Samstag, 26. August 2023

Jenseits der Blogroll - 08/2023


Meine Güte, ist das ein Hamsterrad oder grüßt von irgendwo ein Murmeltier? Das Fundstück der Woche war sicher das Foto, das Harald Schmidt auf einer Veranstaltung der rechten 'Weltwoche' bei fröhlichen Partymachen mit den Herren Matussek und Maaßen zeigt. Die Reaktionen waren so öde wie vorhersehbar: Entweder "Hängt den Nazi höher!" oder "Soso, jetzt wollen die linksgrünwoken Kryptofaschisten dem Herrn Schmidt auch noch das Feiern verbieten!" Empör, empör! Oder auch: "Hihihi, jetzt kriegen die ganzen Linken wieder Krämpfe, huhuhu, voll witzig!" Gähn.

Ich mache weder das eine noch das andere, meine aber ein Muster zu erkennen: Möglicherweise der nächste, der in den Neunzigern zwar nicht links, aber definitiv mal originell war und der es jetzt offenbar irre originell findet, sich in völkisch-rechtsnationalen Kreisen zu tummeln. Schade eigentlich. Manchmal fühlt man sich so müde.

Politik
. Stefan Sasse über das pünktlich zur Landtagswahl in Bayern aufgetauchte Flugblatt, dessen Urheber der damals 17jährige Hubert Aiwanger gewesen sein soll. Der Aiwangerhubsi, ohne den der Södermarkus wohl auch heuer nicht wird regieren können, räumt zwar ein, ein paar Exemplare des Blattes verteilt zu haben, streitet aber die Autorenschaft ab. Er gab an, zum Direktor bestellt worden zu sein und habe die Sache mit einem Referat ("unter Druck") aus der Welt schaffen können. Immerhin hat er sich noch nicht mit Hans Scholl verglichen. Wegen Flugblättern, verstehense?

Der Vollständigkeit halber sei aber noch erwähnt, dass einen Anfang der Achtziger ein 'Stoppt Strauß!'-Button in Bayern durchaus einen Schulverweis einbringen konnte.

Robert Misik meint, wir sollten mit dem Begriff 'Polarisierung' vielleicht etwas vorsichtiger umgehen.

Leo Fischer beleuchtet die Wissenschaftsfeindlichkeit und die BWLisierung der Universitäten.

Herr Schröder hat hier völlig recht. Wer in Deutschland echte Diversity erleben will, muss frühmorgens mit der U-Bahn fahren. Da sitzen die, die nicht um halb fünf aufstehen für ihr achtsames Morgenyoga, sondern weil sie müssen. Weil sie die Jobs machen, die sonst keiner machen will. Das diverse Deutschland auf heiteren Werbeabziehbildern, wo alle Topjobs paritätisch und blumenstraußbunt besetzt sind, ist ein kitschig-verlogenes Wunschbild einer bourgeoisen Pseudolinken. (Man sollte nie vergessen, dass die Forderung nach einer multikulturellen Gesellschaft, deren erster prominenter Fürsprecher in D-Land übrigens ein gewisser Heiner Geißler (CDU) war, keine linke und auch keine grüne, sondern eine liberale Forderung war.) Boris Palmer mag einst den Bahnwerbespot aus anderen Motiven heraus kritisiert haben, in der Sache hatte er nicht unrecht.

David Walsh arbeitet anlässlich des Freispruchs für Kevin Spacey in London heraus, dass die Meetoo-Bewegung die Welt weder besser noch gerechter macht.

"Die treibende Kraft hinter diesen Bestrebungen war eine wohlhabende Schicht des oberen Kleinbürgertums, deren Instinkte und Methoden rachsüchtig, undemokratisch und autoritär sind. [...] [Die] sexuelle Hexenjagd wird von starken gesellschaftlichen Strömungen angetrieben. Die verschiedenen feindseligen Reaktionen auf den Ausgang des Spacey-Prozesses machen deutlich, dass diese Kräfte nicht verstummen werden. [...] Spaceys Freispruch ist eine willkommene Entwicklung, doch die politischen Kräfte, die hier am Werk sind, insbesondere die Pseudolinken in den Medien, Universitäten und anderen Bereichen, müssen systematisch entlarvt und diskreditiert werden." (Walsh, a.a.O.)

Kultur/Gesellschaft/Föjetonggedöns. Martin Walser ist im biblischen Alter verstorben. Konnte ich nie viel mit anfangen. Außer mit der Novelle 'Ein fliehendes Pferd', die den westdeutschen Seventies-Pief großartig einfängt. Wie einst Marcel-Reich Ranicki, ist Benjamin Ortmeyer weniger angetan.

Markus Thielemann über Herrmann Löns, dessen Werk bei den Nazis höchstes Ansehen genoss, dessen rassistische Rachephantasie 'Der Wehrwolf' bei HJ und SS einst Pflichtlektüre war, und der nach dem Krieg in Westdeutschland zum 'Heimatdichter' und 'Naturschützer' betulicht wurde.

