Dienstag, 25. Juli 2023

Jenseits der Blogroll - 07/2023

 
"Der Zustand der gesamten menschlichen Moral läßt sich in zwei Sätzen zusammenfassen: We ought to. But we don't." (Kurt Tucholsky)

Die Links und Fundstücke des Monats. Was ist eigentlich mit dem Ukraine-Krieg? Da wird nach wie vor gekämpft, gelitten und gestorben, aber das alles scheint inzwischen mehr im Hintergrund zu laufen. Gewöhnung, sicher. Traurig, war aber irgendwie abzusehen. Auch scheint das ganze Elend sich so zu entwickeln, wie mir das schon ganz zu Beginn spontan in den Sinn gekommen ist: Zu einem mühsamen, blutigen Abnutzungskrieg, in dem es nur mehr um Material geht und darum, welche Seite am Ende mehr Ressourcen mobilisieren kann. Die Weltkriege eins und zwei grüßen von ferne.

Und weil man nichts genaues sagen kann, schießen auch Spekulationen so ins Kraut. Urteile sollte man Profis überlassen wie Oberst Reisner. Das ist zwar auch schon einen Monat alt, aber wohl das Fundierteste, was im deutschsprachigen Raum momentan so zu kriegen ist.

Ein Thread zur NATO-Osterweiterung.

Es ist bekannt, dass ich die Nachdenkseiten schon seit längerem überwiegend kritisch sehe. Umso hervorhebenswerter, dass Jens Berger sich unmissverständlich zum Thema AfD positioniert.

Gesammelte Zitate von Unionspolitikern zum Thema Asyl. Aus den Neunzigern. Nur falls jemand wieder sagt: Jaaaa, damals unter Kohl hätte es sowas aber nicht gegeben!

"Der radikalisierte Konservatismus besorgt das Geschäft der Rechtsextremisten. Friedrich Merz ist der größte AfD-Macher im Land.", meint Robert Misik. Mit Recht.

Bleiben wir in Österreich. Ein lesenswertes Interview mit Robert Menasse
über die EU und die Europäische Idee.

"[In] fast allen europäischen Mitgliedsstaaten [gibt es] Politiker [...], die in Sonntagsreden sagen, dass sie glühende Europäer seien, dann aber de facto antieuropäische Politik machen. Sie benutzen Brüssel bloss als Bankautomat. Sie heben Geld ab, aber Gemeinschaftspolitik blockieren sie. Das heisst dann Verteidigung der nationalen Souveränität. Und Wähler, die nicht aufgeklärt sind im Hinblick auf die europäische Idee, finden das super. Aber in Hinblick auf globale Krisen gibt es keine nationalen Lösungen. Dann sagen die Menschen: Die nationalen Politiker sind nicht konsequent genug, und wählen noch radikalere Nationalisten." (Menasse, a.a.O.)

Georg Seeßlen über Kulturkampf als rechtes Framing.

Die kuwaitische Journalistin Fajer Alsaeed so: Die Hisbollah verträgt keine Kritik. Der ehemalige kuwaitische Informationsminister Sa'ad Bin Tefla al-'Ajmi so: Die Palästinenser-Führunng ist schuld am Leid der Bevölkerung. Fürs Protokoll.

Der OXI-Blog zum Thema Arbeitsverweigerung.

Anne Applebaum über 'Metoo' und die neuen Puritaner.

"It’s not wrong to want a more comfortable workplace, or fewer grumpy colleagues. The difficulty is that the feeling of discomfort is subjective. One person's lighthearted compliment is another person’s microaggression. One person's critical remark can be experienced by another person as racist or sexist. Jokes, wordplay, and anything that can have two meanings are, by definition, open to interpretation." (Applebaum, a.a.O.)

Jup.

Frank Stauss und die woke Wärmepumpe.

Thomas Rau mit ein paar hilfreichen Regeln für politische Diskussionen.

Kultur/Gesellschaft/Gedöns. Bret Deveraux erklärt, warum das populärkulturelle Gemache um die antiken Spartaner Blödsinn ist.

Victor Auburtin (1870-1928) über das Trinken.

Ein schönes Interview mit dem Frankfurter Antiquar Wolfgang Rüger, der sich selbst auch "Sklave von Jeff Bezos" nennt. Bei ihm habe ich übrigens schon öfter was bestellt. Über antiquariat.de, wie sich’s gehört. Top Service!

Musik. Jetzt dreht er endgültig durch. Ich empfehle diesen Podcast über das 1999er-Debutalbum '... Baby One More Time' von Britney Spears. Über die stand mein Urteil lange Zeit ziemlich fest: Eine indolente, ferngesteuerte Hupfdohle, die Liedchen nachträllert und, gepusht von den Medien, darunter damals noch populäre Musiksender wie MTV, Millionen für nix einsackt. Danach bekam ich noch mit, dass die Tante irgendwie Dauerstress mit der Familie hatte und eine Zeitlang unter Kuratel gestellt wurde. Nicht meine Mucke, nicht meine Welt, das.

Ein paar Jahre später unterhielt ich mich mit einem Produzenten aus dem Metal-Bereich über billige Poppmusik, darunter Britney. Der meinte zu meiner großen Überraschung, Spears sei eine phantastische, weithin unterschätzte Sängerin und Künstlerin. Zwar sei sie keine Songwriterin, sondern Performerin, aber sie habe schon als 15jährige entscheidenden Anteil daran gehabt, dass ihr erstes Album so ein Erfolg gewesen sei. Der legendäre Bühnenkuss mit Madonna sei kein Showeffekt gewesen, sondern ernst. Na bumm! Da fiel mir nix mehr ein.

