Montag, 24. Juni 2024

Vermischtes zu Eh-Em (III)


So langsam nimmt das Public Viewing auch hier in der Provinz Fahrt auf. Schon Stunden zuvor sind dekorierte Fans in der Stadt unterwegs. Zum Glück lärmen sie nicht. Zumindest nicht vor dem Spiel. Wobei ich bei den meisten dekorierten Frauen den Eindruck nicht loswerde, denen geht es gar nicht um das Spiel, sondern die sehen darin bloß einen Anlass, sich mit schwarzrotsenfenen Accessoires maximal aufzumascheln. Kann mich natürlich täuschen. Und wieso man nach einem Unentschieden noch stundenlang wild hupend durch die Gegend fahren muss, als habe man gerade den Titel geholt, erschließt sich mir nicht wirklich.

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Habe ich eigentlich schon erwähnt, dass mir dieses 'Sommermärchen'-Getröte gewaltig auf den Zeiger geht? Glücklicherweise gibt es die Deutsche Bahn, die jegliche Anwandlungen in Richtung, man veranstalte hier gerade das beste, geilste, perfekteste Turnier aller Zeiten, zuverlässig im Keim erstickt. Zumal auch die deutschen Fans in Puncto Lautstärke und Stimmung gegen etliche andere ziemlich abzustinken scheinen.

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Die Partie gegen die schweizerische 'Nati' war einer der ganz seltenen Fälle, bei dem ich mit einem Tipp vorab richtig lag. Mir war klar, dass es ein schwieriges Spiel werden würde, weil die Schweizer zum sicheren Weiterkommen gewinnen mussten, während die deutsche Mannschaft schon fix weiter war. Also tippte ich auf ein hakeliges, eher unschönes Spiel, das 1 : 1 ausgehen würde. Ha! Nur könnte mit dem Gruppensieg, vorausgesetzt, man übersteht das Achtelfinale, im Viertelfinale die spanische Mannschaft warten. Und die wiederum könnte, an den bisherigen Leistungen gemessen, das Sommermärchen durchaus vorzeitig beenden.  

Wer das Spiel ernüchternd fand und schon in den deutschen "alles Versager und Luschen!"-Meckerpottmodus geschaltet hat, sollte vielleicht seine Erinnerung auffrischen. In jedem Turnier gibt es schwache, unglamoröse Spiele von späteren Siegern. Wann ist es zuletzt passiert, dass ein Team in einem einzigen unwiderstehlichen Lauf durch ein Turnier gerauscht ist? 1970 vielleicht, als die Brasilianer um den unerreichten Pelé alle nass gemacht haben. Ansonsten haben spätere Titelgewinner immer mal eins draufbekommen (2022 Argentinien von Saudi-Arabien, 2010 Spanien von der Schweiz, 1974 BRD von der DDR, 1954 BRD von Ungarn etc.).

Und wenn die deutsche Mannschaft nicht mit allerletzter Konsequenz gespielt haben sollte, vielleicht eher wie in einem Testspiel mal dies und jenes ausprobiert hat, dann geht das in Ordnung, denn der Einzug ins Achtelfinale stand, wie gesagt, unabhängig vom Ergebnis, bereits fest und man konnte sich das erlauben.

Ich würde natürlich nicht behaupten, das Spiel sei absichtlich hergeschenkt gewesen oder so. Aber ich glaube schon, dass da welche auf dem Platz waren, die mit dem 0 : 1 auch sehr gut hätten leben können. Wegen Spanien. (Ist jemandem aufgefallen, dass Kimmich andauernd verzögerte, wenn es eigentlich mal hätte schnell gehen müssen?) Und der heillos überforderte Schiedsrichter Orsato, der das Spiel mit seinen erratischen Entscheidungen (zwei klare Elfmeter nicht gegeben, ein reguläres Tor aberkannt, auf der anderen Seite ein ebensolches aber gegeben u.v.a.) ziemlich verpfiffen hat, konnte sich bei seinen Assistenten und beim vierten Offiziellen bedanken, dass ihm das nicht komplett entglitten ist.

Es gibt durchaus auch gute Nachrichten. Etwa dass Nagelsmann durch die Hereinnahme von Raum und Beier von Kurzpass- auf Flankenspíel umstellen kann und es funktioniert. Ein Problem der Ära Löw/Flick war ja, dass denen eine derart grobe Kelle immer zu kunstlos war. Dabei haben auch die Spanier auf dem Höhepunkt ihrer filigranen Fußballkunst schon auf das alte rustikale Hausmittel Flanke - Kopfball - Tor ("Manni Flanke, ich Kopf, Tor.") zurückgegriffen. Mit Erfolg.

