Nicht immer Kritisches über Politik, Gesellschaft, Medien, Kultur, Essen und manchmal auch Sport
Samstag, 19. Mai 2018
Menschen am Buffet
Kennen Sie das auch? Ist mir letzte Woche wieder passiert: Am Nachmittag bei einer Tagung zugegen, bei der auch eine Kleinigkeit gereicht wurde. Warme und kalte Getränke, belegte Brötchen. Eigentlich hatte ich zum Mittag was zu essen, wenn auch nur was leichtes, trotzdem bediente ich mich gern bei den Brötchen. Man muss ja nicht gleich zulangen wie ein Scheunendrescher. Und da passierte es. Wieder einmal. Eine andere Anwesende greift sich ein Brötchen und tat dies mit der Bemerkung, sie habe heute den ganzen Tag noch nichts gegessen. Aha. Jedes verdammte Mal! Jedes Mal bei solchen oder vergleichbaren Anlässen weist mindestens eine oder einer am Buffet darauf hin, kurz vor dem Verhungern zu sein, den ganzen Tag nichts gegessen zu haben bzw. noch gar nicht zum Essen gekommen zu sein.
Was soll das? Es mag sein, dass die Versorgungslage dieser Menschen tatsächlich so dramatisch ist, aber: Wen interessiert das? Wieso wildfremde Leute eigens darauf hinweisen? Es ist mir komplett wumpe, was, wie oft und wie viel die Dame heute bereits gegessen hat bzw. nicht gegessen hat, ob das jetzt schlecht für ihre Diät, ihren Elektrolythaushalt ist oder was auch immer. Habe ich Lust auf eine Kleinigkeit, dann nehme ich mir was, habe ich keine Lust oder Angst um meinen BMI, dann lasse ich's halt. Niemand drängt einen. Und wenn man weiß, dass es schwierig werden wird mit dem Essen, dann hat man zur Not einen Happen dabei. Wo ist das Problem? Nein, ich glaube inzwischen, der Hinweis darauf, noch nichts zwischen den Zähnen gehabt zu haben, dient völlig anderen Zwecken. Psychologischer Laie, der ich bin, habe ich mir fürs Erste folgende vier Hypothesen zurechtgelegt:
Es ist vielleicht der letzte kümmerliche Rest jenen Komments, angebotene Speisen zunächst einmal pro Forma abzulehnen, weil man signalisieren will, dem Gastgeber keine Umstände machen zu wollen. Ferner möchte man nicht unmäßig erscheinen, zumal öffentlich vorgeführte Selbstzucht und Impulskontrolle als bürgerliche Tugenden gelten.
Es ist ein Zeichen, wie viel beschäftigt und demzufolge irre wichtig man ist. Wie sagte Gordon Gekko einst? Mitagspause machen ist für Verlierer!
Man möchte damit demonstrieren, dass man so was normalerweise gar nicht esse, sondern supergesund lebt. ("Also mein Mann und ich essen sonst nur Vollwertbrot, für das das Mehl bei Vollmond von Hand rechtsdrehend auf einem nur von Druidenhand zu Druidenhand weitergegeben Stein gemahlen wurde mit handgeknetetem bioveganem Quinoa-Soja-Knoblauch-Nuss-Aufstrich aus dem Hildegard-von-Bingen-Klosterladen. Es ist also einzig und allein Gevatter Kohldampf, der dieses schrottige Weizenbrötchen mit Margarine und rohem Schinken in mich hineintreibt.")
Und schließlich: Es handelt sich um eine Gelegenheit, ein wenig Smalltalk zu betreiben, ohne über das Wetter zu sprechen zu müssen.
Alle vier Varianten dünken mir plausibel, ich weiß noch nicht recht, wofür ich mich entscheiden soll. Klar, das ist harmlos, gibt weiß Gott Schlimmeres. Eine Petitesse vergleichsweise. Trotzdem, beschäftigt mich schon irgendwie.
4 Kommentare :
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Kommentare zum Post
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Reinhard Mey - Die heiße Schlacht am kalten Buffet - YouTube
AntwortenLöschenhttps://m.youtube.com/watch?v=JXnt9iGEdIM
Die Bemerkung, dass man heute noch nicht gegessen habe, dient meiner Erfahrung nach als Vorwand/Entschuldigung sich quantitativ ausladend am Buffet zu bedienen.
AntwortenLöschenLG
Die Hypothesen 2, 3 und 4 klingen für am plausibelsten und ich kann es genauso wenig verstehen. Ist das irgendwie zur Mode geworden oder eine Art Zwang sich anderen Menschen ungefragt mitzuteilen, ausgelöst durch die übermäßige Nutzung sozialer Medien?
AntwortenLöschenKonfuzius sagt: "Du sollst nicht mehr essen, als mit aller Gewalt hineingeht."
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