Samstag, 30. September 2023

Migrantisches (2)


Angst vor dem Spiegelbild

Globalisierung bedeutet, Kapital, Waren- und Geldströme möglichst unbehindert um die Welt zirkulieren zu lassen. Durch moderne Logistik, gemeinsame Wirtschaftsräume, Abbau von Zöllen und Reisebeschränkungen. Aber auch Menschen zirkulieren freier denn je. Seit dem Fall des eisernen Vorhangs 1990 kamen große Zahlen Arbeitsmigranten aus den armen ost- und mitteleuropäischen Ländern nach Westeuropa und übernahmen mehr oder minder bereitwillig Arbeiten, die Westeuropäer nicht akzeptierten zu Löhnen, die Westeuropäer nicht akzeptierten. Westliche Kapitalisten profitierten vom Lohngefälle, die mittel- und osteuropäischen Volkswirtschaften von den Devisen, die ins Land kamen.

In den Ländern der ersten EU-Erweiterungswelle ist der Lebensstandard inzwischen so gestiegen, dass immer weniger Menschen für ein paar Kröten mehr ins Ausland gehen und bei Bulgarien und Rumänien, wo noch ein nennenswertes Lohngefälle besteht, ist Ende der Fahnenstange. Dahinter beginnt umkämpftes Gebiet bzw. jenes, das Russland und China als Einflusssphäre beanspruchen.

Inzwischen machen sich Jahr für Jahr viele Tausende, vorwiegend aus afrikanischen Ländern und dem nahen/mittleren Osten, auf den oft gefährlichen Weg nach Europa. Viele derer aus Afrika, auf die wir  uns hier konzentrieren werden, kommen dabei zu Tode, auf der Überfahrt über das Mittelmeer und mehr noch auf dem Weg dorthin. Aus der Tatsache, dass es sich meist um Männer bestimmter Altersgruppen handelt, lässt sich folgern, dass nicht nur Flucht vor (Bürger-)Kriegen und Verfolgung, sondern auch wirtschaftliches Kalkül eine Rolle spielt: Diese Menschen sollen, so sie durchkommen, in Europa Arbeit finden und ihre Familien daheim finanziell unterstützen. Gewissermaßen die Hardcore-Variante dessen, was seit den 1990ern in Mittel- und Osteuropa passiert ist.

Auch hier ist das für die Regierungen der Herkunftsländer eine Win-Win-Situation: Die Überbevölkerung reduziert sich (leicht), perspektivlose junge Männer als potenzielle Unruhestifter verschwinden und Geld kommt auch ins Land. Zynisch? Ja. Was wir zurzeit erleben, ist auf vielen Ebenen zynisch.

Wenn man will, kann man das durchaus als Quittung des globalen Südens für die Ausbeutung des globalen Westens begreifen. Man kann sagen, unser mit Ausbeutung anderer Weltgegenden erkaufter Wohlstand fällt uns auf die Füße. Zumal die, die da aus afrikanischen Ländern sich aufmachen, ja eben nicht die Ärmsten der Armen sind, sondern welche, die es irgendwie hinbekommen, zumindest das Geld für Schlepper zusammenzukratzen. Dass immer mehr sich das irgendwie leisten können, ist paradoxerweise also ein Indiz für einen bescheidenen, aber steigenden Wohlstand in diesen Ländern.

Und natürlich beantragen diese Menschen hier, wie bereits gesagt, Asyl. Nicht weil sie irgendwie betrügerisch veranlagt sind oder so was, sondern weil sie nicht blöd und gut informiert sind. Sie wissen genau, dass sie als reguläre Einwanderer bzw. Arbeitsmigranten mangels beruflicher Qualifikation in Europa kaum eine Chance auf Einbürgerung hätten. Also geben sie ein Kriegsgebiet als Herkunftsland an und haben keine Papiere mehr. Also sind sie in der EU, wo sie erst einmal bleiben, bis ihr Sachverhalt geklärt ist. Das kann dauern. Viele wollen nach Deutschland. Weniger, weil es das schönste Land Europas mit der modernsten Infrastruktur und den freundlichsten Menschen ist, sondern weil sie wissen, dass hier noch am ehesten Jobs zu kriegen sind und man in einem dicht besiedelten 83-Millionen-Land notfalls leichter untertauchen kann.

Zwei Gruppen gibt es, die von dieser Art Migration hierzulande profitieren: Erstens Kapitalisten, weil sie eine weitere Reservearmee billiger und williger Arbeitskräfte für harte, gering qualifizierte und entlohnte Arbeiten bekommen.  Zweitens Rechte, weil Teile ihres Erfolges auf dem Popanz von der 'Überfremdung' beruhen, vor der sie vorgeben, das Abendland als einzige retten zu wollen. Sollten sie dereinst tatsächlich die Macht ergreifen, was uns bitte erspart bleiben möge, wird sich das übrigens schnell erledigt haben. Das Kapital wird es ihnen schon erklären.

