Freitag, 28. Juni 2024

Jenseits der Blogroll - 06/2024


Die Links und Fundstücke des Monats, werte Lesende. Die Nachricht der letzten Tage war sicherlich, dass Julian Assange wieder frei ist. Ich muss gestehen, mit dem Fall nie so wirklich klargekommen zu sein. Einerseits war das natürlich ein Versuch staatlich-militärischer Stellen, ein Exempel zu statuieren. Der Umgang mit ihm war eine Schande, ihn ohne Prozess zehn Jahre eingebuchtet zu halten, zivilisiert sich nennender Länder nicht würdig. Man mache sich da nichts vor: Der Deal, der ihn jetzt auf freien Fuß gebracht hat, war kein Akt der Humanität, sondern ist nur zustande gekommen, weil die richtigen Leute (endlich) zu dem Schluss gekommen sind, ihn weiter eingesperrt zu lassen, habe keinen weiteren Nutzen mehr.

"Assange bekennt sich schuldig, 2010 mit der Veröffentlichung von geheimen US-Dokumenten gegen den Espionage Act verstoßen zu haben. Die US-Regierung hat somit sein Geständnis, kriminell gehandelt zu haben, und damit einen Präzedenzfall zur strafrechtlichen Verfolgung von whistleblowing, ohne sich mit einem unkalkulierbaren Prozess und einem prominenten, bei Linken wie Rechten populären Gefangenen herumärgern zu müssen." (Jörn Schulz)

Der Heldenkult und das Märtyrergetue um den Mann bis hin zum Personenkult waren mir immer schwerst suspekt, vor allem, wenn das von Linken betrieben wurde. Dafür ist er, gelinde gesagt, eine zu schillernde Persönlichkeit. Mit rechtslibertärem, reaktionärem Weltbild und Hang zur Egomanie. (Wer mag, kann ihn durchaus bewundern dafür, dass man ihn offenbar nicht hat brechen können.) Er hat sich mächtige Feinde gemacht und dafür hart gebüßt, keine Frage. Er hat sich aber, das sollte nicht verschwiegen werden, im Laufe der Jahre auch ein paar höchst anrüchige Freunde angelacht. 

Die Ironie ist doch, dass Assange sich seine Haltung nur leisten konnte, weil er sich im verhassten 'Westen' befand, wenn auch in Gefangenschaft. Ein chinesischer oder russischer Juilan Assange indes wäre vermutlich schon längst nicht mehr am Leben.

Politik. Interview mit Herfried Münkler zur momentanen Gesamtsituation. Hinterher ist man schlauer, fühlt sich aber nicht unbedingt besser.

Adam Tooze über das Vakuum in der politischen Mitte Europas nach den Wahlen (engl.).

Philipp Peymann Engel: Die Schande von Berlin. Offene Briefe. Manni, feste! So important.

"Wenn Professoren, Dozenten und Wissenschaftliche Mitarbeiter sich vor die Täter stellen und nicht hinter die Opfer, muss das jeden alarmieren. Wenn jüdische Studenten und Hochschullehrer sich nicht mehr sicher an den Universitäten fühlen können, ist es nicht fünf vor zwölf, sondern fünf nach zwölf." (Peymann-Engel, a.a.O.)

Hazel Rosenstrauch würde das alles gern verstehen. Ich auch. Vielleicht hilft dieser Thread von Anatol Stefanowitsch.

Constantin Seibt ist ein Kind seiner Zeit.

Das von der großartigen Svenja Flaßpöhler herausgegebene Philosophie Magazin ist immer wieder eine wahre Fundgrube für Anregendes. Und vieles davon nicht hinter Paywall. Zum Beispiel die Interviews mit Julian Nida-Rümelin und Philip Manow zum Thema Demokratie.

Fefe zum Thema 'regulierungswütiges Deutschland'.

Martin Sellners Traum ist längst Realität, befindet Leo Fischer.

"Es ist eine Art kollektiver rassistischer Raserei, in die sich eine Politik- und Medienkaste hineingesteigert hat, die sich thematisch ausschließlich an der AfD orientiert. Quer durch alle Parteien hindurch geht der Traum des rechtsextremen Ideologen Martin Sellner in Erfüllung: Jedes politische Problem wird als Migrationsproblem behandelt, für jedes Problem werden Geflüchtete verantwortlich gemacht. [...] Von Raserei muss deshalb gesprochen werden, weil es nicht einmal mehr dem Eigennutz dient: Die Wahlergebnisse zeigen, dass mit dem Rechtsruck von SPD und Grünen praktisch kein AfD-Wähler zurückgebracht wurde." (Fischer, a.a.O.)

