Mittwoch, 13. September 2023

Grüße vom Murmeltier

 
Ungefähr alle zehn Jahre erscheint eine SPIEGEL-Titelgeschichte über den desaströsen Zustand der deutschen Schulen. Dort wird von jeher das hiesige Schulleben in so drastischen Farben gemalt, dass man sich fragt, wie wir es damals überhaupt geschafft haben, Lerninhalte, die die Anforderungen von Topfschlagen überstiegen, intellektuell zu wuppen. Weil damals zu unserer Zeit waren die Schulen ja auch schon lost. Ebenfalls rund alle zehn Jahre kommen welche mit Vorschlägen um die Ecke, wie man deutsche Schüler dazu kriegen könnte, endlich die "unangemessene, lottrige, zerrissene oder freizügige" Kleidung abzulegen und sich ordentlich anzuziehen.

Wo immer sie in Kraft treten, sind dergleichen Gummiparagraphen, letztlich bloß eine Ansammlung von Geschmackssachen, vor allem eine Einladung an jene Heranwachsenden, die erpicht darauf sind, Grenzen auszuloten.

Ein Verbot von Jogginghosen an Schulen etwa, wie es unter anderem diskutiert wird, würde vermutlich zu endlosen, ennervierenden Diskussionen führen: Was genau ist eine Jogginghose? Welche Stoffe und Schnitte sind erlaubt, welche nicht und warum? Kann keiner wollen. Eigentlich ist es ja einfach: Wer will, dass Schuljungvolk bestimmte Kleidung trägt, muss Schuluniformen einführen, Punkt und aus. Das aber wird in den Augen des deutschen Doofnonkonformisten ein Rückfall in finstersten Faschismus sein und daher nicht passieren. Zumal auch zu bedenken wäre, dass schuluniformierte Mädels - böse, böse - ein sexueller Fetisch sein können.

Es ist ermüdend. Zu unserer Schulzeit hieß es, enge Jeans machten uns Jungs impotent, das sei wissenschaftlich ebenso erwiesen wie die Schädlichkeit von Turnschuhen (Vorläufer der Sneaker im Altertum) für Fußgesundheit und Haltung. Wir pfiffen drauf. Was bitteschön war das Popanzszenario, irgendwann einmal als senkfüßiger Eunuch durchs in weiter Ferne liegende Erwachsenenalter zu watscheln gegen coole Klamotten im Hier und Jetzt? Zumal wir Lehrer hatten, die einst selbst als Junglehrer angeeckt waren, weil sie es gewagt hatten, einen Rollkragenpullover statt Hemd und Krawatte unterm obligaten Jackett zu tragen, sich mit uns solidarisierten, indem sie demonstrativ Turnschuhe trugen.

Dann gab es Mädchen, denen es sommers gefiel, weit ausgeschnittene, ärmellose Tops ohne etwas drunter zu tragen, die daher mitunter mehr zeigten als bedeckten. Oder Trägerhemdchen ohne was drunter. Da war man als hormongefluteter Pubertierender in Zeiten, in denen man für einschlägiges Bild- oder gar Filmmaterial Helfershelfer ü 18 benötigte, mitunter arg abgelenkt im Unterricht. Heute, in Zeiten von YouPorn et al., entlockte das vielen vermutlich nicht einmal ein Gähnen. Zehn Jahre zuvor hatte es Hotpants, Clogs, Miniröcke, lange Haare und Schulmädchen-Report gegeben.

Ebenso murmeltierhaft übrigens die unterkomplexen Kurzschlüsse zwischen der Leistung von Spitzensportlern und der Gesamtsituation des Vaterlandes. Liefern wie jetzt lahme Leichtathleten und - o schreck! - die Fußball-Nationalmannschaft der Männer keine Spitzenleistungen, hagelt es aus Teilen vornehmlich des konservativen Preßwesens förmlich Menetekel: Wehe uns, wir werden abgehängt! Nur noch Schneeflöckchen, die sich nicht mehr quälen wollen! Keiner will mehr richtig arbeiten, so wie wir früher! Überhaupt, die Wirtschaft, die Wirtschaft!

Listen, love: Wenn der wirtschaftliche Zustand eines Landes und dessen Leistungen in bestimmten Sportarten in direkt proportionalem Verhältnis zueinander stünden, dann hätte das Schwellenland Brasilien niemals Fußball-Weltmeister werden dürfen und das durch die Krise 2008/09 schwer gebeutelte Spanien ebenfalls nicht. Es sei denn, man hängt wiederum der These an, dass Armut den Leuten erst richtig Motivation verleiht und ihnen das nötige Feuer unterm Hintern macht. Da wiederum wäre eine Wirtschaftskrise ja wieder eine gute Nachricht, oder?

Tja, und dann kamen die Basketballer und Rudi 'Esgibtnureinrudivöllah!' Völler des Weges.







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