Montag, 27. November 2023

Mehrwertsteuer-Terror

 
Immer wenn Kapital sein Herz für die Nöte von Geringverdienern entdeckt, kann man sicher davon ausgehen, es mit Propaganda zu tun zu haben. Jetzt droht der nächste Ampel-Hammer: Ab Januar wird die Mehrwertsteuer in der Gastronomie von 7 wieder auf 19 Prozent angehoben. Es handelte sich dabei um eine Subvention: Der Staat verzichtete auf Steuereinnahmen, um den durch Corona-Einschränkungen, Energiekosten und Inflation gebeutelten Gastronomen Einnahmen zu verschaffen. Damit ist jetzt Schluss und das findet die Branche naturgemäß nicht nett. Herr Ivecen aus Mainz etwa:

"Die Gänsekeule mit Klößen, Rotkraut und Maronen-Orangenjus kostet im »Lehmanns«, einem Weinlokal in der Mainzer Altstadt, 29,90 Euro. »Das ist viel«, findet Betriebsleiter Kamil Ivecen. Er rechnet vor, dass er seinen Gästen das Weihnachtsmahl nicht günstiger anbieten kann, weil wegen der gestiegenen Lebensmittelpreise allein die Zutaten schon die Hälfte dieses Preises ausmachten." (tagesschau)

Rechnen wir doch mal: Eine große Gänsekeule zu 400 g ist im Großhandel zur Zeit für zirka 6 Euro zu haben. Preise können natürlich immer ein wenig schwanken. Gänsefleisch dürfte wegen der erhöhten Nachfrage im November (Martinstag) und Dezember (Weihnachten) teurer sein als im Rest des Jahres. Zu bedenken wäre aber noch, dass sich bei entsprechenden Abnahmemengen vielleicht noch ein Rabatt herausholen lässt.

Dann die Beilagen: Würde man der Einfachheit halber Convenienceprodukte verwenden, sähe das so aus: 100 Stück TK-Kartoffelknödel à 25 g kosten im Großhandel 11,23 Euro netto, ein Kloß kostet demnach 11 Cent. Serviere ich dem Gast 6 Klöße (150 g), sind das 66 Cent. (Lässt man eine Küchenhilfe die Klöße aus fertiger Masse von Hand formen, kommt man bei zwei größeren Klößen auf einen etwas höheren Preis, könnte auf die Karte dann aber "hausgemacht" schreiben.)

Rotkohl ist als TK-Ware für 6,79 Euro netto à 2,5 kg zu bekommen, 100 Gramm kommen also auf 27 Cent. Geht man von einer Portionsgröße von 200 Gramm aus (Schwund beim Garen eingerechnet), wären das 54 Cent. Veranschlagt man für eine Kelle Maronen-Orangenjus großzügige 50 Cent, ergibt das für alles einen Wareneinsatz von um die 7,50 Euro. Ein Bruttopreis von knapp 30 Euro liegt also schon über dem in der Gastro üblichen Kalkulationsfaktor (Wareneinsatz mal drei, bei Getränken mal vier). Convenienceprodukte sind im Einkauf natürlich etwas teurer, sparen aber Personal. Zudem vermindert portionierbare TK-Ware das Risiko von Abgängen durch Verderb erheblich.

Natürlich kann man hier spekulieren: Vielleicht werden im 'Lehmanns' nur allerbeste Bio-Gänseteile verwendet und die Beilagen kommen nicht aus der Metro, sondern werden wie zu Großmutters Zeiten unter enormem Personaleinsatz von Hand gemacht. Dann wären 29,90 Euro in der Tat ein Schnäppchen. Man weiß es halt nicht. Vielleicht muss das Etablissement nicht nur schwarze Zahlen schreiben, sondern darüber hinaus noch Rendite abwerfen. Dafür spräche, dass der Laden nicht inhabergeführt ist, sondern eine UG & Co. KG, also Kapitalgeber hat, die was sehen wollen am Ende des Jahres.