(Fun fact: 86 Prozent der Geflüchteten, die seit acht Jahren in Deutschland leben, arbeiten inzwischen. Aber wen stören schon Fakten...)

Rechte sind übrigens schlagbar. Es zeigt sich, dass dort wo in Österreich die KPÖ erfolgreich ist, die FPÖ bald keine Rolle mehr spielt. Wie das geht, erklären Georg Kurz und Sarah Pansy in zehn Punkten, die die KPÖ ganz anders macht.

Kultur/Gesellschaft/Gedöns. Albrecht von Lucke über die Rolle des Intellektuellen in der Berliner Republik. Von Habermas zur Schirrmacher.

Seeßlen. AfD. Zivilgesellschaft. Bruch.

Interview mit Schulleiter Stefan Ruppaner, der die Lehrerausbildung in jetziger Form für am Bedarf vorbei hält.

"Wenn wir einen Referendar an der Schule haben, dann muss ich ein paar Schüler fragen: »Würdet ihr bitte immer Montag um 9 Uhr in das und das Zimmer gehen; da kommt dann eine Person, die euch sagt, was ihr machen sollt. Dann werden nachher eure Arbeitsergebnisse eingesammelt. Und das müsst ihr machen bis April nächsten Jahres, denn dann hat der Lehramtsanwärter die Prüfungslehrprobe und danach könnt ihr wieder normal lernen.«" (Ruppaner, a.a.O.)

Life Hack (irgendwie auch Kultur): Sie haben Kleidung, die nicht in die Waschmaschine darf und die chemische Reinigung ist zu teuer? Machen Sie es wie die Kostümdamen der Nationale Opera & Ballett Amsterdam: mit Wodka. Kein Witz.

Musik
. Wer in den frühen Achtzigern televisionären Zugang hatte zur ZDF-Hitparade mit Dieter Thomas Heck, wird sich vielleicht noch dunkel an die ersten Auftritte von Hubert Kah und Kapelle mit im Jahr 1982 erinnern. Heck musste sie auftreten lassen, weil das Reglement der Sendung nun einmal vorsah, dass die in den Charts bestplazierten deutschsprachigen Künstler auftraten. Mit so was wie der Neuen Deutschen Welle hatte halt keiner gerechnet. Und so tänzelte Hubert Kah grell geschminkt, seine 'Kapelle' in nicht minder schräger Aufmachung, dadaistisch durchs Studio. Unter den teils entgeisterten Blicken und Buhrufen eines Publikums, das halt mehr so Schlager erwartet hatte.

Dass Hubert Kah ein Songschreiber von Graden ist, ging bei seinen frühen Nonsens-Auftritten leicht unter. Als die NDW abgeebbt war, versuchte er es weiter mit Deutschsprachigem ('Engel 07'), hatte aber nur mäßigen Erfolg. Danach sang er auf Englisch. 1986 erschien die Single 'Limousine', die mir einen monatelangen Ohrwurm bescherte. Dabei hatte ich lange gar nicht auf dem Schirm, dass der Song von Hubert Kah war. Die 'Bravo' las ich nicht, Mal Sondock’s Hitparade fand ich öde, 'Formel eins' guckte ich nur so unregelmäßig. Und die WWF-Club-Sendung, in der das kam, hatte ich wohl irgendwie verpasst. Die schweren Zeiten. Wir hatten ja nichts. Aber gut gealtert, das Ding. Da stimmt alles. Ich würde sagen, einer der besseren Popsongs der an guten Popsongs nicht armen Achtziger.


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Sport. Die Zeiten sind finster, aber die EM ist unerwartet schön, friedlich und fröhlich. Drei Beiträge dazu im 'Freitag' von Pedram Shayar, Katharina Körting und Alex Brüggemann.

Essen/Trinken/gut Leben. Für alle, die nicht anecken wollen, eine ausführliche Zusammenstellung, welche Fressalien inzwischen so alles voll nazi und rassistisch sind. Fleißig.

