der Welt auf zum Teil sehr dramatische Weise neu gemischt werden, ist es bekloppt oder zeugt von unguten Obsessionen, überall nur 'Niedergang' zu sehen. Wir wissen irgendwie alle, dass sich gerade vieles ändert und ändern muss, nur eben nicht, wohin die Reise geht. Das erzeugt Ängste und Unsicherheiten, die sich mehr oder minder heftig entladen. Und da hat dergleichen gebildet klingendes Krisengerede natürlich großen Erfolg.


Wenn Nachwuchs tatsächlich in Tränen ausbricht und traumatisiert ist, weil er nicht andauernd Medaillen umgehängt und Preise verliehen bekommt, dann nicht aus Dummheit, Faulheit, Dekadenz oder Verweichlichung oder weil die Blagen alle (außer den eigenen natürlich) "Lappen" (Blome) und Schneeflöckchen sind, sondern weil ein ganz bestimmtes gesellschaftliches Klima herrscht, sie in einem ganz bestimmten sozialen Umfeld groß zu werden die Aufgabe haben, das ihnen gewisse Wertvorstellungen und Prioritäten vorlebt und vorgibt.

Dazu bedarf es Eltern, die dem Nachwuchs von Geburt an ein Gefühl von Großartigkeit vermitteln, das selbigen glauben lässt, andauernd ein Anrecht auf alles Mögliche zu haben und sofort mit dem Anwalt kommen, wenn jemand es wagt, den Thronfolgern auch nur leise zu widersprechen. Überzeichnet? Mag sein, aber es geht um die Gesamttendenz.

Solche Kinder tun mir leid. Sie können nichts dafür. Fängt ja schon im Vorschulalter an. Kennen Sie 'Conni'-Bücher?

"Dieses Mädchen, das ein Hobby nach dem nächsten ergreift, jedes Fußballturnier, jede Ballettaufführung, jeden Schwimmwettbewerb meistert und sogar jede verdammte Pizza mit Bravour belegt, nervt uns so sehr, dass auf Twitter regelmäßig Hashtags wie #darkconni auftauchen, unter denen man sich ordentlich Luft machen kann." (Juli)

Und wenn so ein Konzept dann auf die raue Realität trifft, mal was eben nicht klappt, und entwicklungsbedingt die Fähigkeit zum Unterscheiden zwischen Fiktion und Nichtfiktion noch nicht so ausgeprägt ist, dann kann das auf Dauer ungute Folgen haben. Ich sehe übrigens durchaus die gute Absicht dahinter: Kinder sollen ermutigt werden, alles auszuprobieren, vieles ist gar nicht so schwer usw. Kann aber auch nach hinten losgehen.

Natürlich sind diese Büchlein nur ein Einzelaspekt, den man nicht überbewerten sollte. Andererseits passiert der anhaltende Erfolg der Reihe ja nicht im luftleeren Raum und hat möglicherweise etwas zu sagen. Im Kosmos der superangepassten Conni scheitern meines Wissens nach immer nur die anderen oder können zumindest etwas nicht so gut. Solch niedlich daherkommende, rohbürgerliche "Ich zuerst!"- bzw. "Mein Kind zuerst!"-Attitüde fällt offenbar auf fruchtbaren Boden vielleicht sogar vornehmlich in jenen Milieus, die sich jetzt erfolgreich für die Abschaffung der Bundesjugendspiele eingesetzt haben.

Nur aus den besten Absichten, versteht sich. Man will Kinder stark machen, ihnen möglichst Vorteile verschaffen in den Verteilungskämpfen, die man wohl nicht zu Unrecht vor ihnen liegen sieht. Nur ist gut gemeint mitunter das Gegenteil von gut.

Moment mal! Soll die lustige Erzählung weiter oben nicht auch irgendwie heißen, dass früher alles besser war? Bestimmt nicht. Als notorisch Unsportlicher wurde man schon damals von entsprechenden Mitschülern jahrelang übel gehänselt. Auch Sportlehrer machten einen teils offen herunter in einer Weise, die heute zum Glück nicht mehr akzeptabel wäre. Mein Pech war, dass ich in Leichtathletik und Turnen, worin es Bundesjugendspiele gab, ziemlich schlecht war (und im Mannbarkeitsbeweis Fußball allenfalls mittel, weshalb ich immer in die Abwehr kam, wo ich natürlich Gegentore verschuldete), ich aber keine Chance hatte zu zeigen, dass ich schon damals ziemlich gut schwimmen konnte.

Nein, nichts war früher per se besser. Nur schien es mir, s.o., andererseits auch mehr Raum für Scheißegal-Attitüden zu geben und es schien mir akzeptierter, dass die einen halt dieses gut können, die anderen hingegen jenes.

Sollen sie 'Wettkampf' halt ersetzen gegen 'Wettbewerb'. Das Kernproblem liegt woanders.







6 Kommentare :

  1. Deckt sich mit meinen Erfahrungen aus den 60ern: die Leichtathleten waren auf ihrem Terrain und haben sich reingehängt, die Ballsportler und faulen Säcke haben sich einen schönen Tag an der frischen Luft gemacht, und wer was für eine Urkunde bekommen hat, war vollkommen egal. Hat doch zwei Tage später eh keiner mehr dran gedacht.

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    1. Schien interessanterweise auch in der Sportübermacht DDR nicht viel anders gewesen zu sein, wie dieser Kommentar zeigt.

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  2. @Stefan (17:23): Soweit ich das zu 'Ostzeiten' erlebt habe, war es sogar noch lustiger, da wir Vollverpflegung mit Bratwurst/Gulaschkanone & Faßbrause hatten (Essensmarken für lau) und nur Wettbewerb bestand wenn wer wollte - sowohl gegeneinander als auch 'gegen' die schulinterne Rekordtafel... Bis auf wenige verregnete Ausnahmen (und ein paar Verletzte - ich erinnere eine Schubkarre, die auf der Laufbahn rumstand) waren das so oder so nette Tage der Abwechslung.

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  3. ... macht nur weiter so.
    Irgendwann springe ich über meinen Schatten (48 Jahre SPD und ein paarmal Linke gewählt) und dann gibts ein Kreuz bei den Blauen.

    Gruß
    Jens

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    1. Waren das noch Zeiten, als das noch so geregelt wurde.

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    2. .... vergessen, ich war meine ganze Schulzeit lang und auch im Handballverein immer nur Mittelmaß — manchmal drunter, manchmal, wenn ich nen guten Tag hatte, drüber. Anscheinend aber durch die Erziehung meiner Eltern so gestärkt, dass ich das ohne Schaden überstanden habe.

      Gruß
      Jens

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