RS Benedict wundert sich über moderne Action- und Superheld*innenfilme. Weil die den Körper gleichzeitig fetischisieren und desexualisieren. 

Der 1972 in Köln geborene Fatih Çevikkollu ist als Comedian und Kabarettist sowie einst als Nebendarsteller der Serie 'Alles Atze' bekannt geworden. Seine Eltern waren in den 1960ern aus Adana nach Köln gekommen, wo der Vater bei Ford arbeitete. Der Tod seiner Mutter vor ein paar Jahren stürzte Çevikkollu in eine tiefe Lebenskrise und er verfasste seine Autobiographie 'Kartonwand' auch als eine Art Therapie. Im Interview mit dem ebenfalls aus einer 'Gastarbeiterfamilie' stammenden Juan Moreno erzählt er von seiner Kindheit und Jugend, seinem sehr strengen Vater, von Rassismuserfahrungen, positiven Erfahrungen in der Schule und davon, wie seine Eltern ihr Leben auf ein später vertagten, das nie kam. Berührend, erhellend.

Andreas Rüttenauer erklärt uns Nordlichtern die Auer Dult, das unberühmteste Volksfest Münchens, auf dem bayerische Grantler sich pudelwohl fühlen, weil sie hier durch keinerlei Stimmungsmache beim Granteln gestört werden.

"[Wer] in den vergangenen Jahren einmal durch die Budenstraßen, vorbei an den Imbissständen und Fahrgeschäften gegangen ist, der würde nie auf die Idee kommen, dass dort so etwas wie Ausgelassenheit herrschen könnte. [...] Die Auer Dult ist das schlecht gelaunteste Volksfest, das man sich vorstellen kann. Und genau deshalb lieben es die Münchnerinnen und Münchner so sehr." (Rüttenauer, a.a.O.)

Sympathisch. Sollte ich vielleicht mal hin.

Musik. 1969 nahmen Deep Purple mit dem Royal Philharmonic Orchestra das von Jon Lord komponierte Concerto for Group and Orchestra auf. Ich hatte als Teenager mal eine Deep Purple-Phase und die LP im Laden öfters in der Hand, habe sie aber nie gekauft. Wohl besser so, da ziemlich sperrig, der Brocken. Amy Lynn, eine klassisch ausgebildete Harfenistin, die bis vor kurzem mit Rockmusik nichts am Hut hatte, hat sich das mal angehört (und später noch ausführlicher analysiert).


(Video im erweiterten Datenschutzmodus. Anklicken generiert keine Cookies.)


Sport. Die älteren erinnern sich vielleicht noch an den Nationalspieler Hansi Müller. Der wurde, vor allem hier im Ruhrpott, wo das Malocherherz schlug und Fußball gearbeitet wurde, als lackaffiger 'Bravo-Boy' verspottet. In den Siebzigern hatte die 'Bravo' nämlich das Popstarpotenzial der Kicker entdeckt.

Essen/Trinken/gut leben. Apropos München, apropos Volksfest: Jörn Kabisch bereitet Steckerlfisch zu.

Marianna Giusti über den italienischen Küchenketzer Alberto Grandi.

"»It’s all about identity,« Grandi tells me between mouthfuls of osso buco bottoncini. He is a devotee of Eric Hobsbawm, the British Marxist historian who wrote about what he called the invention of tradition. »When a community finds itself deprived of its sense of identity, because of whatever historical shock or fracture with its past, it invents traditions to act as founding myths,« Grandi says." (Giusti, a.a.O.)

Man muss den Aufschrei vielleicht verstehen. In Italien erwirtschaftet die mächtige Lebensmittelindustrie, die an diesen Mythen gut verdient, etwa ein Viertel des Bruttoinlandsproduktes.

Na, im Steakhaus lecker argentinisches Rindfleisch gegessen? Weil argentinisches Rindfleisch, das ist doch das echte, nicht? Da stehen stehen die Tiere noch auf endlosen Weiden und wachsen ganz natürlich auf. Nicht so wie bei uns, wo sie brutal in enge Turbomastställe gepfercht und mit Chemie vollgepumpt werden. Gucken Sie lieber zwei Mal hin, rät Vincent Klink.

Das Rezept. Zwar mag ich Fernöstliches durchaus gern, doch fehlt es mir an Ehrgeiz, mich zwecks Selberkochen näher damit zu beschäftigen. Dennoch ist es an der Zeit, die Ehre eines Klassikers zu verteidigen. Die Rede ist von Bami Goreng. Das wird in unseren Breiten meist feilgeboten in Form von öltriefender 'Asia-Nudelpfanne mit Ente', der jede Delikatesse konsequent ausgetrieben wurde. Aber egal, Hauptsache viel, fett und billich, nöch? Über ein Pfund kann so eine Pappschachtel vom Lieferdienst schon mal auf die Waage bringen. Wer danach keinen Schnaps braucht, sollte seinen Körper der Wissenschaft zur Verfügung stellen.