Ich frage mich da ja immer: Glaubt, wer so einen Unfug verzapft (so es nicht eh eine Software war), hinterher wirklich: "Wow, mit diesem luziden Stück Qual-litätsjournalismus habe ich dem weißen, heteronormativen Dreckskolonistenpatriarchat jetzt aber mal so richtig eingeheizt!"? Oder ist das mehr so: "Na gut, wenn ihr den Mist unbedingt bringen wollt und ich dafür Geld kriege, dann soll es eben so sein..."?

Man kann es als lästige aber harmlose Schnurre abtun, dass man in den Augen einiger Leute schon ein Nazi ist, wenn man bloß ein Wort wie 'grobe Bratwurst' ausspricht. Ist aber nicht harmlos. Denn wenn alles irgendwie nazi ist, dann ist irgendwann nichts mehr nazi und die echten Nazis freuen sich. Ist ein bisschen wie mit dem Mann, pardon, der als männlich gelesenen Person, die immer zum Spaß vor Wölfen gewarnt hat: Als irgendwann wirklich Wölfe kamen, wurde er gefressen, weil niemand seine Warnrufe mehr ernst nahm.

Kollege Kurbjuhn mit einem Lanzenbruch für den Chardonnay. Dessen schlechter Ruf basiert, wie er zu recht meint, auf den in den Neunzigern und Nullern beliebten, großindustriellen Vanille-/Honig-/Zimt-Granaten aus Übersee. Jenseits davon ist Chardonnay meist, ähnlich wie Grauburgunder, ein unkomplizierter, angenehm trinkbarer Wein. Was völlig in Ordnung geht. Manchmal will man keine 'Ecken und Kanten' oder endlos feinsten Geschmacksnuancen nachspüren.

Das Rezept. Nach gefühlt monatelangem Dauerregen schlägt gerade der Sommer so richtig zu. Sommerzeit ist Grillzeit, und damit die Zeit der chemischen Fertigmarinaden (wogegen hier und hier schon Abhilfe angeboten wurde) und der Gewaltsohsen aus dem Supermarkt (gegen die es hier Hilfe gibt). Die sind entweder pappsüß (Curry), brennen einem die Geschmacksnerven weg (Chili), schmecken nach Knoblauchpulver oder - för öchte Körle! - penetrant nach Qualm (BBQ). Deren einziger Zweck scheint zu sein, minderwertige Fleischqualität zu überdecken. Letztens war ich übrigens zu Besuch im Schwäbischen und wir haben uns zwecks Grillen bei einem dortigen Metzger entsprechend eingedeckt. Das Fleisch war nur sehr dezent mariniert und von solcher Güte, dass ich nicht ein einziges Mal auf die Idee kam, da überhaupt irgendeine Sauce drüberzukippen. So sollte es eigentlich sein, fand ich.

Sommerzeit ist aber auch Dip-Zeit. Ideal, wenn einem bei den Temperaturen nicht nach schwerem Essen ist, sondern bloß nach ein paar deftigen Happen, vielleicht mit einem Weinchen und etwas Salat dazu. Auch hier hat die Industrie längst flächendeckend für geschmacksgepimptes Einlerlei gesorgt. Knoblauch, Hummus, Aubergine, Chili, Kirschtomate, Thunfisch, Feta. In der Regel getunt mit Emulgatoren, Stabilisatoren, Verdickungsmitteln, Sojalecithin (fürs 'Mundgefühl') und modifizierter Stärke. Wer sich das reintun will, bitte sehr. Nur ist es ja so, das gerade Dips problemlos selbst zu machen sind. Auch Menschen, die fürs Kochen unbegabt sind, kriegen das locker hin. Vorausgesetzt es sind ein paar Vorräte und ein Stabmixer im Haus. Das geht fix und ist köstlich. Also, was soll die kulinarische Verarmung? Madame Bastian hat 16 Rezepte für Dips und Brotaufstriche auf Lager.









9 Kommentare :

  1. Wie so oft viel zu viel und eine sehr gute Auswahl!

    Mit Münkler gehe ich nicht so d´accord, das liegt aber vielleicht daran, dass ich speziell beim Thema Bücher, Lesen und tieferes Einfinden in Themen eine andere Sicht habe. Möge er beim Thema "Fliegenschiss" recht behalten.

    Hubert Kah kann ich auch eher schwierig einnorden. Vermutlich ist er wie Annette Humpe, die sich ja auch hinter der Bühne wohler fühlt als auf ihr, als Texter ein wenig unterschätzt. Zugegeben ist auch da mein Musikgeschmack etwas anders.

