Samstag, 19. Oktober 2019

Biederer Brandstifter


Mir ist da jetzt etwas klar geworden, das ich offenbar lange verdrängt hatte. Nicht wahrhaben wollte. Aus Scham. Aus Schmerz vermutlich. Aber einmal muss es mal sein, es hilft nichts Irgendwann muss es ja mal raus. Hochgeschätztes Publikum, bringen Sie bitte Ihre Sitze in eine aufrechte Position und schnallen Sie sich an:

Ich habe Teile meines Lebens in einer linksfaschistischen Diktatur verbringen müssen.

Puh, jetzt ist es raus. Es war nicht leicht für mich, das zu bekennen, aber ich glaube, es geht mir schon besser. Ein bisschen jedenfalls. Und ich bin auch ein klein wenig stolz auf mich. Weil ich so irre mutig bin.

Dabei hatte alles so harmlos angefangen. Das Studieren hatte ich damals begonnen. Aber dann kamen die linksextremen Gesinnungsdiktatoren vom AStA. Unter dem Deckmäntelchen, für bessere Studienbedingungen zu demonstrieren, wollten sie damals den Unibetrieb lahmlegen. Stürmten Vorlesungen. Hinderten lernwilliges Jungvolk am Lernen. Widersprachen weißhaarigen Professoren, die hernach so traumatisiert waren, dass ihnen der Kaviar und der Schampus vom Frühstück wieder hochkamen.

Schlimm war das damals! Schlimm, schlimm, schlimm. Man war seines Lebens nicht mehr sicher. Gammler lungerten überall herum und beschimpften strebsame Studiosi als Streikbrecher. Auf offener Straße roch es nach Haschisch. Jede Nacht weinten wir uns hungrig in den Schlaf, weil die AstA-Faschos die Mensa besetzt und angezündet hatten. Aber an Schlaf war sowieso nicht zu denken, denn da war diese Angst, diese nagende Angst. Würden sie dich heute früh holen kommen und in eines dieser Lager bringen, von denen hinter vorgehaltener Hand immer geredet wurde? Nur weil du anderer Meinung warst? Wohin bloß auswandern, wenn es richtig hart auf hart käme? Nach Südamerika? Aber woher das Geld nehmen?

Eine Woche ging das so. Eine ganze Woche! Es war die Hölle.

Ist natürlich Quatsch. Es handelte sich um eine gemeinsame Protestaktion der Ruhrgebiets-Unis 1990, die in einem einwöchigen Uni-Streik und einer Großdemonstration in Düsseldorf ihren Höhepunkt fand. In der Tat wurden einzelne Vorlesungen gestürmt, Professoren wurden am Lehren gehindert. Mensa und Cafeterien waren jederzeit offen, der Lehrbetrieb ging danach völlig normal weiter. Wer auf die Idee gekommen wäre, das faschistisch zu nennen, hätte außer Gelächter vielleicht noch den freundlichen Hinweis bekommen, seine Tabletten regelmäßig zu nehmen. Heute ist das anders.

Nehmen wir Ex-AfD-Gründer und Ex-AfD-Chef Bernd Lucke. Der war vor seiner Zeit als AfD-Gründer und AfD-Chef Professor für Volkswirtschaftslehre, hatte sich beurlauben lassen und hat als Beamter daher Anspruch auf Fortführen seiner Tätigkeit. Als er letzte Woche eine Vorlesung an der Universität Hamburg halten wollte, ist es, wie berichtet wurde, zu unschönen Szenen gekommen. Die Vorlesung fand nicht statt.

Das war natürlich eine überaus dumme Idee, keine Frage. Jegliche Erfahrung der letzten Jahre zeigt, dass aller direkte Protest lediglich die Opfererzählung der AfD und der ihr Nahestehenden weiter befeuert. Man hätte ihn auch mit Ignoranz strafen und ihn vor einem leeren Hörsaal dozieren lassen können. Darüber aber, dass Lucke im Geiste weiterhin jener Partei nahesteht, die ihn einst rausmobbte, kann überhaupt kein Zweifel bestehen.

"Die Opferpose ist die Vorbereitung von Gewalt." (Sascha Lobo)

Seither geriert er sich als Zauberlehrling, als biederer Professor, der die besten Absichten hatte, dem die Dinge aus der Hand geglitten seien und der auch sonst von nichts gewusst habe. Nur hat es schon zu seinen aktiven Zeiten genügend Anzeichen gegeben für die Entwicklung der AfD von einer neoliberalen, Euro-kritischen Honoratiorenpartei zu einer rechtsradikalen, in Teilen rechtsextremen, die auch Lucke hätten auffallen müssen. Schon auf dem Gründungsparteitag war ernsthaft diskutiert worden, ob die NSU-Morde inszeniert worden seien, auch während seiner Zeit als Parteivorsitzender ist es immer wieder zu rassistischen und antisemitischen Ausfällen gekommen, ohne dass er irgendwie eingegriffen hätte.