Aber weiter im Text:

"Wenn der Gastronom an das kommende Jahr, die anhaltend hohe Inflation und die Erhöhung der Mehrwertsteuer denkt, bekommt er Magengrummeln. Denn dann, sagt er, werde er die Gänsekeule für mindestens 38 Euro anbieten müssen. »Mindestens 38 Euro! Wer geht denn da noch essen?«, fragt sich Ivecen." (tagesschau, ebd.)

(Übrigens, tagesschau: Die Mehrwertsteuer wird nicht "erhöht", sondern wieder auf den eigentlichen Prozentsatz angehoben. Nicht dafür.) Nun kann ich nicht in die Zukunft sehen. Herr Ivecen aber auch nicht. Die Inflation lag im Oktober 2023 mit 3,8 Prozent wieder unter dem Vorkrisenstand von Oktober 2021. Nehmen wir also für das kommende Jahr eine Inflation von vier Prozent an, müsste man folgendermaßen rechnen:

29,90 € inklusive 7 Prozent MWSt entsprechen 107 Prozent des Nettopreises. Den gilt es zunächst zu ermitteln. Also: 29,9 durch 1,07. Macht 27,94 Euro. Darauf schlagen wir vier Prozent Inflation, die wir auch per Kalkulationsfaktor mal drei rechnen müssen, wodurch sich ein Inflationsaufschlag von zwölf Prozent ergibt. Rechnen wir also mal 1,12, dann sind das 31,30 Euro. Darauf wiederum die Mehrwertsteuer von dann wieder 19 Prozent (mal 1,19), macht: 37,23 Euro. Auf die Karte würde man dann vielleicht 37,50 Euro oder so schreiben. Herrn Ivecens Prognose mit den 38 Euro kommt also in etwa hin. Zwanzig Prozent plus.

Seine Frage, wer dann überhaupt noch essen gönge, lässt sich indes sehr leicht beantworten: Ziemlich genau die, die auch bisher im 'Lehmanns' eingekehrt sind. Weil die Preise auch jetzt schon dergestalt sind, dass sie nicht unbedingt jenes Publikum ansprechen, das für Mindestlohn rackert und am Ende des Geldes noch Monat übrig hat. Anders gesagt: Wer heuer in der Lage ist, für zwei Mal Gänsefuß mit Beilagen, eine Flasche Wein für, sagen wir, 30 Euro und vielleicht noch zwei Desserts um die 100 Euro hinzulegen, den wird ein Zwanni mehr gewiss nicht in die Privatinsolvenz treiben. Die Mehrwertsteuer bei 7 Prozent zu belassen, hülfe also vor allem jenen, denen es eh egal sein kann.  

Und davon, dass die mangelnde Bereitschaft der Gäste, Preissteigerungen in Kneipen und Restaurants mitzugehen, vielleicht daran liegen könnte, dass die Löhne und Gehälter nicht Schritt gehalten haben mit der Teuerung, weil wir in Zeiten leben, in denen Gewerkschaften, die sich erdreisten, nicht mehr und nicht weniger als einen Inflationsausgleich zu verlangen, sich "unverschämt" nennen lassen müssen -- davon ist komischerweise gar nicht die Rede. 








9 Kommentare :

  1. "dass die Löhne und Gehälter nicht Schritt gehalten haben mit der Teuerung"
    ... von Rentnern und Studenten wollen wir dabei erst gar nicht reden ...
    Meine Erfahrung: Vor 3 Jahren 2 x Hauptgericht, 1 Flasche Wasser 1/4 Liter günstiger Wein beim Griechen, Inder oder Italiener ca. 35 Euro, heute um die 50 Euro. Wobei die Genannten alle keine Freßläden sind.

