Donnerstag, 26. März 2020

Gallisches Dorf, verwaist


Auf dem Grabstein des 1977 verstorbenen René Goscinny steht völlig selbstverständlich Écrivain. Das hätte in Deutschland vermutlich zu Kontroversen geführt, denn Goscinny hatte Comics gemacht und Comics galten hierzulande noch bis in die Siebziger als amerikanisch-kulturimperialistischer Schund (was nicht selten mit latent antisemitischem Subtext gewürzt wurde), der Kinder fernhält von 'Früscherluft' und 'Gutenbüchern', sie zu weichbirnigen Troglodyten verformt.  Darin waren sich linksliberales und rechtsbürgerlich-konservatives Bürgertum durchaus einig. Was nicht ohne Ironie ist, wenn man bedenkt, dass viele dieser bürgerlichen Haushalte mit dem gänzlich unamerikanischen Comic-Pionier Wilhelm Busch deutlich weniger Berührungsängste hatten.

Es ist und bleibt ein Verdienst des erwähnten René Goscinny und des am Dienstag verstorbenen Zeichners Albert Uderzo, Comics mit ihrer Asterix-Serie auch in Deutschland als mit anderen gleichberechtigte Kunstform etabliert zu haben, die auch für Erwachsene relevant ist. Denn Asterix ist anspielungsreiche, vielschichtige, große Literatur, die den Kritikastern all ihre Argumente nahm. Asterix ist Abenteuergeschichte, Komödie, Märchen, historische Erzählung, Satire, Parodie auf die deutsche Besetzung Frankreichs im zweiten Weltkrieg und die Résistance, Feier der französischen Lebensart, des Savoir-vivre, der Liberalität des Citoyen, des Individualismus und vieles mehr, meist auf einmal.

In seinen besten Zeiten unterhielt Asterix Altersschichten vom Grundschulkind bis zum pensionierten Lateinlehrer (überhaupt dürften es die Lateinlehrer gewesen sein, die Asterix-Hefte als erste in die Gymnasien brachten). Und überstand auch den dreisten Versuch des Kriegsveteranen und Disney-Plagiators Rolf Kauka, die Geschichte des sprichwörtlichen Gallischen Dorfes ("Ganz Gallien?")  zu einer plumpen, revanchistischen, antikommunistischen Propagandaschrift umzustricken.

(Es geht hier in erster Linie um Asterix. Es soll aber nicht vergessen werden, dass Albert Uderzo auch beteiligt war an Serien wie Umpah-Pah, die heute fast nur noch Fans und Insidern bekannt sind, aber schon vieles von dem enthielten, was Asterix später so groß machte.)

Es würde zu weit führen, die bleibenden Bilder alle aufzuzählen, die Uderzo hinterlassen hat. Der sich - tocktocktock! - an die Stirn tippende Obelix ("Die spinnen, die …"). Überhaupt, die Figur des Obelix, vielleicht die liebevollste Darstellung eines leidenschaftlichen, romantischen Sinnesmenschen und Gourmands. Den Ägypter Tennisplatzis mit der schönsten Sprechblase aller Zeiten. Das komplett aus dem Ruder laufende Käsefondue ("In den See! In den See!"). Legionär Taubenus, den Experten für psychologische Kriegsführung. Die progressive Theatertruppe um den androgynen Eleonoradus ("Orgien! Orgien! Wir wollen Orgien!"). Das riesige Repertoire an Nasen, von der filigranen Spitznase über den gallischen Ballon und Caesars Adlerzinken bis zur kartoffligen Säuferknolle – alles dabei. Die Massenschlägereien, die halb- bis ganzseitigen Wimmelbilder.

Nach Goscinnys frühem und überraschendem Tod war eigentlich allen klar, dass das das Ende von Asterix sein würde, doch entschloss Uderzo sich, allein weiterzumachen. Das Urteil vieler alter Fans stand und steht seitdem fest: Ab Band 25, dem ersten, den er allein zu verantworten hatte, kam nix Gutes mehr. Aber das stimmt nur teilweise. Ein bisschen wie mit Genesis nach Peter Gabriel. Denn man sollte schon erwähnen, dass auch Uderzo durchaus ein Geschichtenerzähler von Graden war.

Sein Solowerk nach 1977 enthält Fehlgriffe wie die unbeholfene Kalte-Kriegs-Parabel 'Der große Graben', die gruselige Feminismusschnurre 'Asterix und Maestria' und peinlich-infantile Rip Offs wie 'Asterix plaudert aus der Schule'. Aber auch drei Bände, die sich würdig einreihen: 'Die Odyssee', eine gekonnte Parodie auf die James Bond-Reihe und eine milde Satire auf die Dauerwirren im Nahen Osten, 'Der Sohn des Asterix', eine amüsante Travestie um den Sohn Caesars und ein Wiedersehen mit Kleopatra ("Diese Nase!"). Und 'Asterix im Morgenland', eine Art Roadmovie mit fliegendem Teppich. Mit erzählerischen Schwächen, über die aber die teils hinreißend schönen Panels hinwegtrösten.

