Dienstag, 28. Januar 2020

Weiwei, SPD


Versteht einer die ganze Aufregung um Sigmar Gabriel und Thilo Sarrazin? Einem alten Bonmot zufolge, ist die SPD eine kleinbürgerliche Partei, die sich einen linken Flügel hält. Nachdem der linke Flügel, will heißen: der, der noch am ehesten sozialdemokratische Werte vertreten hat, sich weitgehend zu den Linken oder in Richtung Nichtwählerschaft verabschiedet hat, bleibt halt fast nur noch Kleinbürgertum übrig. Was unter anderem bedeutet, wenn‘s dem eigenen Fortkommen dient, auf Solidarität, auf internationale zudem, mal gepflegt zu pfeifen und sich, wenn nötig, auch mit dem Kapital ins Bett zu legen.

Jetzt tritt Gabriel also einen leitenden Posten bei der Deutschen Bank an. Vermutlich nicht, um diesen Hort des Finanzkapitals von innen zu zersetzen. Man kennt sich, man hilft sich. Und der große Hobby-Genetiker und -Soziologe Sarrazin, von dem man sich immer fragte, wieso der eigentlich in der SPD war, findet auf einmal sein Parteibuch nicht mehr und benimmt sich angesichts des dräuenden Ausschlusses wie Uwe Tellkamp, dem gerade jemand widersprochen hat, anstatt einfach mal dankbar und demütig seinen Ergüssen zu lauschen. Ehrlich, was ist daran neu?

Prognose: Sarrazin, jener Mundtote mit der größten Medienpräsenz aller Zeiten, wird vermutlich von der AfD angeworben und als 'aufrechter Kämpfer für die Wahrheit' und als Märtyrer aufgebaut werden. Die SPD wäre besser beraten gewesen, ihn, von dem in letzter Zeit erfreulich wenig zu hören war, stillschweigend in der Partei zu lassen und ihn weiter zu ignorieren. Auch Boris Palmer ist schließlich immer noch bei den Grünen. Umgekehrt würde sogar ein Schuh daraus: Wann immer das doofe Genöle von "linksgrünversifftem Mainstream" und von "Meinungsdiktatur" anhübe, könnte man Old Thilo quasi als Alibi-Hardliner aus dem Wandschrank holen und kontern: Meinungsdiktatur? Wieso ist der dann noch bei uns, hä?

Apropos kleinbürgerlich: So fielen auch viele Reaktionen auf ein Interview aus, dass der (noch) in Berlin lebende Künstler Ai Weiwei dem Guardian gegeben und in dem er mit Deutschland nicht eben freundlich umgeht. Das kann man natürlich kritisieren. Einen Fehler sollte man aber nicht begehen: Von "Undankbarkeit" faseln. Man muss in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass Dankbarkeit keine politische Kategorie ist und kein Asylant seinem Gastland zu Dankbarkeit verpflichtet ist. Sich an die geltenden Gesetze zu halten, genügt vollauf. Anders gesagt: Wer von politischen Flüchtlingen Demut und Dankbarkeit einfordert, sollte sich bei anderer Gelegenheit über Sprechverbote und Maulkörbe lieber bedeckt halten.

Vergleichen wir Ai Weiwei zum Beispiel mit Bertolt Brecht. Wenngleich beide in künstlerischer Hinsicht unterschiedlich unterwegs sind, so gibt es gewisse Parallelen: Beide waren in ihren Heimatländern von Verfolgung, Inhaftierung und Tod bedroht und haben Zuflucht in einem anderen Land gefunden (Brecht: USA, Ai Weiwei: Deutschland). Dort konnten beide in Sicherheit leben. Brecht hat aus seiner Abneigung gegen die kapitalistischen USA nie einen Hehl gemacht, weswegen er 1947 auch vom Ausschuss für unamerikanische Umtriebe befragt wurde.

Brechts USA-Aufenthalt war keine Erfolgsgeschichte wie der von Thomas Mann. Trotzdem: Hat jemand jenseits radikaler Kreise seine Ausweisung gefordert? Wäre er auf die Idee gekommen, aus lauter Dankbarkeit zu den USA sich dem Kapitalismus zuzuwenden? Selbstverständlich war er Kommunist geblieben und siedelte sich 1949 in der DDR an. War das undankbar gegenüber seinem Gastland?

Wenn Ai Weiwei nun Deutschland als "Naziland" bezeichnet, dann sollte man schon so fair sein und einräumen, dass das nicht vollständig abwegig ist (prozentual ungefähr in dem Maße, in dem die AfD bei Wahlen Stimmen holt). Auch das mit der Autoriätshörigkeit scheint mir nicht allzuweit hergeholt. Klar, man kann fragen, ob das nicht eine ziemlich dumme Aussage war. Weil es zumindest ein Widerspruch in sich, wenn nicht gar leicht päng ist, sich in derart pauschalierender Weise über Rassismus zu beklagen und ein ganzes Land über einen Kamm zu scheren.