"Auch seine Nachfolgerpartei, die »LKR« (Liberal Konservative Reformer), organisierte noch 2018 mehrere rechtsradikale »Merkel muss weg«-Demos (Quelle). 2013 bezeichnete er Flüchtlinge persönlich als »Bodensatz« (Quelle). Vor wenigen Monaten hielt er noch eine Rede bei einer neurechten Organisation (Quelle). Und er verwendete bereits 2014 den Goebbels-Begriff der »Altparteien« (Quelle). Er sagte 2014 den Satz: »Ich würds schöner finden, wenn NPD-Wähler die AfD wählen und nicht die NPD.« (Quelle) Er sprach von einer »Entartung der Demokratie« (NSDAP-Sprache, Quelle)." (Thomas Laschyk)

Zurück nach Hamburg. Auf die Vorkommnisse angesprochen, ventilierte der verhinderte Professor folgendes Aperçu:

"Ich meine, früher ist man als Judensau beschimpft worden bei uns. Wenn das heute vorkäme, würde sicher sofort eingegriffen werden. Jetzt heißt es also Nazischwein. Und ehrlich gesagt finde ich das jenseits von allem, was sich in irgendeiner Form rechtfertigen lässt." (Zit. in Tagesspiegel)

Sehen wir einmal großzügig von diversen Äußerungen aus den Reihen seiner ehemaligen Partei ab, rückt er also das, was er an der Uni Hamburg zu erdulden hatte, in die Nähe dessen, was Juden hierzulande zu erdulden hatten. Lassen wir höflicherweise einmal offen, ob Lucke sich auf die Zeit vor 1933 bezieht oder auf diejenige, die von seinem Ex-Parteigenossen mit der Köterkrawatte als "Vogelschiss" bezeichnet wurde. Dass es aber vielleicht einen klitzekleinen Unterschied geben könnte zwischen einer zwar unangenehmen, aber letztlich punktuellen Störaktion und einer staatlich sanktionierten Hetz-, dann Entrechtungs-, Enteignungs und Demütigungskampagne, die dann in einen der grauenhaftesten Massenmorde aller Zeiten mündete, scheint Lucke nicht aufzufallen. Und dass Juden damals nicht wegen ihrer Meinung verfolgt wurden, sondern allein deswegen, weil sie Juden waren, ebenfalls nicht.

Dass dem Herrn Professor solche Details nicht geläufig sind, kann drei Ursachen haben:
  1. Es fehlt ihm an elementarstem historischen Wissen.
  2. Das sage ich lieber nicht, weil ich keinen Bock auf Ärger habe (Tipp: Es käme "100 Meter Feldweg" oder "Brot" darin vor).
  3. Die Details sind ihm aus einem ganz bestimmten Grund nicht geläufig.
Fassen wir kurz zusammen:

Bernd Lucke wurde bei einer Vorlesung niedergebrüllt und beschimpft, nach eigenem Bekunden unter anderem als "Nazischwein", und wohl auch vereinzelt angerempelt. Sollte letzteres der Fall gewesen sein, dann ist das nicht hinnehmbar, keine Diskussion. Das zweitere ist grob und unhöflich, möglicherweise eine Beleidigung, entbehrt aber (s.o.) nicht vollständig jeder Grundlage und könnte - Frau Künast lässt grüßen - sogar noch als "sachbezogene Kritik" durchgehen. Ersteres kam früher (s.g.o.) an deutschen Universitäten häufiger vor, in den Jahrzehnten vor meiner Zeit eigentlich andauernd. Seine Reaktion darauf schließlich offenbart sehr schön, wes Geistes Kind er immer noch ist bzw. vielleicht nie aufgehört hat zu sein.

Dass exakt diejenigen, die Lucky Lucke damals selber von der Bühne buhten, sich jetzt, da es in den Kram passt, unter Vergießen der üblichen Krokodilstränen für ihn aus dem Fenster lehnen, ist lediglich ein weiteres Indiz für die Rückgratlosigkeit und Verkommenheit dieses Vereins.

Nicht, dass es noch eines Beleges bedurft hätte. Dem sauberen Herrn Professor Lucke aber sollte man keinen Meter über den Weg trauen.




2 Kommentare :

  1. "Ich meine, früher ist man als Judensau beschimpft worden bei uns. Wenn das heute vorkäme, würde sicher sofort eingegriffen werden. Jetzt heißt es also Nazischwein. Und ehrlich gesagt finde ich das jenseits von allem, was sich in irgendeiner Form rechtfertigen lässt."

    Bei solchen und ähnlichen Vergleichen muss ich immer an die erste der vier Episoden "Time Out" im Film "Unheimliche Schattenlichter - Der Film" (1983 im Kino) denken. Wo sich der frustrierte amerikanische Mittelständler Bill Connor in der Kneipe über die Nigger und Juden auslässt

    https://www.youtube.com/watch?v=T5tItxKucwQ

    und sich beim Verlassen des Etablissements plötzlich im besetzten Paris 1941 wiederfindet...

    https://www.youtube.com/watch?v=OJ7hkQee9_4

    So ein Erlebnis wünsch' ich dem Lucke, aber mehr noch dem Lehrer Björn Höcke...

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    1. Ein verlockender Gedanke. Ob das allerdings zu einem Lerneffekt führen würde, wage ich denoch zu bezweifeln.

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