Montag, 24. Mai 2021

Saisonbilanz

 
Zum Sport. Eine weitere spannende Bundesligasaison ist zu Ende. Vom Ausgang her zwar nicht weiter überraschend, aber in mehrfacher Hinsicht interessant. Zeit für eine Bilanz. Acht Thesen:

1. Der FC Bayern München wird wohl weiterhin Seriensieger bleiben und kann sich nur selbst besiegen.
Zumindest in Deutschland ist der FC Bayern wohl der einzige Verein, der es sich leisten kann, einen Toptrainer wie Hansi Flick, der in eineinhalb Jahren nicht weniger als acht Titel mit dem Club holte, einfach mal abzusägen. In welchen Sphären die Granden von der Säbener Straße inzwischen schweben, machte die Schnurre von Berlin im Februar deutlich. Da der Flieger, mit dem die Bayern ins Arbeiterparadies Katar aufbrechen wollten, drei Minuten zu spät war, verweigerte der BER-Tower wegen des Nachtflugverbots die Startfreigabe (lies: wandte geltendes Recht an), weswegen die Mannschaft erst mit sieben Stunden Verzögerung aufbrechen konnte. Shit happens. Die Breitärschigkeit, mit der Rummenigge & Cie. die Politik angingen und pikiert waren, dass nicht überall rote Teppiche ausgerollt, Extrawürste gebraten und grillierte Täubchen in geöffnete Münder flogen, wäre mir als Bayern-Fan peinlich gewesen. Die einzig erkennbare Schwäche des Überklubs: Es mehren sich die Anzeichen, dass es im Hauptquartier etwa so harmonisch zugeht wie in einer Schlangengrube und dass es chaotisch werden könnte, wenn Uli Höneß einmal nicht mehr da sein sollte.

"Es ist mir so egal, wie der Fußball seinen Kerngedanken gerade selbst vernichtet und die Schrauben des Surrealen und der Parallelwelt immer weiter hochdreht. Wir befinden uns in einer Pandemie, hocken in unseren Wohnungen, sehen mittlerweile aus wie die Ludolfs, und da reisen Vereine aus der gesamten Welt in das Risiko-Gebiet Katar, um die Goldene Käsekrokette auszuspielen. Wem willst du das noch erklären?" (Tommi Schmidt)

2. Das Trainerkarussell ähnelt immer mehr dem Spielerkarussell.
Das Prinzip, der Konkurrenz die besten Leute wegzukaufen, hat sich auf die Trainer ausgedehnt. Bayern kauft von Verfolger Leipzig Julian Nagelsmann, der BVB versicherte sich frühzeitig der künftigen Dienste Marco Roses. Der so schlau aussehende Move könnte zumindest für die Dortmunder nach hinten losgehen. Denn dummerweise entpuppte sich der als Notnagel installierte Interimstrainer Edin Terzić als echter Glücksgriff. Richtete die Mannschaft wieder auf, machte die enorm wichtige Champions League-Teilnahme klar und holte noch souverän den DFB-Pokal gegen keinen geringeren Gegner als RB Leipzig. Zudem ist der hoch qualifizierte Terzić in Dortmund bestens etabliert und bei den Spielern beliebt. Eine Riesenhypothek für Nachfolger Rose. Der hat zwar den schönsten Nachnamen der Welt, wird aber gleich in seiner ersten Saison liefern müssen. Ohne Titelerfolg wird etwa ein Erling Haaland kaum ein weiteres Jahr zu halten sein. Auch in München dürfte man wenig erfreut sein darüber, dass Nagelsmanns letzte Amtshandlungen in Leipzig darin bestanden, zwei mal binnen zwei Wochen von Borussia Dortmund eine Klatsche kassiert zu haben.

3. Die Entwicklung der Bundesliga zur Fünfklassengesellschaft hat sich beschleunigt.
Die Liga ist momentan folgendermaßen gestaffelt: An der Spitze zieht der FC Bayern einsam seine Kreise. Dahinter die Dortmunder, die sich auf Platz 2 festgesetzt haben und dank regelmäßig fließender Champions League-Einnahmen dem Rest der Liga ebenfalls zunehmend enteilen. Dann mehrere Geldgeber- und Konzernklubs wie Leverkusen, Wolfsburg, Leipzig und Hoffenheim, die um Champions League- und Europa League-Plätze spielen, wenn Dortmund schwächelt, auch mal um Platz 2. Gefolgt von einem schrumpfenden Mittelfeld aus Mönchengladbach, Frankfurt und Stuttgart. Diese Vereine sind in der ersten Liga etabliert und nicht unmittelbar abstiegsgefährdet, spielen aber im Rennen um die Meisterschaft keine Rolle. Ihr weiteres Fortkommen hängt zudem stark davon ab, wie oft sie sich zumindest für die Europa League qualifizieren. Dahinter wiederum mehr oder minder gefährdete Zweitliga-Aufsteiger und potenzielle Absteiger, für die es in jeder Saison um den Klassenerhalt geht. Diese fünf Sphären haben immer weniger miteinander zu tun. Weil kleinere Vereine stärker von Einnahmen aus Eintrittsgeldern abhängen, hat der pandemiebedingte Wegfall der Zuschauer diese Entwicklung noch beschleunigt. 