Dass das auch eine herzliche Einladung an alle Rassisten der Nation ist, weil die einen Grund haben könnten zu sagen: "Aha, und was ist mit 'den Arabern', 'den Türken', den Schwarzen'?“, sollte man hingegen ignorieren. Wer seine Äußerungen allein danach ausrichtet, um Himmels Willen nicht die Rechten stark zu machen, hat ihnen bereits im Geiste den Teppich ausgerollt. Und ist ungefähr auf einer Stufe der Armseligkeit wie die, denen angesichts rechten Terrors bloß Deutschlands Ansehen im Ausland einfällt.

Verständlich aber, dass es einen gruselt diesem Land, Nicht nur wegen unfreundlicher Taxifahrer, das ist Geschmackssache. Was aber, wenn eine Politikerin, die sich als große Freundin seiner Kunst ausgegeben und aufgeregt wie ein Schulmädchen um ein Selfie gebeten hat, sich als Vizefraktionschefin exakt der Partei entpuppt, die nicht müde wird, gegen Flüchtlinge und Seenotrettung zu hetzen. Wohlgemerkt nachdem man im Rahmen einer Aktion die EU-Flüchtlingspolitik, die viele in den Tod treibt, aufs Schärfste kritisiert hat.

Wer weiß, vielleicht hatte Ai Weiwei ja einfach nur die Schnauze voll. Und zum Abschied noch mal denen kräftig in die Hände gebissen, die sich mit seinem Asyl selbst schmücken und sich mit ihm als Vorlage auf ihre grenzenlose Humanität einen runterholen wollten. Ihm ungefragt ihre Liebe aufdrängen, ihn dankbar und demütig sehen wollten. Die so gern davon faseln, dass Künstler gefälligst unbequem zu sein hätten, sich aber indigniert abwenden, wenn die Unbequemlichkeit eines Künstlers auch sie trifft. Und damit träfe es die Richtigen.

Zumindest aber ist das Ai Weiwei-Interview ein Lackmustest: Wer immer steif und fest darauf beharrt, mit Nationalismus nichts, aber auch nicht das Geringste am Hut zu haben, kann anhand seiner eigenen Reaktion auf Ai Weiweis Äußerungen ermessen, inwieweit das wirklich der Fall ist. Kunst vermag einen zuweilen mit den eigenen Widersprüchen zu konfrontieren.





10 Kommentare :

  1. Da hat Au Weh Weh schlicht recht. Es sind halt immer noch die alten Nazis. Erziehung und Schulsystem anno Dazumeier wahren das auch vorerst so. Wie ich 1987 schon im Schulaufsatz schrieb: Eine Revolution ist in Deutschland nur von rechts vorstellbar. Genua das passiert ja auch. Da ist Deutschland nicht weit weg von Polen oder Ungarn. Europaweit erst recht nicht. An den Grenzen wird wieder geschossen. Was wird sich Deutschland wohl überlegen, wenn es im Gegensatz zu Frankreich schon für den Autofahrer Software zum allgemeinen Betrug einsetzt? Autonomes Fahren ist bei autonomen Waffen übrigens schon seit ca. 20 Jahren drin. Man muss es halt bloß bezahlen wollen.

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    1. Zumal wir wieder in Umständen leben, in denen autoriäre Zwangscharaktere gedeihen. Und alle kuschen brav.

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  2. Siewurdengelesen29. Januar 2020 um 13:42

    Die meisten Artikel über das Fazit von Ai Weiwei kranken bereits daran, dass sie sich einfach auf den per DPA als Aufmacher verbreiteten Halbsatz "intolerant, bigott und autoritär" stürzten und daran abarbeiteten, während die weiter hinten im Interview erwähnten und m.E. durchaus treffenden Aussagen über die Verhältnisse in diesem Land eher "so erwähnt" wurden.

    Da ist die Aussage über die Berliner Taxifahrer textprägender als die über das nie verschwundene und immer mehr aufbrechende rechte Denken. Insofern sind daher die meisten dieser "Abschreibe-Artikel" statt einer Reflexion der Autoren zum Thema für die Tonne.

    Und das sich jetzt ein paar Geister angepisst vorkommen, die sich mit dem Künstler schmücken wollten und dessen Eigensinn unterschätzt haben, ist dann halt dumm gelaufen.

    Zu Gabriel und Sarrazin bleibt nur die Phrase: Die sind SPD, was braucht´s der Worte mehr...