Und ws wird noch zynischer. Die, die da kommen, und vor denen Rechte Angst schüren, sind der Traum jedes Kapitalisten. Die wünschen sich nämlich idealerweise mobile, flexible, willige Arbeiter, die keine großen Ansprüche haben und idealerweise auch ihre eh eingeschränkten Rechte nicht kennen bzw. nicht wahrnehmen. Genau das Profil derer, die momentan einwandern, meist als Asylbewerber. Flexibler und mobiler geht es nicht. Angst vor diesen Zuwanderern ist also auch Angst vor dem, was uns selbst blühen könnte, wenn es so weitergeht mit der Globalisierung. Von der wir aber ansonsten gern weiter profitieren würden.

Weil Kapital letztlich immer dorthin wandert, wo's am billigsten ist, sind wir in den Supermärkten noch umgeben von Konsumgütern, die für die meisten irgendwie leistbar sind. Weil Millionen Ausgebeutete in anderen Teilen der Welt sich für wenig Geld auf Feldern und in Fabriken krumm schuften. Denken Sie daran, wenn Sie das nächste mal eine Tube echt italienisches Tomatenmark oder ein Glas Tomatensugo öffnen -- das Konzentrat dafür kommt höchstwahrscheinlich aus China.

Jene politischen Kräfte, die von Zuwanderung, vollen Booten und berechtigten Ängsten der Bevölkerung reden, meist um daraus politisches Kapital zu schlagen, von Kapitalismus aber schweigen, handeln daher zutiefst verlogen. (Wird fortgesetzt.)










6 Kommentare :

  1. "… der Text könnte 1:1 von mir stammen.
    Allerdings sehe ich, dass der "Ausbeutungsprofit" der letzten Jahrzente nur in sehr geringem Maß den Bürgern zugutekam.

    Ikea hat mit den Möbeln aus DDR Gefängnissen gutes Geld verdient. Der Käufer hat ein Möbel halt etwas mehr oder weniger preiswerter bekommen.
    Ohne Ikea hätte der Käufer evtl. drauf verzichtet oder länger sparen müssen. (evtl. hätten wir dann aktuell sogar noch ne Möbelindustrie in der BRD ...)

    Gruß
    Jens

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  2. Richtig, wichtige Ergänzung, danke. Kann man auch übertragen auf bei Quelle günstig verkaufte Ost-Kameras. Oder Kleinkram 'Made in Hongkong'. Wir lernen: Dem Kapital sind auch 'Eiserne Vorhänge' egal, wenns der Außenhandelsbilanz dient.

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    1. Siewurdengelesen2. Oktober 2023 um 13:20

      Dieser Aspekt kam auch im Film "Hört uns zu", in welchem das Bild der verlängerten Werkbank DDR in die nicht mehr wirklich neuen Bundesländer bis heute stimmt. Neben Kameras und Optiken aus dem Hause Pentacon waren das auch viele andere für DDR-Verhältnisse relativ teure und dank bevorzugtem Export rare Konsumgüter wie Küchengeräte, Motorräder, Klamotten und vieles mehr, was dann über die Versandhäuser in den westlichen Staaten eher verscherbelt als verkauft wurde. Wenigstens kann der "Westen" jetzt nicht mehr billig seinen Müll exportieren und sich damit aus der Verantwortung für die Umwelt entziehen. Das geschieht halt jetzt auch woanders und sehr oft - in Afrika?!

      Kapital war schon immer "globaler" als alles Andere, egal ob auf wirtschaftlicher oder finanzieller Ebene und wenn es sich nur recht lohnt, verwüstet es auch die letzten derzeit noch "weißen Flecken" dieser Erde, bevor aus auf nur einen Cent Profit verzichtet zugunsten besserer Lebensverhältnisse für alle.

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    2. In die andere Richtung gab es dann das hier.

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    3. Siewurdengelesen2. Oktober 2023 um 16:55

      Genau - da durften dann die, welche es sich leisten konnten, für einen noch höheren Preis als im eigenen Land die eigenen Produkte "schenken" lassen. Und die von der Steuer abzusetzenden Westpäckchen gab´s auch noch, ohne die nach Ansicht so mancher Altbundesbürger der "Zoni" an Hunger gestorben wäre - mir hatten ja nüscht;-)

      Fazit: Ohne diesen Kram hätte sich das Thema Wiedervereinigung viel schneller gelöst, weil eine entvölkerte DDR als Lebensraum im Osten einfach nur neu zu besiedeln gewesen wäre und das alles ohne Gewalt. Wie dumm sind die Politiker dieser Zeit eigentlich gewesen, das alles inklusive der bis heute ewigen Jammer-Ossis für ein wenig Geld auf sich zu nehmen?!

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  3. "Kapital war schon immer "globaler" als alles Andere" — und viel viel schneller als die Politik. Und besser bezahlt es auch die cleversten Anwälte und Steuerberater, welche frisch von der Uni kommen. (Igel und Hase — obwohl die Fabel inhaltlich ja nicht ganz dazu passt)

    Gruß
    Jens

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