Montag, 30. Dezember 2019

Unser Omma wieder


Hui, haben sie es kurz vor Jahresende gerade noch geschafft, ein weiteres Skandälchen zum Aufregen durchs Dorf zu treiben. Und dann gleich ein besonders auserlesen dämliches, wenn nicht gar das mit komfortablem Vorsprung dämlichste des Jahres. Im WDR hat ein Kinderchor ein Liedlein zum Besten gegeben, das unter anderem die Rede ist von einer Oma, die, so wörtlich, eine "Umweltsau" sei. Skandal! Sippenhaft! Kinder werden politisch indoktriniert und für Propaganda missbraucht!

Das ganze Gepluster wäre ein kleines bisschen weniger verlogen, wenn ich nicht diesen fiesen kleinen Verdacht hätte. Den nämlich, dass unter denen, die sich am lautesten darüber empören, nicht wenige sein dürften, die - wegen Meinungsfreiheit - für das unbedingte Recht eintreten, einen Staatspräsidenten - Satire darf alles! - einen "Ziegenficker" nennen sowie alle möglichen, die ihnen nicht passen (Greta Thunberg, Claudia Roth, Renate Kühnast, Migranten, Gutmenschen...) unbehelligt mit den ordinärsten Verbalinjurien belegen zu dürfen. Also exakt diejenigen, die ständig in ihrem Sinn die Ausweitung des Meinungskorridors betreiben, gegen 'Politische Korrektheit' wettern (und andauernd irgendwelche imaginierten Verbote bekämpfen).
Aber auch etwas weniger weit rechts überschlägt man sich förmlich vor Empörung. Im so genannten 'bürgerlichen Lager'. Exakt in dem politischen Dunstkreis also, wo man schon mal vorgeschlagen hat, Senioren oberhalb eines gewissen Alters aus Spargründen die Gesundheitsversorgung zusammenzustreichen (Philipp Mißfelder +, CDU) oder sie zur Pflege ins Ausland zu verschiffen, weil hiesige Pflege einfach zu teuer ist. Ein Klassiker auch die Forderung, "die Alten [sollten] von ihrem Tafelsilber etwas abgeben - einen Löffel oder besser gleich ein paar davon." (Jan Dittrich, FDP)

Ehrlich, wenn es nicht so erbärmlich wäre, könnte man fast schon lachen über so viel Doppelmoral. So aber gibt es für die Empörten exakt eine angemessene Antwort: Heult doch!

In einer Sondersendung über das Kinderchor-Video meinte WDR-Intendant Tom Buhrow übrigens, er entschuldige sich ohne Wenn und aber für den inkriminierten Text. Vielleicht ist genau das das Problem. So kanns halt gehen, wenn man einen Dieter Nuhr als kabarettistische Speerspitze ausgibt und in Dauerschleife laufen hat.


So denn, das Jahr 2019 neigt sich dem Ende. Ich wünsche allen to whom it may concern einen guten Rutsch und danke wie immer fürs Lesen, Loben, Tadeln, Kritisieren, Zustimmen, Ergänzen, Weiterempfehlen und insgesamt für das schöne Gefühl, gelesen zu werden. Für Leserinnen, Leser und Mitblogger gilt nach wie vor: Ohne euch/Sie wäre das alles hier nichts. Und wie jedes Jahr ergeht auch heuer wieder der gute Rat: Man lasse den Selbstoptimierungs-Tinnef mit den guten Vorsätzen bleiben und nehme sich lieber was Schönes vor.

In diesem Sinne!




11 Kommentare :

  1. Der Weg in die Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert.

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  2. Den ganzen Sommer über habe ich mich gefragt, wann denn endlich das Sommerloch mit seinen berühmten Themen kommt (Krokodil im Baggersee, Mallorca muss 17. Bundesland werden usw.). Endlich! In den letzten Tagen des Jahres hatten wir es mit #Omagate

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  3. Ah, wenn von "links" (was immer das heute sein soll) beleidigt wird, sollen wir das alle so hinnehmen, weil es "gut" ist. Und nein, ich beleidige weder Greta noch die Grünen.

