Die Boomer werden sich erinnern. An den westdeutschen Fabrikatsnationalismus. Nur hierzulande, so ging einst die Fama, wurde akzeptable, sprich: allerhöchste Qualität produziert. Und so hatte, wer auf sich hielt, ausschließlich deutsche Elektrofabrikate im Hause. Grundig, Nordmende, Telefunken, Saba, Uher, Braun, Dual, Perpetuum-Ebner, Elac und wie sie alle hießen. Wer fotografierte, für den kamen, so er sich's leisten konnte, nur Rollei, Voigtländer, Agfa, Leica oder Minox infrage. Und wer es wagte, die treusorgende Hausfrau mit fremdländischer Weißware auszustatten, anstatt mit Constructa, Küppersbusch oder Miele, wie sich’s gehörte, den mochte der Blitz auf dem Klo treffen.
Verdächtig machte sich da schon, wer etwa aus dem Versandhauskatalog Ware bestellte, die in der DDR produziert wurde. Wer im hacht erachbeiteten Urlaub eine Kamera der Marke RevueFlex vor der Wohlstandswampe trug, der tat das lieber diskret. Kommunistenfreund, wie? Das ist übrigens kein Witz: Wir wurden in der Grundschule gewarnt, das Heft YPS zu kaufen; Begründung: Wer das täte, unterstütze den Kommunismus. Hintergrund: Das französische Vorbild 'Pif Gadget' war wirklich ein Jugendmagazin der Parti communiste français (PCF). In Deutschland gab es aber keine derartigen Verbindungen.
Selbstverständlich kaufte die breite Masse auch deutsche Autos. VW und Opel für die Massen, Mercedes hatten die, die es geschafft hatten, die Dieselversion ('Heizölferrari' bzw. 'Wanderdüne') war bei Bauern wegen des günstigen Treibstoffs beliebt. BMW fuhren die Individualisten, Porsche die, die es nötig hatten. Westeuropäisches Ausland wurde gerade noch toleriert, aber mit Kopfschütteln quittiert. Soso, da glaubt wohl jemand, er sei was besseres, wie? Überhaupt, wieso sich freiwillig eine reparaturanfällige Dauerbaustelle von Renault oder Fiat auf den Hof stellen, eine Rostlaube von Alfa Romeo? Dass Studenten R4 und 2 CV juckelten, war irgendwie geduldet, denn das waren eh langhaarige Spinner, denen nicht zu helfen war.
Tja, und dann kamen die Japaner. Fluteten den Markt mit Kameras und Unterhaltungselektronik. Bald darauf erdreisteten sie sich sogar, Autos ins Mutterland des Autos zu exportieren. Die Reaktion: Ach ja, die Japaner! Lass die mal kommen. Höhöhö, was können die schon groß? Außerdem kann das ja gar nichts sein, denn der Schrott ist doch viel zu billig. (Wobei noch zu bedenken ist, dass damals teils horrende Zölle fällig waren.) Zehn Jahre später lachte niemand mehr. Stellte sich raus: Der Kram war nicht nur günstiger, sondern auch von mindestens genau so guter Qualität. Die meisten der stolzen deutschen Marken waren bald pleite, aufgekauft oder auf ein Nischendasein geschrumpft, japanische Autos bald fest im Straßenbild etabliert. Nicht zuletzt, weil die damals, von Ausnahmen abgesehen, genau so langweilig aussahen wie die meisten Teutonenkarren.
Und, wie ging die deutsche Wirtschaft mit dieser Demütigung um? Sie erklärte ab den Siebzigern die Japaner zu unseren großen Vorbildern. Jahaaa, hieß es da, das ist ja auch kein Wunder! Der Japaner, der kann nämlich noch arbeiten, an dem sollten unsere faulen, gewerkschaftsgepamperten Laumalocher sich mal ein Beispiel nehmen. Ist dem Arbeitgeber endlos dankbar für die Gnade einer Festanstellung, verzichtet freiwillig auf seine fünf Tage Urlaub im Jahr, arbeitet 12-16 Stunden am Tag und beklagt sich auch nicht, wenn der Herztod ihn dann früh hinwegrafft. Nicht wenigen Volkswirten und Vertretern der deutschen Wirtschaft gingen bei dieser Vorstellung Herz und Hose auf. Jetzt, ein paar Jahrzehnte später, sieht die Sache ein wenig anders aus. Abgesehen davon, dass japanische Autos sich noch immer einigermaßen gut verkaufen, kämpft man dort mit Problemen wie einer heillos überalterten Bevölkerung, bankrotten Staatsfinanzen, damit, dass viele Firmen keine Antwort auf die Digitalisierung haben und dass die junge Generation in Teilen nur wenig geneigt scheint, es den Vorfahren gleichzutun.