    Gruß
    Jens

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  2. Also, wir waren neulich auch mal Gans essen, gehobene Gastronomie, das Ding hat 39 Euro gekostet (demnächst also irgendwas um die 49 Euro vermutlich). Und ja, es juckt absolut niemanden, wie hoch der Mehrwertsteuersatz dabei ist, denn ich gehe genau einmal pro Jahr Gans essen. Da heute Rechen-Tag ist, teilen wir mal meinen Gans-Preis durch 365 und kommen auf 10 Cent pro Tag, die ich beiseite legen muss, um mir diesen kleinen Luxus einmal im Jahr zu leisten. Schaffe ich. Schaffen die meisten, wenn sie denn wollen. Klingt jetzt vielleicht ein bisschen albern, aber gehobene Gastronomie ist für mich ein bisschen wie Urlaub. Da gehe ich nicht hin, weil ich Hunger habe und überleben muss, sondern weil ich Lust habe und es das Leben schöner macht. Und auf Urlaub sparen viele ja auch mal hin …

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    1. Hier same same, 38€ p.P. inkl. hausgemachter Beilagen und nix Metro-Gänsekeule, sondern "Komplett-Tier" regionaler Herkunft, von dessen Fett dann noch Schmalz gekocht wird, 1 Gans für 3 Personen wird gerechnet. Das Rumpsteak vom hausgeschlachteten Angus-Rind aus eigener Haltung kostet dort ebenso ab 35 aufwärts.
      Nein, für gute Küche ist das nicht teuer.
      Wie die das im Lehmanns für unter 30 schaffen, ist vielleicht tatsächlich damit zu erklären, dass der Rotkohl fertig gekauft wird...
      Gruß
      Magda

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  3. Bei der Kalkulation von Restaurantpreise wäre ich sehr vorsichtig, weil da ja noch die Personal- und Energiekosten draufkommen. Außerdem wird nicht immer alles verkauft, was man einkauft usw.
    Sonst aber gehe ich konform mit Deinem Beitrag! Eigentlich ist es ja legitim, gegen Steuern zu wettern und die Gastro-Verbände machen da auch nur ihren Job. Skandalös ist, dass selbst ÖR-Medien sich da reinlegen lassen.
    Mein Lieblings-Wiener (klingt so, als hätte ich mehrere österreichische Restaurants zur Auswahl) moppert auch gerne über den gestiegenen Mindestlohn. Würde er die Preise um ein paar Euro anheben, würde das seine Kundschaft nicht einmal bemerken ...

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    1. Der Kalkulationsfaktor berücksichtigt normalerweise Selbstkosten wie Betriebs- und Personalkosten. Ist nur ein eher grobes Instrument. Die Aussage, dass allein die Zutaten die Hälfte des Bruttopreises ausmachen, halte ich für zweifelhaft.

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  4. Für die meisten Gänse ist Heiligabend (Ihr erinnert Euch: Fest der LIEBE) Karfreitag!

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  5. ich selbst arbeite auch in der Gastro.Und klar unser Chef ist auch nicht amused,dass er wieder 19 % MST hat,aber mal ehrlich,mit welchem Recht soll jetzt der MST bei 7 %bleiben.Die sollten lieber mal das Steuerrecht vereinfachen.
    Leider machen die 3 Milliarden € Mehrsteuereinnahmen den Kohl bei 60 Milliarden Defizit nicht fett.Aber 3 Milliarden € mehr in die Kindergrundsicherung hätte einen Effekt.wenn von 100 Kindern nur 2 besser aufwachsen,dann sind das 2 Kinder mehr,die nicht als dauerhafte Bürgergeldempfänger uns in Zukunft auf der tasche liegen und selbst Steuern bezahlen.Aus Kindern ,die finanziell gesichert aufwachsen,werden erfahrungsgemäß gute demokratische Bürger
    Unser Klientel besteht übrigens auch nur aus Wohlhabenden und Pensionären.
    Und übrigens,wie kommt der Herr eigentlich auf 38 €,wenn die Gans vorher 29,90 kostete.Aufgerundet sind das 34 €,die das gute Stück kostet.Und ja,Gänse sind richtig teuer geworden. Auch frischer Rotkohl und wirklich hausgemachte Kartoffelklöße haben ihren Preis.Ja wir nehmen auch 29,00€ ,alles frisch!!!

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  6. .....ja, das Jammern auf hohem Niveau können die mit den zwei Kassen am besten

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    1. "können die mit den zwei Kassen" YMMD 🙈😆

      Aber richtig, meiner Erfahrung nach sind die die am lautesten jammern, nicht die denen man helfen muss!

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