Sonntag, 22. Oktober 2023

Jenseits der Blogroll - 10/2023

 
Es sind Zeiten, die einen an der Welt verzweifeln lassen. Da tötet eine Organisation, die sich explizit die völlige Auslöschung der Juden aufs Tapet geschrieben hat ("From the river to the sea"), über 1000 israelische Juden, und alles, was welchen, die ihren Zynismus vermutlich mit Abgeklärtheit verwechseln, dazu einfällt, ist: "Ja, aber die Israelis..." Es gab im 20. Jahrhundert schon einmal jemanden, der mehrfach ganz offen die Vernichtung der Juden in Europa als sein politisches Ziel verkündete. Damals soll in einigen Kreisen sehr gelacht worden sein. "Haha, wie soll das denn gehen? Der Komiker mit seinem lustigen Bärtchen wieder! Der macht bestimmt nur Spaß, der kleine Schreihals." Tja, dumm gelaufen, hat doch keinen Spaß gemacht, der Typ mit der Rotzbremse.

Und da nützt es auch nichts, darauf hinzuweisen, dass etwa die 'Protokolle der Weisen von Zion', die zentrale Schrift des modernen Antisemitismus, ein absurdes Quatschmachwerk sind, wie Onkel Michael darlegt. Es hilft nichts, man sollte sich, wie Harry Nutt meint, klarmachen, dass Antisemitismus wieder Teil der Popkultur ist.

Mehr Politik. Zwei bemerkenswerte Beiträge zum Thema. Ein Essay von Anna Mayr über die postmoderne Linke, die sie am Ende sieht, und ein Interview mit Slavoj Žižek. Beides hinter Paywall. Leider.

"Entschuldigungen, die mit »Es tut mir leid, wenn ...« beginnen, sind keine Entschuldigungen. Das hatte [...] die woke Bewegung allen beigebracht, und sie hatten recht damit. Aber am 8. Oktober, da es um Juden ging, schien Universalismus plötzlich wieder schick zu sein. »Jewish lives matter«, das sagt niemand. Stattdessen: »Leid ist Leid« und »Krieg ist nie eine Lösung« und »Es gibt auf beiden Seiten Opfer«.

[...] Es gibt antiasiatischen Rassismus und Antiziganismus, es gibt queerfeindliche Aussagen, und es gibt sexistische Strukturen. Um all diese Boshaftigkeiten zu verbinden, erfand man das Schlüsselwort »Intersektionalität«, das bedeutet, dass man unter mehr als einer Diskriminierungsform gleichzeitig leiden kann. Wer unter einer Diskriminierung nicht leidet, wird sie nie nachempfinden können, er kann nur ein ally sein, ein Verbündeter, was zufälligerweise direkt nach Kampf klingt. Jetzt zeigt sich: Alle Menschen sind spezifisch diskriminiert -- nur wenn Gewalt gegen Juden passiert, dann reicht schnöder, allgemeiner Weltschmerz als Reaktion." (Mayr, a.a.O.)

"[Ich] glaube, die Linke ist in einer tiefen Krise. Deswegen schlägt sie entweder den Weg des Antisemitismus ein oder den Weg von politischer Korrektheit und Cancel Culture. Immer wenn der Ton moralisierend wird, wenn du also einen Feind brauchst oder politische Korrektheit einforderst, ist das ein Hinweis darauf, dass du in Wahrheit keinen konkreten Plan hast, der Menschen überzeugen könnte. Deswegen fliehst du in dieses leere Gerede. Wokeism ist für mich die Art, wie das kapitalistische Establishment die Linke übernommen hat, um sie zu neutralisieren." (Žižek, a.a.O.)

Leo Fischer über die AfD-Erfolge in Hessen und Bayern.

Lothar Galow-Bergemann über Bullshit-Arbeit, Klimakrise und das Versagen des Prinzips Gelderwerb.

Es gibt diese Momente im Leben, da muss man Kindern die Wahrheit sagen, so sie alt genug dafür sind. Das Christkind ist ein von den Nazis erfundener Werbegag der Stadt Nürnberg. Die Zahnfee gibt es nicht. Der Weihnachtsmann ist in Wirklichkeit Onkel Erwin im Kostüm. Und das mit der 'unsichtbaren Hand' ist Blödsinn.

Interview mit dem Soziologen Armin Nassehi über die Krise des Konservatismus und die CDU.
 
Michael Hänel rekonstruiert, wie sowjetische Agenten einst die westdeutsche Friedensbewegung unterwanderten.

Georg Seeßlen über den bayerischen Weg.

"Die Bayerischkeit zeichnet sich seit ihrer Erfindung durch ein Wechselspiel von Größenwahn und Minderwertigkeitskomplex aus. [...] Man war zu mächtig, um in der BRD einfach ein Bundesland unter anderen zu sein, aber man war doch nicht in der Lage, einen eigenen autonomen Staat zu gründen. Also griffen immer wieder die bayerischen Herren nach der Macht in Deutschland – und mussten scheitern. Strauß wurde nicht Bundeskanzler, was viele Deutsche damals noch als Verteidigung der Demokratie gegen einen rechtspopulistischen Angriff ansah, für viele Bayern war es eine Niederlage wie die gegen Preußen." (Seeßlen, a.a.O.)