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Auch wenn ich gegen die ungarische Mannschaft bzw. deren Politisierung bei der letzten EM eine gewisse mittelschwere Antipathie hege (wiewohl ich die zu lesenden ungarischen Pressestimmen bislang überaus fair und ausgewogen fand), ist es erfreulich, dass der ungarische Spieler Barnabás Varga nach dem Zusammenprall im Spiel gegen das schottische Team auf dem Wege der Besserung ist.

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Im empfehlenswerten täglichen Podcast von Arnd Zeigler und Philipp Köster kam letztens zur Sprache, dass bei dieser EM mit Österreich, Ungarn, Tschechien, Slowakei, Slowenien und Kroatien nicht weniger als sechs Teams aus Territorien der ehemaligen k.u.k.-Monarchie angetreten sind. Eine gemeinsame Mannschaft hätte also zumindest auf dem Papier eine echte Fußball-Großmacht sein können. Wenn's halt nur den Franz Ferdinand damals ned daschoß'n hätt'n.









10 Kommentare :

  1. "Und wieso man nach einem Unentschieden noch stundenlang wild hupend durch die Gegend fahren muss, als habe man gerade den Titel geholt, erschließt sich mir nicht wirklich."

    Der Anlass ist gesellschaftlich golden angestrichenund akzeptiert und dem muss jetzt ohne rechts oder links zu schauen gehuldigt werden.

    Wie ein türkischer Hochzeitskorso auf allen Fahrspuren, nur mit allgemeiner Akzeptanz und weniger Verkehrsbehinderung.

    Gruß
    Jens

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  2. Tja, wie wahr. Dreimal am Tag kurven hier derzeit die Unterbelichteten herum - es nervt nur noch. Ich würde es ja Lärmbelästigung nennen.
    Momentan ist es auch egal, wer gewinnt - irgendwelche Deppen fahren immer.

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  3. Gegen die DDR haben wir ja 74 absichtlich verloren, um nicht in die Todesgruppe mit Turnierfavorit Holland, Titelverteidiger Brasilien und Argentinien zu kommen. Behauptet jedenfalls der Dachdecker von meinem Zahnarzt.

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    1. Und der muss es wissen, denn der hat immer mit einem an der Theke gestanden, der damals in Malente immer Unkraut gejätet hat.

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  4. > "Habe ich eigentlich schon erwähnt, dass mir dieses 'Sommermärchen'-Getröte gewaltig auf den Zeiger geht?"

    Bin ich ein Hipster, wenn mich das "Sommermärchen" bereits 2006 genervt hat? Diese plötzliche Zwangsfröhlichkeit und aus allen Radios der Nation quäkten Bob Sinclair und die "Sportfreunde Stiller". Und letztere mussten einen mit ihrem "Hit" noch weitere Male foltern. *kotz*

    Wenn man sich übrigens das offizielle EM-Logo stocknüchtern anschaut (im offensichtlichen Gegensatz zum Designer und demjenigen, der den Entwurf durchgewunken hat) sieht es wie eine in der Draufsicht gezeichnete Toilettendeckel-Umhüllung aus.

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  5. "damals in Malente immer Unkraut gejätet hat."
    .... klasse — touché

    Gruß
    Jens

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  6. tendenziell irgendwas26. Juni 2024 um 09:32

    "Schwarzrotsenfen"? Ganz schön mutig! Für solch schnöde Verunglimpfung unserer Nationalfarben kanns bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe geben, siehe auch § 90 StGB, Absatz 1. Ich hoffe sehr, das BfV liest grad woanders mit.
    Und man sagt bitte nicht "dekorierte Frauen". Man kanns ja nicht genau wissen. Besser ist: "vermutlich weiblich zu lesende Personen mit ästhetischer Herausforderung".

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    1. Na, wenn Springer damals mit "schwarz-rot-geil!!!!!" durchgekommen ist...
      Als Ersttäter käme ich aber vermutlich mit Bewährung davon.
      Die Personen, auf die ich mich beziehe, wollten nach meiner Wahnehmung definitiv weiblich gelesen werden.

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    2. tendenziell irgendwas26. Juni 2024 um 10:39

      Hm. Das scheint mir doch sehr männlich geprägte, wenn nicht gar toxische Wahrnehmung gewesen zusein! Andererseits: Man sieht nur mit dem Penis gut.
      PS.
      Übrigens gibts da eine Trashcoreband aus Saarbrücken, die auf ihrem letzten Album "Generell fick dich" den Song "Schwarz Rot Blöd" veröffentlicht hat. Und die Jungs laufen auch noch frei rum, soweit ich weiß. Man könnte fast meinen, unsere Exekutive wäre auf dem linken Ohr taub. Alles klandestine Kommunisten!

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