Und so war ich letztens doch neugierig, was Stephan Kleiber über das Album zu sagen hat und muss gestehen: Obwohl diese Musik nach wie vor nicht zu mir spricht, habe ich wohl falsch gelegen. Dass unter anderem Billie Eilish und Taylor Swift sich heute auf sie als Inspiration und Vorbild berufen, sollte einem vielleicht was sagen. Und ihr tragischer weiterer Werdegang sagt wohl mehr Unbequemes über unsere Zeit aus als einem lieb ist. Auch wenn man mit der Musik nichts anfangen kann, ein hoch interessantes kulturelles Phänomen.

(War jetzt länger, pardon, dafür reiße ich mich beim Rezept am Riemen.)

Ein Spears-Video mag ich hier aber doch nicht einstellen. Dafür eine echte Wiederentdeckung. Die hinreißende Alice, die noch heute musikalisch unterwegs und kein Stück weniger hinreißend ist, hatte 1981 ihren Durchbruch mit Franco Battiatos grandiosem Song 'Per Elisa'. Man könnte zum Achtziger-Nostalgiker werden.


(Video im erweiterten Datenschutz-Modus. Anklicken generiert keine Cookies.)


Sport. Gareth Joswig erinnert zum 50. an den Bremer 'Kugelblitz' Ailton und staunt immer noch darüber, wie er mit seiner, sagen wir, eher presswurstigen Statur und entsprechender Trainingsdisziplin allen Gegenspielern entwischen konnte.

Essen/trinken/gut leben. Maître Klink weilte zu diesem Zwecke im Burgund.

Jürgen Dollase testete 2019 vegane Burger von Aldi und Lidl. Sein Fazit: "Es überwiegt vor allem der Eindruck, dass man sich nichts Gutes tut, wenn man sich mit Nahrungsmitteln dieser Art beschäftigt."

Die Dortmunder Bierkultur feiert, so ist zu vernehmen, eine Wiederauferstehung. Gut so. Dortmunder Bier steht nämlich zu Unrecht im Ruf, muffige Malochermocke zu sein, die allein zum dumpfen Bedröhnen taugt. Zwei Tipps, wenns kein Pils sein muss: Bergmann Bier und Union Export.

Der Frankfurter Michael Herl über die Grüne Soße.

"Einmal mit der Sense durch den Garten, alles mit Schmand angerührt, gesalzen und gepfeffert, fertig ist der sogenannte Hochgenuss. Eine armselige Angelegenheit." (Herl, a.a.O.)

Gab den erwartbaren Ärger. Enthält aber einen durchaus anregenden Gedanken, nämlich den, dass die 'Grüne Soße' bzw. 'Grie Soß'' gern als Universalentlastungsargument hergenommen wird, wenn es heißt, die deutsche Küche sei in toto zu wenig frisch und elegant und mehr so sattmachend. Dann heißt es oft: "Jaaa, aber die Grüne Soße!"

Das Rezept. Nochmal Vince Klink. Mit einem Ragout vom Sommerreh. Klink weist hier zu Recht darauf hin, dass beim Schmoren meistens der Fehler gemacht wird, alles in Flüssigkeit zu ersäufen, Meistens in der Absicht, viiiel Soße bzw. 'Sohse' zu erhalten. Dadurch bekäme man aber kein Schmor-, sondern Siedefleisch. Ferner ist es ein Irrglaube, dass Wild nur etwas für Herbst und Winter sei. Waidgerecht erlegtes Wild wochenlang halb verwesen lassen und dann mit intensiven Gewürzen zuzudonnern, um den strengen Geschmack zu überdecken, ist unnötig, seitdem Wildbret nicht mehr, wie einst vom Adel, stundenlang gehetzt wird.








4 Kommentare :

  1. Ich ess grüne Sauce ja ganz gern, besonders zu gekochtem Rindfleisch, der Kontrast zwischen heißem Siefleisch und kühlem Kräuterschmand ist durchaus angenehm. Der Kult um die sieben Kräuer, die reingehören, ist einigermaßen dämlich. Wenn ich im Winter, wenn es diese Kräuterbündel nicht gibt, Bock auf Grüne Sauce hab, mach ich eine mit der üblichen Tiefkühlkräutermischung. Schmeckt etwas anders, aber ebenfalls angenehm.
    Und herzlichen Dank für den Verweis auf Auburtin, der Mann war neu für mich.

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    1. Das mit den TK-Kräutern ist mal eine hervorragende Idee!
      BTW: Ich wette, wenn Iglo/Frosta oder so eine TK-Kräutermischung 'Grüne Soße' auf den Markt brächte, das würde keiner der Frankfurter Kräuterconaisseure bemerken...

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  2. Ich würde mich von Jens Bergers AfD-Artikel nicht blenden lassen. Was die Nato- und USA-Kritik und die Russlandpolitik der NachDenkSeiten betrifft ist sie ganz nahe bei der AfD, finde ich.
    Zu Spiegelfechters Zeiten war Jens Berger (heute 'CHEFredakteur' bei den NachDenkSeiten) zB klar gegen Daniele Ganser. Heute jedoch...

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    1. In den Leserbriefen zum Artikel präsentierten die NDS einmal mehr den hohen Anteil an überzeugten AfD-Wähler*innen unter ihren Fans. Bonmot daraus: "Ich bin also Nazi ..und fühle mich auf Euren Seiten ausgesprochen wohl, in 90% der Fälle lese ich hier meine Meinung, hätte aber gerne das diese Leute mit denen ich auf einer Welle schwimme gemeinsam in demokratischen Verfahren an einem Strang ziehen."
      Konsequenterweise verbittet sich heute 3.8. NDS-Chef Albrecht Müller unter Hinweis auf einen ominösen "Kippschaukeleffekt" weitere AfD-Kritik - die NDS sind schliesslich von den Spendengeldern ebendieser AfD-Wähler*innen abhängig.

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