(Quasi eine Frage an die juristisch gebildeten unter den geschätzten Leser*innen)
Das schöne am Boom des Online-Handels ist ja, dass Einkäufe im stationären Einzelhandel auch zur Vorweihnachtszeit inzwischen deutlich entspannter sich gestalten. Und Konsum im stationären Einzelhandel ist, das haben wir ja alle vom Herrn Altmaier gelernt, "nationale, ja auch eine patriotische Aufgabe" Fun fact: Auf exakt den Trichter ist schon 2008 die intellektuelle und weltpolitische Großleuchte George W. Bush angesichts des von ihm höchstselbst angezettelten Irakkriegs und der Finanzkrise gekommen. Mir gäbe das ja zumindest ganz kurz zu denken. Aber wer bin denn schon ich?
"Euros müssen rollen für den Sieg." (Fischer)
So stiefelte ich am Samstag, nichts Böses ahnend, in Erpfüllung meiner pfaterländischen Pflicht wider die Verödung der Innenstadt in einen nur spärlich gefüllten medialen Verbrauchermarkt, um eine Reklamation und einen Kauf zu tätigen. Das mit meinem Sat-Receiver mitgelieferte HDMI-Kabel hatte offenbar einen Knacks. Da der Kauf nicht einmal vier Monate zurücklag, sollte das kein Problem sein, dachte ich mir so. Der freundlich bemühte, noch sehr junge Verkäufer meinte dann zu mir, so ein Umtausch sei die reine Kulanz, normalerweise müsse ich das über die Garantie des Herstellers abwickeln.
Woraufhin ich meinte, das sei, mit Verlaub, nicht ganz richtig, denn bei meinem Begehr handele es sich mitnichten um einen Umtausch, sondern um eine Reklamation infolge mangelhafter Lieferung. Somit greife hier nicht die Garantie des Herstellers, sondern die gesetzliche Gewährleistungspflicht des Händlers nach § 434 BGB. Auf die ich als Endverbraucher zwei Jahre nach dem Kauf Anspruch hätte und die Beweislast innerhalb der ersten sechs Monate beim Händler läge. Was der junge Mann quittierte mit der schnippischen Bemerkung, da müsse er wohl in der Berufsschule gefehlt haben. Scheint so. Ich liebe es, mit Profis zu arbeiten!
(Erwähnte ich schon, dass ich Schlaubi-Schlümpfe, die wildfremden Menschen Belehrungen in Rechtsfragen angedeihen lassen, eigentlich hasse? Nein? Tue ich hiermit. Aber man ließ mir ja keine Wahl.)
Da ich bekommen hatte, was ich wollte, ein neues Kabel nämlich, diskutierte ich nicht weiter und machte ich mich nun daran, das Teil, das ich kaufen wollte, zu bezahlen. Die ebenfalls sehr junge Dame an der Kasse klärte mich darüber auf, dass die Herstellergarantie ein Jahr betrüge, es aber die Möglichkeit gäbe, diese gegen einen kleinen Aufpreis auf zwei Jahre zu verlängern. Da ich nun gerade gut in Fahrt war, entgegnete ich, das sei nicht nötig, denn die gesetzliche Gewährleistungsfrist betrüge eh zwei Jahre. Woraufhin sie mir einen Vortrag hielt darüber, dass der Paragraf mit der Gewährleistung ja nur im allgemeinen Teil des BGB stünde, der hier aber nicht zur Anwendung käme, sondern der spezielle Teil und sie jetzt gar nicht wüsste, wie sie mir das erklären solle und...
Ich dann so: "Verzeyht, Euer Liebden, aber nach meiner Kenntnis hat Ihr über alles geliebter Arbeitgeber, ewiger Quell der Gnade und Sonne unseres Daseyns, als Händler bei einem einseitigen Handelskauf zwei Jahre Gewährleistung zu geben. Ich meine, ich bin beruflich unter anderem an der Ausbildung von Einzelhandelskaufleuten beteiligt und auch in den aktuellsten Lehrbüchern steht unter mangelhafter Lieferung…"
Sie so: "Und ich studiere Wirtschaftsrecht."
Aha.