    Tellkamp kommt mir vor wie einer dieser sich selbst als Krösus sehenden Dauerbeleidigten, die weinerlich werden, wenn sie auf ihr tatsächliches Niveau einjustiert werden. Ist doch das übliche Schema, einen auf Systemkritik zu machen und dabei mit eher zweifelhaften Medien und Menschen herumzumachen, um sich bei einer Abfuhr so richtig schön als Opfer von Gesinnungsterror, Meinungsdiktatur usw. darzustellen. Sagt eigentlich genug über seine Denke trotz oder besser auch wegen seines O-Tons, definitiv nicht rechts zu sein. Das ist ja so ein weiterer Spin bei diesen Typen.

    Tellkamp sollte sich mal wieder xkcd und Meinungsfreiheit gönnen;-)

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    1. Zu letzterem ist auch Samira El Ouassil zu empfehlen:

      "Das, was manche als Einschränkung ihrer Meinungsfreiheit wahrnehmen, ist zumeist ein Kategorienfehler. Diskutanten, die proklamieren, die Meinungsfreiheit sei eingeschränkt, weil man angeblich nichts mehr sagen dürfe, befürchten in erster Linie, ihre Meinungshoheit zu verlieren. Die soziologische Liberalisierung gestattet jedoch zuvor ungehörte Stimmen und multiple Meinungen am Tisch der Gesellschaft, weshalb beständig neue Äußerungen und Haltungen berücksichtigt und alte in Frage gestellt werden müssen und sollten. Wenn Diskursteilnehmer sagen, sie kämpften für Meinungsfreiheit, weil sie glauben, in Meinungskorridore gedrängt zu werden, kämpfen sie oftmals nicht für das Ideal des ausgewogenen Marktplatzes der Ideen, sondern vor allem gegen ihre individuelle Angst, etwas an sich selbst ändern zu müssen."

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    2. Siewurdengelesen30. Januar 2020 um 13:21

      Guter Beitrag zum Thema.

      Was mich etwas stört daran, ist der Absatz zum "Markt der Meinungen".

      Einerseits zerlegt sie diesen mit Argumenten selbst, kommt aber auch nicht so richtig von diesem Schema weg.

      Wenn Meinung Markt sind, dann geschieht ja genau das, dass sie eben nur noch der Meinungs- und Stimmungsmache dienen ohne ein wirklich offenes Ergebnis, welches am Ende die Teilnehmer solchen Meinungsaustauschs weiter bringt. Das funktionierte im Sinne des Schaffens von faktenbasiertem Wissen als Ergebnis genauso wenig wie andere Märkte auf wirtschaftlicher Ebene, weil es eben Märkte sind, auf denen es um Konkurrenz geht und nicht um Austausch oder gleichwertiges Vorwärtskommen durch den (Meinungs-)austausch.

      Meiner Meinung;-) nach dreht sie sich da etwas im Kreis.

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  3. Knapp vorbei! Wenn einige exzentrische Künstler, die hier Asyl gefunden haben, sich die Freiheit nehmen, dieses Land sch.. zu finden, und die ohnehin genug Geld haben, bei Bedarf weiter zu ziehen, dann kann man das mit einem Achselzucken zu Kenntnis nehmen und unter der Rubrik "Wir sind auch tolerant zu Arschlöchern" verbuchen.
    Ganz anders die Lage, wenn hunderttausende Migranten sich den gleichen Luxus leisten. Wenn Leute verlangen, dass man ihnen Krankenversorgung,Schule für die Kinder, Sozialleistungen usw. kostenlos zur Verfügung stellt und die gleichzeitig darauf beharren, dass dieses Land sch.. ist, dann kann es sein, dass die derart undankbar behandelten ihre soziale Fürsorge einstellen, was sich dann zB in dramatischen Lehrermangel an Schulen mit hohem Migrantenanteil bemerkbar macht.

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    1. Nö, auch zu "hunderttausenden Arschlöchern" muss/kann man tolerant sein, hat ja nichts mit Migration zu tun. Ich kenne genug "nicht-migrantische" Arschlöcher.
      Und Lehrermangel gibt es an jeder Schule, nicht nur an den "Schulen mit hohem Migrationsanteil".

      Also was soll der Kommentar? Hauptsache Thema verfehlen und auf Migration schimpfen?

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    2. Danke, spart mir meine Antwort. Vielleicht noch eins: Der Lehrermangel an Schulen mit hohem Migrantenanteil liegt nicht an Migranten, sondern vor allem daran, dass man als Gymnasiallehrer bei vergleichbarer Arbeitsbelastung 20-30% mehr überwiesen bekommt.

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  4. "..sondern vor allem daran, dass man als Gymnasiallehrer bei vergleichbarer Arbeitsbelastung 20-30% mehr überwiesen bekommt."

    Schön, dass Sie das so genau wissen. Schon mal einen Lehrer gefragt?

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