Mittwoch, 4. September 2019

Grenzerfahrungen in der Konsumgesellschaft (19)


Selten bekommt man so deutlich vor die Nase geklatscht, dass die Zeiten sich unwiderbringlich ändern. Obwohl ich weiß, dass Musik und Fernsehen heute nur mehr gestreamt werden, CDs bloß noch was für Rentner sind und wer noch Bücher kauft, am besten gleich ins Museum ziehen sollte, gehöre ich zu denen, die noch altmodischen Gepflogenheiten anhängen wie Papierbücher und CDs zu besitzen und gelegentlich sogar anzuschaffen. Daran, von Digital Natives darob angeglotzt zu werden wie ein Brontosaurus, der kurz vor dem Aussterben noch genüsslich auf einer halben Tonne Blattwerk herumkaut, habe ich mich längst gewöhnt. Man bekommt halt Übung im Minderheitsein.

Jetzt entnahm ich der Presse, dass die von mir geschätzte Band Tool nach 13 Jahren ein neues Album herausgebracht hat. Wer es dunkel, heftig, verrätselt und verfrickelt mag, kommt an Tool nur sehr schwer vorbei. Außerdem ist der Bassist ein Gott. Zeit also, mal wieder eine CD zu kaufen, dachte ich mir so. Zumal das, was auf YouTube vorab zu hören war, höchst verlockend klang. 'Fear Inoculum', so sei das Werk benamt und nicht weniger als sieben über zehn Minuten lange Bretter erwarteten einen da, wurde angekündigt.

"Nimmt man einmal jene Menschen ernst, die pausenlos rumerzählen, Rock sei auf der Gerontologiestation und man solle stattdessen besser diese Millennialgruppe von der britischen Kunsthochschule hören, die Gitarrenmusik so dekonstruiert hat, dass sie klingt wie ein rückwärtsgelesener Band aus der Edition Suhrkamp, so hilft vielleicht diese Nachricht: Die kalifornische Band Tool hat wieder ein Album veröffentlicht." (David Hugendick)

Frohgemut betrat ich diesen Fachmarkt, wo man angeblich nicht blöd ist. Ja, auch das weiß ich, es ist kein kleiner, sympathischer, inhabergeführter Plattenladen mit einem strubbeligen Musikexperten hinter dem Tresen. Geht aber leider nicht anders, denn der letzte kleine, sympathische, inhabergeführte Plattenladen in der Stadt mit einem strubbeligen Musikexperten hinter dem Tresen hat vor etwa fünfundzwanzig Jahren dichtgemacht. Ich fand das Gewünschte auch gleich bei den Neuerscheinungen (meine Güte, ist die CD-Abteilung geschrumpft!). Allerdings nur die Super-Luxus-Edition mit eingebautem 5-Zoll-LCD-Monitor (kein Scherz, das!), Schutzkarton, De Luxe-Booklet, Beleuchtung und Flux-Kompensator. Zum Schnäppchenpreis von 81,99 Euro.

In Worten: Einundachtzig Euro und neunundneunzig Cent. Wieder kein Scherz.

Nun ja, dachte ich, wer‘s mag. Wird ja wohl noch eine normale Spacko-Version geben für armes, geiziges Fußvolk wie mich. Man ist ja schließlich nicht Krösus und seinem sauer verdienten Geld nicht böse. War aber nirgends zu finden. Schon ausverkauft vielleicht? Also den freundlichen Herrn vom Fachpersonal gefragt. Nein, das sei die einzige auf physischem Datenträger erhältliche Version, sonst nur Streaming und Download. Er meinte, das sei wohl so eine Art Versuchsballon. Ob es sich rechne, Musik nur noch im Netz zu vertreiben und physische Datenträger allein als Super-Luxus-Edition für Sammler. Na danke auch.

Times thy are-a changin'. Machste nix, hältste nicht auf. Aber selten bekommst du‘s so unmittelbar auf die Nase.




2 Kommentare :

  1. Du meinst im vorletzten Absatz vermutlich „die einzig erhältliche physische Version“ mit ohne „nicht“.
    Ansonsten mal wieder eine hübsche Miniatur. Weiss man, was auf dem Display zu sehen wäre und wie die begleitende Hardware beschaffen ist?

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    1. Besten Dank für den Hinweis, ist geändert.
      Die Videos sind wohl die zu den Songs plus Extramaterial. Welche Hardware da im Einzelnen verbaut wurde, habe ich auf die Schnelle nicht herausfinden können. Auf der Homepage heißt es nur: "a 4” HD rechargeable screen with exclusive video footage, charging cable, 2 watt speaker, a 36-page booklet and a digital download card." (Die Downloadkarte ist erforderlich, weil das gesamte Material nicht auf die CD passt.)

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