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    1. Heute gilt als links, was früher eher bürgerlich liberal war. Ein aktueller Linker setzt sich doch heute nicht mehr für die Arbeiterkla.... äh für die bildungsferne Unterschicht ein. Die ist doch rechts, böse und stinkt.

      Jetzt hetzt diese moderne Linke auch gegen die Alten. Bald wird sich dieses Lager für die ersatzlose Abschaffung der Rente einsetzen. Damit die Schuldigen am Klimawandel ihre gerechte Strafe erhalten.

      Ist ja alles das gleiche: die Arbeiter, die Alten, die Rechten.

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    2. Nun ja, am liebsten würde ich sagen: Lassen wir diese weitgehend von Informiertheit freien Ausführungen mal so stehen, streiten uns nicht und sehen zu, gut ins neue Jahr zu geraten.
      Was bitteschön soll man denn tun als Linker mit Leuten, die sich, Unterschicht oder nicht, faschistisch betätigen? Umarmen oder klare Kante zeigen? Das Narrativ, Nazis zu wählen und Migranten zu terrorisieren sei nichts als Protest von braven Bürgern aus der Mitte der Gesellschaft, führt doch jeder Dorfnazi souverän im Munde.

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  4. Ehrlich gesagt fand auch ich diese Nummer des WDR ziemlich billig und irgendwie nur doof.

    Die Satire musste schon ziemlich gesucht werden und ohne den relativ ernsten Hintergrund wäre es einfach nur dummer und beleidigender Klamauk gewesen. Echte Satire ist es vielleicht dann, wenn nicht nur die "Oma" als Umweltsau hergenommen würde, sondern auch Angehörige anderer Generationen.

    Einen Gefallen hat sich da der WDR in Bezug auf den Sinn der Gebühren für die ÖR nicht wirklich getan.

    Und leider haut eben der Ansatz auch nicht hin, sich einerseits moralisierend über Hassbotschaften und den rüden Ton in Medien zu beschweren und dann so einen Bolzen raus zu stecken, mit dem sich ein WDR selbst aus dem Diskurs darüber kegelt.

    Naja und das sich bei einer derartigen Steilvorlage die Empöreria dort auch hochzieht, welcher sonst keine Niveau zu niedrig ist, als das es nicht noch zu unterbieten wäre - so what?

    Wo wir schon bei Micky Beisenherz sind, stimme ich ihm hier gerne zu.

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  5. Das auch in Österreich die rechtspopulistische Knallchargenpartei bei dieser Öffentlich-Rechtlichen-Bashingnummer mitkräht, war freilich zu erwarten.
    (die nämlichen Typen übrigens, die Proteste gegen Nazilieder hingegen als “Schmutzkübelkampagne“ bewerten)
    »Man sollte niemals die Dummheit von Politikern unterschätzen.« sagt Robert Harris. Wie recht er hat.

    Beste Wünsche zum Jahreswechsel auch Ihnen, werter Kollege.

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    1. Besten Dank. Man liest sich.
      @Siewurdengelesen: Das Ganz war wohl tatsächlich eher als dummer Klamauk gemeint, weniger als Satire. Es wurde keine Person konkret angesprochen. Wer sich beim inkriminierten Liedvers tatsächlich persönlich beleidigt fühlt, sollte sich vielleicht professionelle Hilfe suchen.

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  6. Für die "öffentlich-rechtlichen" und die öffentlichen Rechten spielt es eine enorme Rolle, wer hier zum Objekt der Satire gemacht wird. Omas, dass sind doch die Trümmerfrauen, die im Schweiße ihrer karierten Kittelschürzen Deutschland nach dem Krieg wieder aufgebaut haben. Diese Heldinnen gibt man doch nicht dem öffentlichen Spott Preis.

