Mittwoch, 21. November 2018

Deppen, Medien, Metaebene


"Auch vor dem Internet gab es in jedem Dorf einen Deppen, manchmal auch zwei. Durch das Internet können sich nun die Dorfdeppen untereinander austauschen und organisieren." (Jörg Kachelmann)

Wir lebten in einer Zeit zunehmender Wissenschaftsfeindlichkeit, so ist da und dort zu hören. Man kann da die Frage stellen, ob das in Zeiten der herrschenden Kommunikationsmöglichkeiten nicht auch ein Wahrnehmungsproblem sein könnte. Analog zum o.g. Zitat könnte man sagen: Leute, die Wissenschaft doof finden, hat es früher auch gegeben, aber dank Internet können sich heute alle Wissenschaftsdooffinder dieser Welt vernetzen. Definitiv ein Problem scheint es aber zu geben mit der medialen Aufarbeitung wissenschaftlicher bzw. vermeintlich wissenschaftlicher Erkenntnisse ("Amerikanische Wissenschaftler haben herausgefunden, dass..."). Die hat inzwischen Formen von Sensationsjournalismus angenommen, sodass es nicht mehr um Aufklärung geht, sondern offenbar nur noch darum, möglichst viele Säue möglichst klickzahlenträchtig durchs Dorf zu treiben.

Wie anders sollte man es bewerten, wenn auf ein und derselben Webseite zur gleichen Zeit folgende beiden Artikel zu finden sind?


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Kannste dir nicht ausdenken.

Das Selbstbewusstsein der hiesigen Journaille jedenfalls scheint durch so etwas und andere Vorfälle keineswegs gelitten zu haben. Eine Anja Reschke etwa hatte man ja wegen ihres entschlossenen Eintretens gegen Rechts ja immer für eine Einäugige unter den Blinden gehalten. Doch, oh Graus, auch die entpuppt sich nunmehr, man liest es im Interview nicht ohne Erstaunen, doch mit einer gewissen Resignation, als eine, die das herrschende Narrativ von der gerechten kapitalistischen Leistungsgesellschaft und dem proppersuperen Sozialstaat mit nicht eben kleinen Löffeln inhaliert zu haben scheint. Nun kann man das alles machen. Ist legitim. Geht in Ordnung. Überrascht auch nicht wirklich.

Es fehlt ja auch nur eine kleine, eine klitzekleine Kleinigkeit: Das, was früher 'Metaebene' hieß und unter anderem bedeuten würde, auch den eigenen Standpunkt kritisch zu reflektieren. Dass einem die eigene (als Journalist/in höchstwahrscheinlich) bürgerliche Sozialisation theoretisch immer den Blick vernebeln kann. Ein selbstkritischer Gedanke, der tiefer ginge als oberflächliche Stumpfsätze der Marke "Auch wir sind Menschen und machen Fehler", und vielleicht sogar die Rolle der Medien im System reflektierte, wie das einst gar an der Uni gelehrt wurde, würde ja schon genügen. Die Herzen würden nicht nur Frau Reschke nur so zufliegen, jede Wette.



11 Kommentare :

  1. Zur Behandlung wissenschaftlicher Erkenntnisse habe ich grad was Hübsches gesehen:
    https://twitter.com/florianaigner/status/1064517351125733378
    https://twitter.com/djchrisi/status/1064526358397751296
    Ist wohl leider wirklich so...

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  2. Gekaufte Wissenschaft. Vorsich bei "belastbaren" Studien:
    https://tinyurl.com/yaygttff

    Sehr gute Kurzdoku.

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    1. Da stimmt natürlich, aber das entwertet (a) nicht das komplette System Wissenschaft (man kann sich z.B. leicht über Cochrane informieren) und (b) werden gefakte/gekaufte Studien nicht nur vom Großkapital in Auftrag gegeben. Paradebeispiel: 'Dr.' Wakefield und sein angeblicher Beweis über den Zusammenhang von Masernimpfung und Autismus - immer noch ein Renner in der 'kritischen' Gegenöffentlichkeit.