Damit hätte es vielleicht gut sein müssen, doch der Alte mochte nicht und konnte vielleicht auch nicht. Darin war er mindestens so halsstarrig wie die Bewohner des Gallischen Dorfes. Vielleicht hatte die permanente Gegenwart der Asterix-Reihe, in der sich nie wirklich etwas ändert, auf ihren Schöpfer abgefärbt. 2013 erst gab er die Fortführung in die Hände von Didier Conrad und Jean-Yves Ferri. Wird er fehlen? Seinen Lieben definitiv. Bleiben aber wird sein Werk. Denn große Literatur ist zeitlos.




(Kennen Sie übrigens meinen liebsten Wortwitz aus Asterix? Das ist die wahre Bedeutung der Abkürzung SPQR, die einst die römischen Legionen spazieren trugen und die sich noch heute im Stadtwappen von Rom findet. Steht, wie jeder Lateiner weiß, für: "Senatus populusque Romanus" ("Senat und Volk von Rom"). Als der italienische Übersetzer Marcello Marchesi Asterix ins Italienische übertrug, fand er für Obelix' Running Gag "Die spinnen, die Römer!", die Worte: "Sono pazzi questi Romani!")






7 Kommentare :

  1. Minchia. Por que dio. Beim Teutates wird alles wiedergegeben. Alea jacta est.

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  2. Grade die alten Asterix-Hefte liebe ich - die konnte ich auswendig. Mein bißchen Latein kommt komplett aus den Heften. Aber ich kenne auch Umpah-Pah - ein Onkel von mir hatte drei(?) Hefte. Ich sehe immer "Bruder Pferd" vor mir mit dem Gedanken *Wäre ich doch bloß nie in die Kolonien gegangen...*

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  3. Mit dem mehrfach verwendeten "Morituri te salutant" schlägt man mühelos den Bogen von Asterix in die Gegenwart. Passend auch die Abwandlung "Lucrifacturi te salutant": Diejenigen, die sich bereichern wollen, grüßen dich (Die Odyssee).

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    1. Vorgebracht von Bernard 'Musencus' Blier und Sean 'Nullnullsix' Connery...
      @Anonym: Und ich muss immer an den Running Gag mit dem Pemmikan denken.

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  4. Die Passage in Wikipedia über die "deutsche Fassung" ist ja heftig. Das wusste ich garnicht. Wie dämlich kann man eigentlich sein? Warum eigentlich damals diese ganzen Anpassungen (erinnert mich an die Weigerung, die Sesamstraße auszustrahlen).
    War der deutsche Leser ein unmündiger Trottel ohne Fähigkeit des Transferdenkens? Oder sollte er es sein? Ich meine mit ein wenig Allgemeinbildung über europäische Politik und Geschichte versteht doch jeder die Anspielungen aus Asterix, das war doch was sie über Frankreich hinaus so bekannt gemacht haben.

    Hier zeigt sich wieder einmal die Überheblichkeit des deutschen Liiteraturbetriebs. Seit jeher ging es nur um Deutungshoheit. Oder irre ich mich da?

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    1. Jein. Fremdsprachige Übersetzungen waren früher deutlich üblicher als heute und auch Stars haben ihre Songs z.T. auf deutsch eingesungen. So gibt es z.B. von den Beatles 'Komm gib mir deine Hand' (I wanna hold your hand). Auch von ABBA gibt es ein Album mit spanischen Versionen.
      Bei Kauka war ja der Punkt, dass der die Rechte in Frankreich gekauft und dann das Ding komplett sinnverdreht hat. Das war noch mal was anderes.

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  5. "Damit hätte es vielleicht gut sein müssen, doch der Alte mochte nicht und konnte vielleicht auch nicht. Darin war er mindestens so halsstarrig wie die Bewohner des Gallischen Dorfes."

    Mit dem Gut-sein-lassen ist das im Kapitalismus so eine Sache. Hat auch wohl weniger mit Halsstarrigkeit als mit dem Wunsch nach dem schnellen Franc(Mark, Dollar, Euro) zu tun.

    Hier einige Beispiele für gescheitertes Gut-sein-lassen:

    Alle Nachfolger von den "Glorreichen Sieben"
    Grease 2
    Matrix 2+3 usw.

    Popstars aus der Kindheit, die sich immer noch immer auf den Bühnen drängen: Smokie, Sweet, Suzi Quatro, Albert Hammond, Elton John, Udo Lindenberg usw.. Dazu noch noch Musicals,Biopics, Tribute-Bands, Reunions.

    Wenn man nach 25 guten Asterix-Bänden noch fünfundzwanzig zweitklassige herausbringt, darf man sich über die harschen Urteile von Kritikern nicht beschweren.

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