    Tom Buhro vom WDR: "Das Video mit dem Oma-Lied war ein Fehler. Mein Vater ist keine Umweltsau. Er hat sein Leben lang hart gearbeitet und versucht, anständig zu leben." Mir wird übel, der hart arbeitende, anständige Deutsche als Idealmodell des Grufties.

    Mit dem Buch "Meine deutsche Mutter" klagt Niklas Frank, Sohn des "Schlächters von Polen" nicht nur seine Mutter an, sondern alle "süßen furchtbaren Omas", die als Töchter, Ehefrauen und Mütter während der NS-Herrschaft "wie Fettaugen auf dem Leid der Geknechteten" schwammen, ihre Männer moralisch unbedingt unterstützten und heute ihren Enkeln schweigend übers Haar streicheln.

    Anders geht es zu, wenn die Objekte des Humors in öffentl.-rechtl. TV-Anstalten innerhalb der ARD Behinderte, Schwarze und Frauen sind.
    Der Shootingstar dieses Genres, Chris Tall, wird nicht zigtausendfach ausgebuht, sondern bejubelt und durch die der ARD angeschlossenen ÖR-Sender in alle möglichen Talks-Shows eingeladen. In diesem Jahr bekam er sogar für seinen Rassismus den Bambi verliehen. Das mögen die Rechten und Spießer. Eine Entschuldigung von Herrn Buhrow habe ich bisher nicht gehört. Als Comedie verkleidete Diskriminierung von Minderheiten erfreut sich anscheinen allgemeiner Akzeptanz.

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    1. Wobei man sagen muss, dass es sich bei der von den Kurzen (ca. 5 Jahre alt) besungenen Oma-Generation eher um meine handeln (1960ff.) handeln dürfte, die Krieg und Wiederaufbau nur noch aus Erzählungen ihrer Großeltern kennt und bis weit in die Achtziger, von den Umweltbewegten/Grünen abgesehen, auf die Umwelt mal so gepflegt geschissen hat.

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  7. Was die wirkliche Intention dahinter war, wissen nur die Macher selber. Wirklich prall fand ich das trotzdem nicht, egal ob im Nachinein als "Satire" ausgelegt oder nicht. Wirklich clever wäre es gewesen, das Ding einfach in der geistigen Mottenkiste zu belassen. Für einen reinen Klamauk war m.E. der Aufriss mit Chor usw. etwas übertrieben.

    Inwieweit sich da jetzt jemand persönlich angesprochen fühlen muss, mag ich nicht auswerten oder ob die Oma als Metapher daherkam, die 1000l Sprit mit dem Motorrad verheizt oder beim Einparken mit dem SUV ihre männlichen Altersgenossen von der Platte putzt. Hier wird halt genauso mit Klischees gespielt wie bei den in bestimmten Kreisen ebenfalls sehr beliebten Nachrichten über die bigotte Smombie-Jugend, welche die Alten als vermeintliche Erzeuger und Schaffer ihres Wohlstands als mitschuldig am Klimawandel tituliert, sich aber selbst per Flugzeug auf Klassenabschluss begibt und mit dem SUV zur Klima-Demo bewegt. Da ist auch niemand persönlich angesprochen und trotzdem zielt der Pfeil auf alle, die sich an so etwas beteiligen.

    Das Eine wie das Andere ist falsch und billig und dient nur dem primitiven Verunglimpfen. Gerade da hätte sich ein Sender des ÖR durch wirklich Spitzfindiges und Treffendes hervorheben können, stattdessen macht man´s auf dieselbe Art und schiesst völlig unerwartet ein famoses Eigentor.

    Wie wäre es mit einer Satire über gelöschte Ministerinnentelefone oder den "Vorstoss" einer CDU beim 450€-Verdienst und dergleichen. Da übt man sich doch lieber in der elementaren Frage, welche Farbe doch so die Klamotten der Kanzlerin zur Neujahrsansprache haben und orakelt dort irgendwelche Botschaften hinein. Was täten wir nur ohne unsere Medien und wenn die ÖR inzwischen schon teilweise auf diesem Niveau sind...

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