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    2. Nach sachlicher Kritik an HPV-Impfstudie rausgeschmissen

      Urs P. Gasche / 10. Okt 2018 - "Die eigentlich unabhängige «Cochrane» nimmt Geld von HPV-Impfsponsor Bill Gates und gibt ihren Namen her zugunsten der HPV-Impfung."

      "Eines seiner ersten Mitglieder war der dänische Mediziner Professor Peter C. Gøtzsche. Ende September wurde er von der Cochrane-Dachorganisation ausgeschlossen, bleibt aber Direktor des Nordic Cochrane Centers. "

      https://www.infosperber.ch/Artikel/Gesundheit/Nach-sachlicher-Kritik-an-HPV-Impfstudie-rausgeschmissen

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    3. Cochrane ist, wie alles, weder unfehlbar noch über jeden Zweifel erhaben und auch nicht immun gegen Einflussnahme. Aber immer noch so ziemlich das Neutralste, was man bekommen kann. Sie wegen dieser einen Causa Gøtzsche pauschal in Richtung 'gekauft' rücken zu wollen, ist komplett lachhaft. Natürlich sind die meisten irgendwie käuflich, aber zu glauben, größtenteils renommierte Wissenschaftler würden für eine 1,1-Mio-Spende ihre kompletten Ideale verraten? Ich wei0 nicht.
      Die Gates-Spende wurde damals sofort öffentlich gemacht.Und diese Personalie Gøtzsche? Nun ja, es gibt andere Stimmen. Etwa die, dass der Mann vor allem mal ein selbstverliebter Laberkopp gewesen sein soll, der sich selbst gern reden hörte und sich in einer Tour als Märtyrer inszenierte:
      "Unter dem Briefkopf des Nordischen Cochrane-Zentrums stilisiert er sich als Märtyrer, der im Kampf für die Aufrichtigkeit in der Medizin alles gegeben hat, aber nun unter dem Druck von Industrie-Interessen geopfert wurde."
      Wenn das so war: Hat sich was mit "sachlicher Kritik". Es ging wohl insgesamt weniger darum, dass seine Prositionen nicht diskutabel gewesen wären, sondern um die Art und Weise, die mit der Arbeit der Cochrane Collaboration nicht vereinbar gewesen sein soll.

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    4. @ Stefan Rose,

      "Sie wegen dieser einen Causa Gøtzsche pauschal in Richtung 'gekauft' rücken zu wollen, ist komplett lachhaft."
      Das stimmt zwar wie so oft nicht ganz, aber "nassen Schwamm drüber" über solche Petitessen.

      Es geht in diesem Bericht einmal um Interessenkonflikte von Cochrane-Wissenschaftlern und wenn man weiter einsteigen mag, um die absichtliche Zurückhaltung von firmeneigenen Studien, die vom Hersteller mit dem Argument eingeschwärzt und nicht freigegeben wurden, weil sie Geschäftsgeheimnisse betreffen würden.

      Mag sein, dass ich zu dumm geblieben bin, um zu erkennen, dass Wissenschaft und Kapital durchaus eine fruchtbare Beziehung eingehen können.

      Ich könnte da durchaus noch tiefer einsteigen, lasse es aber dabei.
      "Unter dem Briefkopf des Nordischen Cochrane-Zentrums stilisiert er sich als Märtyrer, der im Kampf für die Aufrichtigkeit in der Medizin alles gegeben hat, aber nun unter dem Druck von Industrie-Interessen geopfert wurde."

      Das ist schon eine ziemlich miese Unterstellung,bleibe wie immer höflich und stelle nur fest, das Joseph Kuhn auf scienceblogs, eine Petition für Götsche unterstützt hat, und darauf bisher keine Resonanz erfahren hat.

      Weil Nestbeschmutzer?




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    5. @Stefan Rose,

      wo ich Dir doch zustimmen möchte ist, dass man auch die Wissenschaft nicht unter einem "Reinheitsgebot" betrachten sollte, sondern vielmehr eingebunden in die gesellschaftlichen (Reproduktions-)Bedingungen.