Schluss damit! Glücklicherweise haben wir den Herrn Westerhausen, der nicht nur hervorragend kocht, sondern auch ein Faible für chinesische und indonesische Küche hat sowie den Ehrgeiz, sich seriös damit zu befassen. Und so geht ein ordentliches Bami Goreng. In seinen eigenen Worten: "Ja, das Schnippeln braucht Zeit, geht aber sicher schneller, als euer Bringdienst bei euch ist." In diesem Sinne!









5 Kommentare :

  1. Ach der Herr Schröder aus Unna. ".....ist ein kitschig-verlogenes Wunschbild einer bourgeoisen Pseudolinken" - Meint er damit auch die von ihm immer wieder gern abgebildeten Frauen in nuttigen Dessous? Spiegeln die auch die Realität der Krankenschwester, Altenpflegerinnen und ALDI-Kassiererinnen wieder? Und wenn ich mir diese primitven rassistischen Komentare eine "nh" unter dem verlinkten Text ansehe, komme ich aus dem Kotzen gar nicht mehr raus.

    Zur Alltagspräsenz von schwarzen Menschen liegen sowohl Herr B. als auch der Blogherr der Fliegenen Bretter falsch. Wäre aber ein anderes Thema. Hauptsache dem provokanten palmer(ischen) Kleinbürgerrassismus wird Genüge getan.

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    1. Tja, man kann sich als Blogherr seine Kommentatoren halt nicht immer aussuchen, gell, Herr Kommentator. Es wäre übrigens nett, wenn ie für Ihre steilen Thesen auch Belege anbringen würden.
      Wünsche noch fröhliches Kotzen.

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  2. Vielen Dank für die vielen Empfehlungen! Meine Leseliste ist jetzt gut gefüttert! :-)

    Beim Lesen des Blogbeitrag von Burks musste ich doch meine Stirn arg runzeln, denn meines Wissens nach wollen Serien wie ,,The Witcher'' nicht etwa die Realität der arbeitenden Bevölkerung abbilden, sondern eine zeitweilige Flucht in eine Phantasiewelt bieten. Allerdings ist da beim Drehen solcher Serien und Filme einigen Leuten aufgefallen, dass zwar hinter der Kamera viele Menschen mit anderer Hautfarbe usw. arbeiten, vor der Kamera aber immer alle weiß sind (bis auf die Orks, die sind natürlich dunkelhäutig). Speziell bei ,,The Witcher'' war ich zu Beginn ein wenig verwundert, habe ich mich aber ziemlich schnell daran gewöhnt. Es hilft, sich einfach mal versuchen vorzustellen, man wäre ein dunkelhäutiger Junge, der total auf Fantasy steht, aber *immer* nur weiße Heldinnen und Helden auf der Mattscheibe sieht.

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  3. Siewurdengelesen27. August 2023 um 10:40

    Schröder-Palmer

    Da mag eher Burks in der Sache recht haben, allerdings reflektiert er dabei mehr auf die Klientel, die u.a. und nicht nur in einigen Berliner Kiezen die ursprünglichen Bewohner "gentrifiziert" hat. Ausgerechnet zu dieser würde ich Palmer und viele dazu zählen, die vermutlich in der Mehrzahl die Grünen wählen. Dabei sind die Grünen inzwischen ebenfalls von großen Teilen ihrer ehemaligen Basis selbst entfremdet und stehen bis auf den ökologischen Ansatz dem konservativen und reaktionären Teil der "Altparteien" in nichts nach - halt grüne Spießer. Palmer ist dabei ein Kind dieser Entwicklung und so nebenbei steigt ihm subjektiv sein "Erfolg" als Tübinger OB zu Kopf - angefangen von seiner lächerlichen Selbstjustiz bis zu den immer wieder provokant eingestreuten Aussagen zu Migranten etcpp.

    Der macht das nicht nur für´s Image, sondern imho ist er in teilen tatsächlich so in seinem Denken und Tun und so werte ich auch seine Aussage im Fall dieser Werbekampagne. Werbung diente noch nie dazu, "Realitäten abzubilden", sondern war schon immer Vorspiegeln von Scheinbarem und Aufhübschen, um einen nicht vorhandenen Mehrwert zu suggerieren zwecks Kaufanreiz. Ich gehe davon aus, dass auch ein Palmer in seiner Eloquenz und Intelligenz das weiss. Aber bei ihm ist anscheinend die Strecke zwischen Dateneingang und Mund auch manchmal sehr kurz und umgeht das Reflektionszentrum bei bestimmten Triggern.

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  4. Ich sehe beide Parteien als beschädigt: Die SZ und Aiwanger. Aiwanger, weil er das Pamphlet dabei hatte und anscheinend verteilt hatte. Weshalb verteilt man so etwas? Zudem: Viele werden denken, dass der Bruder nur vorgeschoben wird.
    Die SZ wegen der quasi-Vorverurteilung und dem Zeitpunkt der Veröffentlichung.

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