Ich überlegte kurz, ob ich erwähnen sollte, dass eine gute Freundin von mir ihre Brötchen als Rechtsanwältin zu verdienen die Aufgabe hat und ich ja mal fragen könnte, aber das wäre dann doch zu sehr "Das sag ich meinem Papa, und der ist Anwalt!" gewesen. So ließ ich es dabei bewenden und verließ den Konsumtempel wieder. Die wichtigeren Diskussionen sind ja nicht selten die, die man nicht führt. Und jetzt habe ich diese Fragen im Kopf: Ist das ansteckend? Haben die hier den Kaffeeautomaten manipuliert und verabreichen den Mitarbeitern heimlich irgendwelche psychoaktiven Substanzen? Was bringen die den jungen Leuten eigentlich an der Uni bei?
Oder - Moment mal! - handelt es sich am Ende gar um eine ausgefuchste Sparmaßnahme? Ich meine, Reklamationen abwickeln ist nicht umsonst, das läppert sich. Hätte man vielleicht gern vom Hacken als Einzelhändler. Läge nicht theoretisch ein gewisses Sparpotenzial darin, die Kunden, von denen die meisten vermutlich weder den Unterschied zwischen Umtausch und Reklamation noch den zwischen Gewährleistung und Garantie kennen, prophylaktisch einfach an die Hersteller zu verweisen? Wer weiß.
Warum man aber glaubt, einem Kunden, der offenkundig die Unterschiede kennt zwischen Gewährleistung und Garantie sowie Umtausch und Reklamation, einen vom Pferd erzählen zu müssen, das entzieht sich meiner Kenntnis. Anders wäre es natürlich, wenn sich die Rechtslage inzwischen geändert haben und ich komplett falsch liegen sollte. Juristisch entsprechend Beschlagene mögen mich da gern aufklären.
Es heißt ja nicht umsonst Gesellschaft mit beschränkter Hoffnung.
AntwortenLöschenWillkommen in der neuen, von Deutschland seit einer Generation angestrebten Realität. Es haftet nur noch der, der den Schaden hat, da die Verantwortung outgesourct bleibt.
"so ein Umtausch sein die reine Kulanz, normalerweise müsse ich das über die Garantie des Herstellers abwickeln."
AntwortenLöschen"denn die gesetzliche Gewährleistungsfrist betrüge eh zwei Jahre. Woraufhin sie mir einen Vortrag hielt darüber, dass der Paragraf mit der Gewährleistung ja nur im allgemeinen Teil des BGB stünde, der hier aber nicht zur Anwendung käme, sondern der spezielle Teil und sie jetzt gar nicht wüsste, wie sie mir das erklären solle"
Ach?!
Natürlich ist in so einem Fall immer die zweijährige Gewährleistung mit Beweislastumkehr nach einem halben Jahr ab Kaufdatum bindend und damit der Händler in der Pflicht. Eine Garantie kann nur der Hersteller geben und diese Diskussion zieht sich seit gefühlt ewigen Zeiten durch die Medien. Mit dem Verweis auf die Herstellergarantie wird nur der Leidensdruck und damit Arbeit und Kosten auf den Kunden verlagert, denn dann ist der Händler aus dem Prozess heraus. Der Händler hat zwar die Möglichkeit des Nachbesserns, aber hat das keinen Erfolg oder Sinn, ist er bei berechtigtem Anspruch diskussionslos zum Umtausch oder Erstatten des Kaufpreises verpflichtet ohne Wenn und Aber, also nix mit "Kulanz" für etwas Selbstverständliches.
Zu vermuten ist auch aus mehrfachen, eigenem Erleben tatsächlich, dass dieses Gebaren zur "Spritze" beim Ausbilden dazu gehört. Abwimmeln und gleichzeitig Aufschwatzen von Zusatzleistungen, die in aller Regel so kalkuliert sind, dass die dabei involvierten Versicherungen und nebst Provision die Märkte selbst verdienen und die Handvoll von darüber fälligen Ansprüchen mit abfallen und wie o.a. ebenfalls erst einmal weggelobt werden. Tendenziell geht das schon immer mehr in Richtung Nepper, Schlepper, Bauernfänger.