    Bei Sport bin ich raus und mache drei Kreuze, wenn das Fussball-Theater abgehakt sein wird.

    Essen, welches nicht mehr geht: Bezieht sich dieser Kontext neben Essen nicht auch auf Kleidung, Aussehen und vieles mehr, was als "falsch" interpretiert werden kann? Da denke ich nur an die Musikerin, welche mit Dreadlocks des kulturellen Aneignens bezichtigt wurde. Auf diese Art kann alles und nichts zum Ausgrenzen genutzt werden und das ist gelinde eine Sch...-Manie, weil sich da die Betreffenden selbst überhöhen und damit auch als "die besseren Menschen" in Szene setzen. Das wechselt blöderweise ähnlich schnell wie die Mode und kann nur in Fettnäpfchen enden. Bald gibt es nur noch Säulenheilige dadurch und dümmer geht immer.

    Andererseits ist das beim Thema Essen irgendwie auch so eine Anti-Haltung zum überkandidelten Verbotsanwurf von rechter Seite, dass ja nur noch Tofu und so und ich lasse mir mein Schnitzel...

    ...da ist der eine einen Dreier wert und der andere drei Pfennige. Bescheuert ist es so oder so und wer keine Probleme hat, der schafft sich halt welche, sonst wüßte ja niemand, worüber er sich künstlich aufregen soll;-)

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  2. Wodka bei Wäsche? Den Tipp kenne ich schon länger - funktioniert tatsächlich sehr gut. Klamotten, die zwar noch sauber, aber nicht mehr wirklich geruchlos sind, an den entsprechenden Stellen einsprühen (beispielsweise unter den Achseln) und über Nacht raushängen. Die Bakterien, die den Geruch verursachen, sterben an dem Zeug (was ja nicht wirklich wundert...), der Wodka verdunstet rückstandsfrei und fleckenlos.
    Nur trinken kann man das Zeug echt nicht... *grusel*

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    1. Wodka ist in der Basisversion eine Mischung aus weichem Wasser mit 40 Vol% sehr sauberem Ethanol. Dass das als Lösungsmittel gut funktioniert, ist klar. Ich verwende aber doch lieber 70%iges 2-Propanol, das ist billiger und taugt in der Spritzflasche noch für ganz andere Anwendungen, wie z. B. die im Sommer tägliche Desinfektion von Frau Hunds Trinkschüssel oder Brillenputzen.

      Und den Wodka kippe ich mir lieber in Thomas Henrys Spicy Ginger Beer – das putzt auch gut durch.

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  3. "im Schwäbischen" ... demnächst dann evtl. beim Klink (Wielandshöhe) einkehren. Wird sich lohnen!

    Gruß
    Jens

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  4. Jaaa, aber die Chinesen und die Russen! Die hätten so jemanden wie Julian Assange doch längst totgemacht ... Mag sein. Trotzdem, schwaches Argument, nicht bloß wegen Fahrradkette. Sollte sich unser freundlicher Wertewesten nicht besser an seiner eigenen lupenreinen Moral orientieren?
    Was solls. Sommerzeit ist Dipzeit.

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    1. Blödsinn. In China und Russland ist es Teil der Staatsraison, unliebsame Meckerer einzulochen und/oder umzubringen. Im Westen kommt so was natürlich vor, ist aber nicht die Regel. Aber das werden Sie in Ihrem verpeilten antiwestlichen Furor wohl erst bemerken, wenn die von Ihnen so bespöttelte Werteorientierung mal abgeschafft wird.
      @Jens: Keine schlechte Idee. Stuttgart ist 50 km entfernt.

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    2. Ich bin nicht zornig. Ich finde nur, dass es durchaus nicht von Schaden ist, zunächst mal vor der eigenen Tür zu kehren. Wir werden nicht an Putins Bosheit eingehen, sondern an unserer eigenen Gier, Heuchelei und Ignoranz. Für letztere ist - um meinerseits persönlich zu werden - Ihre Erwiderung ein gutes Beispiel. Schade eigentlich. Ich hab manche Texte hier gerne gelesen.

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    3. Kleiner Wink für Sie: Kapitalismus gibt es nicht nur im Westen. Ignorant sind immer die anderen und Heuchler auch.

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  5. Ach, wirklich? Wenn Sie meinen. Adieu.

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