Kultur/Gesellschaft/Gedöns. Wo wir beim Thema sind: Micky Beisenherz leistet Abbitte bei Bayern und München.

Robert Pfaller über den Unfug mit der 'Authentizität' -- ein Hype, der, wie er hofft, bald vorbei sein wird.

Vor zehn Jahren starb Marcel Reich-Ranicki. Jürgen Kaube erinnert. Unter fast identischem Titel übrigens wie ich so vor zehn Jahren. Sachen gibt’s!

Erwähnte ich schon, dass auch mir als kaum Gläubiger Menschen, die sich selbst als heilig bezeichnen, hochgradig suspekt sind? So wie Laura Malina Seiler, die Königin des Online-Coachings, die das Motto 'Happy, holy and confident' vor sich herträgt. Martin Gommel erläutert, warum die Tante ihn traurig und wütend macht

Florian Pillau zum Jubiläum des Citroën 2 CV ('Ente').

Zum Hören: Florian Aigner (GWUP) über Verschwörungstheorien.

Musik. Heute nicht. Heute gibt es Comedy im Angesicht des Grauens. Shahak Shapira übernimmt das. Warnung: Diese knappe halbe Stunde ist nicht für jeden. Ein Brett. Shapira kämpft, arbeitet sich sichtlich an dem Thema ab. Immer wieder sagt er: "Wir müssen lachen!". Und damit hat er recht. Man muss den Hamas-Henkern ins Gesicht lachen, denn wenn sie einem den Humor nehmen, haben die Arschlöcher gewonnen.

Nebenbei entlarvt das auch die ganze Armseligkeit von verkrampften Witzeleien a'la Chris Tall ("Uiuiui, der dicke Deutsche hat einen Juuudenwitz gemacht. Mannmannmann, der traut sich aber auch was! Darf der das denn? Darf der das?" -- "Ja, darf er! Noch Fragen? Gut, dann halt jetzt auch die Klappe!")


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Sport. Der Nachruf auf Bobby Charlton.

Essen/Trinken/gut leben
. Tobias Haberl unterhält sich mit Charles Schumann über den von ihm erfundenen Drink 'Tiefseetaucher'. Ein echter Schädelspalter, der neben drei Sorten Rum noch Likör enthält. Und als Haberl dann einen bestellt... Lesen Sie selbst.

Vincent Klink über Unworte wie 'subberlecker'.

Das Rezept. Croque Monsieur ist ein schönes Beispiel dafür, wo die Vorteile einer professionellen Küche liegen und dass man auch einfache Sachen mitunter getrost den Profis überlassen kann. Eigentlich ist Croque Monsieur bloß ein überbackener Käse-Schinken-Toast. Entscheidend ist halt, dass die Zutaten von bester Qualität sind. Und man braucht für die klassische Variante eine Kelle Béchamelsauce. Die ist ja auch keine Herausforderung für einen halbwegs geübten Hobbykoch. Aber wenn man sich nur einen schnellen Mittagshappen machen will, dann möchte man eventuell nicht noch groß Töpfe dreckig machen und eine Viertelstunde darin herumrühren. In einer Profiküche stünde ein vorbereiteter Topf mit Béchamel mise en place bereit und es gäbe einen Salamander zum turboschnellen Gratinieren.

Also kein Croque Monsieur. Stattdessen Hähnchen in Senfsauce. Poulet au Moutarde. Auch das ist kein großes Ding, aber Madame Bastian zeigt uns einmal mehr, wie man auch ein vergleichsweise einfaches Rezept mit ein, zwei kleinen Details groß machen kann. Kommt auf den Speisezettel. Vielleicht eher mit ausgelösten Schenkeln a.k.a. Pollo fino.

 







2 Kommentare :

  1. Ich sehe keine Kelle Mehlpampe im Croque Monsieur (und keinen Grund, das Zeug zu vermissen). Außerdem: ungeräucherter Schinken kann nicht gut sein, die Rinde gehört zum Toast, und es gibt im Zeitalter der Luftfriteuse endgültig keine Grund mehr, Weißbrot in Herzfett zu wenden.

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    1. 1. Richtig, hier wird mit Eigelb eine Käsecreme hergestellt. Über Béchamel (die in anderen Rezepten Standard, aber nicht per se 'Mehlpampe' ist, denn dann ist Toastbrot auch bloß gebackene Mehlpampe) kann man ja diskutieren. 2. Ich z.B. mag keinen geräucherten Schinken, ist wohl eine Geschmacksfrage. 3. Es ist nicht selten, dass für Sandwiches Toast entrindet wird (aus der Rinde werden dann z.B. Croutons oder Brösel zum Panieren gemacht. 4. Der Einfluss der Ernährung auf die Blutfettwerte liegt nach Aussage meiner Ärzte bei ca. 25-30 Prozent. Gelegentlich etwas Butter bringt also keinen um. Insgesamt dürfte die Angelegenheit so fettig sein wie ein paar Wiener Würstchen.

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