Dann wurden ja die Chinesen zu unseren großen Vorbildern. Waren die ersten Importe unter dem Label 'Made in Hong Kong' noch belächelte Billigware, mauserte das Reich der Mitte sich bald zur Werkbank der Welt. (Man muss natürlich die Leistung der chinesischen Regierungen seit Deng Xiaoping würdigen: Niemals zuvor ist es irgendwo gelungen, so viele Menschen aus bitterer Armut in einen, wenn auch bescheidenen Wohlstand zu überführen.)
So wurde es ab den Neunzigern, als unter dem Rubrum 'Globalisierung' die letzten Handelshemmnisse fielen, unter hiesigen Industriellen geradezu Mode, Teile der Produktion nach China auszulagern, die eigenen Belegschaften zusammenzukürzen, die Folgekosten der Sozialversicherung aufzubrummen und dann über hohe 'Lohnnebenkosten' zu jammern. Und wieder so: Jahaaa, das ist ja auch kein Wunder! Der Chinese, der kann nämlich arbeiten. Kloppt Sechstagewochen mit Zwölfstundenschichten, hält Gewerkschaften, Achtstundentage und bezahlten Urlaub für lächerliche Auswüchse westlicher Dekadenz und Verzärtelung und ist der Obrigkeit dankbar für alle Segnungen, macht Kotau, anstatt immer nur zu meckern.
Und nun mehren sich die Zeichen, als schwächele auch die chinesische Überwirtschaft ein wenig. Was aber für Uns DeutscheTM kein Grund zur Erleichterung ist, im Gegenteil: Überall machen sie alles inzwischen besser als hier, so wird gebarmt. Das AuslandTM schwanke zwischen Schadenfreude und Sorge wegen des baldigen Kollaps' der größten Volkswirtschaft Europas. Noch nicht einmal ihre Minister bekommen sie noch von A nach B geflogen, diese Deutschen. Noch schlimmer: Sogar die Franzosen überholen uns inzwischen. Die Franzosen! Dabei kann das ja quasi gar nicht sein, weil die doch dauernd am streiken sind und kurz nach der Ausbildung schon wieder in Rente gehen. Also im Prinzip eigentlich gar nicht richtig arbeiten.
Nun könnte man sagen: Hey, eine großartige Chance, mal zu entspannen und sich im Mittelmaß einzurichten. Die meisten Länder auf der Welt kommen prima klar, ohne immer nur die Numero Uno sein zu müssen. So eine Lektion in Demut stünde uns doch auch einmal gut zu Gesicht, nicht wahr?
Hätte ich eigentlich nichts dagegen. Nur ist das eben so, dass man, erstens, von dem Katastrophengebarme vieles abziehen muss. Erinnert sich noch einer an den letzten Sommer? Was wurde uns da alles prophezeit. Kalte Wohnungen! Gasrationierungen! Hungersnot! Eingetreten davon ist genau -- was? Eingetreten ist definitiv, dass die 'kleinen Leute', die sich schon zuvor für den 'Exportweltmeister' genau nichts kaufen konnten, weiter verarmen und die Hauptlast der Inflation tragen. Und jetzt wird wohl mit dem aktuellen Untergangsgerede des bourgeoisen Preßwesens eine neue 'Agenda 20XX' medial vorbereitet.
Man kennt das inzwischen. Spätestens wenn wieder die Rede ist vom 'Gürtel enger schnallen' und von 'die fetten Jahre sind vorbei' (alle, die die letzten Jahre/Jahrzehnte vom Mindestlohn oder Jobcenter leben mussten, werden sich fragen, welche 'fetten Jahre' genau da eigentlich gemeint sind), ist klar, wohin die Reise gehen wird. Nur ist dieses Mal immerhin eines anders: Es gibt kein Überangebot an Arbeitskräften mehr, viele Arbeitgeber finden keine Leute, bis in den öffentlichen Dienst ist die Lage teils dramatisch. In so einer Situation wie einst unter Schröder den Faktor Arbeit noch einmal zu verbilligen (das eigentliche Ziel der 'Agenda 2010'), dürfte da vielleicht keine allzu gute Idee sein.
"mal zu entspannen" … genau das geht mit einem Großteil der Bevölkerung nicht mehr. Nur noch Ahnungslose Besserwisser und "Ichichichlinge" um uns herum. Ich frage mich, wie viele Generationen es wohl braucht, um wieder normal zu werden.
AntwortenLöschenGruß
Jens
Der Chef Gesamtmetall gibt momentan ein Interview nach dem anderen. Als eine der "Krankheiten" Deutschlands identifiziert er die "hohen Lohn- und Lohnnebenkosten". Abgesehen davon, dass es betriebswirtschaftlich gesehen keine 'Lohnnebenkosten' gibt, muss der jetzt aber mal verraten, wie er mit weniger Lohnkosten mehr Fachkräfte bekommen will. Merke: Angebot und Nachfrage hat immer nur für die anderen zu gelten...
LöschenEr meint sicher die Lohnkosten im Management :o)
LöschenBe-stimmt! Kann eigentlich gar nicht anders sein.
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