Ein Gipfel dieses Blödsinns war beim Kauf eines Spieles mit FSK18 das gewünschte Vorzeigen des Ausweises an der Kasse trotz meines bereits damals offensichtlichen höheren Alters und die Frage nach der Postleitzahl, die ich natürlich einesteils aus Jux und andererseits bereits leicht verärgert mit einer falschen beantwortet habe. Da die Gute nicht locker liess, habe ich dann mein Körbchen wieder in den Laden geschafft, alles wieder in´s Regal gestellt und bin ohne Einkauf gegangen, weil mir das Gekäse zu blöd war im Gegensatz zur Reklame dieser Klitsche.
Inzwischen gehe ich nicht mehr in solche Läden, sondern lieber vor Ort zum berühmten "local dealer" oder kaufe im Internet bei halbwegs vernünftigen Anbietern. Ausser direkten Angeboten sind die Klitschen meist nicht günstiger als anderswo und "peppen" ihre Preiskracher dafür mit überteuertem Zubehör auf. Da lasse ich die Knete dann doch lieber im Ort liegen und nicht im Gewerbegebiet auf der Wiese.
Guter, lehrreicher Text, ebenso der Kommentar von Siewurdengelesen! Das sollte Allgemeinwissen sein, aber immer wieder schaffen es Händler, die Kunden mit dem Verweis auf Garantie abzuwimmeln (deshalb werd' ich diesen Blogpost heute noch verlinken!)
AntwortenLöschenDanke, das freut mich.
Löschen@Siewurddengelesen. Danke für die Infos. Immer schön, wenn man sieht, man ist nicht der allein mit diesen Gedanken (in so einer Situation wie der obigen zweifelt man ja schon ganz kurz)
Im Wikipedia-Artikel zum Gebrauchsgüterkauf, um den es sich ja hier offensichtlich gehandelt hat, steht eigentlich alles drin.
LöschenKurz gesagt geht beim Kauf die Gefahr auf den Schuldner=Verkäufer über, der quasi dem Gläubiger=Käufer gewährleistet, dass der Kaufgegenstand frei von Sachmängeln ist und die zugesicherte Leistung erfüllt. Ist das nicht der Fall, geht man zugunsten des Käufers innerhalb der ersten 6 Monate davon aus, dass der Sachmangel bereits beim Kauf bestanden hat. Über diese Zeit hinaus ist der Käufer in der Pflicht, bei Schäden den Beweis zu erbringen, dass bereits ein Mangel vorgelegen hat - eben die Beweislastumkehr.
Die Fristen generell:
"Beim Verbrauchsgüterkauf kann weiter die Verjährung der Gewährleistungsansprüche vertraglich nicht zum Nachteil des Käufers auf unter zwei Jahre bei neuen Sachen und nicht auf unter ein Jahr bei gebrauchten Sachen reduziert werden (§ 476 Abs. 2 BGB). Schließlich wird der Verbraucher dadurch rechtlich gegenüber dem gewerblichen Käufer besser gestellt, dass er grundsätzlich gemäß § 477 BGB bei einem binnen sechs Monaten nach Übergabe der Kaufsache aufgetretenen Mangel nicht beweisen muss, dass der Mangel bereits bei Gefahrübergang vorhanden oder angelegt gewesen ist. Vielmehr wird das Vorhandensein des Mangels im entscheidenden Zeitpunkt gesetzlich vermutet. Der Verkäufer kann diese Vermutung durch den Gegenbeweis zu erschüttern versuchen."
Einen ganzen Roman dazu gibt es hier, der auch auf den Unterschied Garantie-Gewährleistung oder besser Mängelhaftung eingeht.
Altmaiers Aussage zeigt eindrucksvoll, was man immer nicht so recht glauben mag- daß es tatsächlich eine Haltung gibt, die den Menschen auf seinen Nutzwert reduziert, und das nicht einmal raffiniert versteckt. Manchmal macht es Spaß, wenn Klischees funktionieren, in diesem Fall eher nicht.
AntwortenLöschenUnd marktwirtschaftlich ist das auch nicht.