      Dieer Anspruch an Objektivität und Neutralität der Wissenschaft, unabhängig von den gesellschaftlichen Verhältnissen, ist letztendlich eine gern gepflegte Täuschung, die leicht durch die realen Verhältnisse entzaubert werden kann.

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    6. Da gebe ich dir wiederum absolut und uneingeschränkt recht. Der Anspruch an Objektivität und Neutralität wird übrigens von ernst zu nehmenden Wissenschaftlern durchaus (selbst)kritisch diskutiert.

      Vielleicht bin ich da auch etwas überempfindlich geworden, aber es bringt mich halt leicht auf die Palme, möglicherweise zu leicht, wenn bei jeder Unregelmäßigkeit, wie sie natürlich auch im Hause Cochrane vorkommt, sofort alle möglichen 'kritischen' Bescheidwisser und Checker, in der Regel ohne jede Kenntnis von Interna und frei von jeder Fachkenntnis, mit ganz einfachen Deutungen a'la "Da sieht man's wieder, alles Gefälligkeitsstudien!" ankommen. Ich glaube nicht, dass das zur Aufklärung beiträgt.

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  3. "Da sieht man's wieder, alles Gefälligkeitsstudien!" Von denen gibts auch jede Menge, diese wissenschaftsfeindlichen Besserwisser und ihr abfälliger Unterton auf alles was nach (zu viel) Wissenschaft riecht. Dennoch ist heute wohl nicht zu unterschätzen, jenes was sich unter dem Wort Wissenschaftskommunikation verbinden lässt.

    "Das Selbstbewusstsein der hiesigen Journaille jedenfalls scheint durch so etwas und andere Vorfälle keineswegs gelitten zu haben." Ganz genau. Heute hat sich jedenfalls auch ein unterhaltungsreicher Wissenschaftsfetisch virulent in den Medien etabliert. Überzogene Begeisterung von Klein und Groß über Arm und Reich bis Prominent und Konsorte. Ernstzunehmendere Schrumpfformen dieser Entwicklung von Denken und Wissenschaft, die zuhnemend gezwungen sind sich in Performance oder Unterhaltung zu verwandel, sind wohl eher die angesagten Science Slams.

    Die "medialen Aufarbeitung wissenschaftlicher bzw. vermeintlich wissenschaftlicher Erkenntnisse" dominiert nach meinem Verständnis schon sehr ätzend, worauf man die ebenso unbeholfenen Abwehrreaktionen darauf nur umso besser nachvollziehen kann.

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  4. @ anonym,

    für mich wieder mal stark überzeichnet "mit den wissenschaftsfeindlichen Besserwissern und ihrem abfälligen Unterton."

    Wissenschaft bewegt sich für mich zunächst einmal nicht ausserhalb von Gesellschaft, sondern sie ist Teil dieser Gesellschaft, wird von dieser finanziert, und damit besteht auch ein Anspruch darauf, Wissenschaft zu hinterfragen: Ist das was in Wissenschaft aufgewendet wird noch zum Nutzen der Allgemeinheit oder dient es privatem Verwertungsinteresse.

    Wissenschaftler halten sich enorm bedeckt, wenn es darum geht, ihre Verbindungen zur Privatwirtschaft öffentlich zu machen, dies ist inzwischen auch an Universitäten so.

    Es gibt auch Gerichtsurteile darüber, dass Kooperationsverträge, deren Inhalte, die zwischen Universitäten und Unternehmen ausgehandelt wurden, nicht dem
    Anspruch auf ein öffentliches Interesse nach Information unterliegen.

    Und ich bin auch nicht der Meinung, dass diese "wissenschaftliche Sau", die da stets durch die Medien getrieben wird etwas mit "unbeholfenen Abwehrreaktionen" zu tun hat.
    Ich habe eher die Vermutung, dass Wissenschaftskritik im Gleichschritt mit Gesellschaftskritik einhergeht und als Teil bürgerlicher Herrschaft wahrgenommen wird.

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