(Ja, Union Berlin hat die Saison auf Platz 7 beendet. Das ist durchaus überraschend und erfreulich für Mannschaft und Fans. Ist aber noch die Frage, wie nachhaltig das ist.)

4. Kapitalismus pur ist auch keine Lösung.
Die englische Premier League hat sich von allem europäischen Fußballligen am konsequentesten dem Kapital geöffnet. Die meisten Klubs sind in der Hand von Oligarchen, Ölscheichs und Kapitalgesellschaften. Das hat eine Zeitlang insoweit funktioniert, als dass die Geldmassen die besten Spieler und Trainer der Welt anlockten und die Premier League zur spielstärksten Liga der Welt wurde. Das führte dazu, dass man auch in der stagnierenden Bundesliga überlegte, sich dem großen Geld zu öffnen. Auch die englischen Fans machen mehr oder minder klaglos mit, berappen astronomische Eintrittspreise und buchen Pay-TV-Abos. Noch. Denn mittlerweile hat Manchester City, im Besitz des Herrscherhauses von Abu Dhabi, zwischen 2012 und 2021 nicht weniger als fünf Mal den Titel geholt und ist auf dem besten Weg, das Bayern München Englands zu werden. Auch auf der Insel passiert also das, was zwangsläufig passiert, wenn man in den 'freien Wettbewerb' nicht beizeiten eingreift: Es drohen Monopole und im Sport die große Langeweile.

5. Die gescheiterte Gründung der Super League während der Saison war ein Zeichen der Ratlosigkeit, nicht der Geldgier.

Die Dialektik des modernen Profifußballs liegt darin, dass er als Immer-mehr-immer-höher-Geschäftsmodell nur noch funktioniert, indem er seinen "Kerngedanken" (Schmitt, s.o.) verrät. Der war immer der David-gegen-Goliath-Aspekt des Spiels. Dass auch vermeintlich 'Kleine' eine Chance haben, die 'Großen' zu ärgern, wenn nicht zu besiegen. Mit überlegener Taktik, Kampfgeist, Spielwitz, Kondition. Beobachten lässt sich das noch immer wieder bei Welt- und Europameisterschaften. Die 'Nati' der 'kleinen' Schweiz ist bei den letzten Turnieren oft Favoritenschreck gewesen. 2004 ist die griechische Mannschaft Europameister geworden. Bei der EM 2016 stand Island im Viertelfinale, Kroatien 2018 im WM-Finale. Nur im Vereinsfußball ist das inzwischen weitgehend außer Kraft. In allen größeren Ländern dominieren 1-2 Großvereine die Ligen und machen die Sache weitgehend unter sich aus. Die nationalen Ligen zu Spielerlieferanten für die 'großen' Clubs einer Super-Liga zu degradieren, sah aus wie der nächste logische Schritt. Nur für die Fans, die man immer noch irgendwie braucht, schien damit eine Grenze überschritten.

6. Schalke 04 könnte dieses Mal eine sehr lange Durststrecke bevorstehen.
1991 gelang dem FC Schalke nach drei Jahren zweiter Liga der Wiederaufstieg in die erste Liga. Die folgende, vor allem Rudi Assauer zu verdankende Aufwärtsentwicklung wurde gekrönt vom UEFA-Pokalsieg 1997, dem Bau der damals ultramodernen Arena und den folgenden Jahren, in denen man meist um die Meisterschaft mitspielte und regelmäßig in der Champions League vertreten war. Außer der überdachten Schüssel ist davon nichts mehr übrig, der Verein ein Trümmerhaufen. (Auch als Anhänger der Schwarzgelben bekomme ich nicht einmal Schadenfreude hin.) Im Unterschied zu heute hatte man Anfang der Neunziger noch Typen vom Schlage eines Günter Eichberg oder Charly Neumann dabei. Die wussten, wie wichtig die Fans sind und hielten sie bei der Stange. Eichberg, Neumann, Assauer leben nicht mehr, die letzte Integrationsfigur aus goldenen Zeiten, auf die viele Königsblaue sich einigen könnten, wäre wohl Huub Stevens. Der steht aber nicht mehr zur Verfügung. Inzwischen scheint auch die legendäre Leidensfähigkeit der Schalker Fans an Grenzen zu stoßen. Der Unmut über Misswirtschaft und unprofessionelles Gestümper in der Geschäftsstelle wächst.

7. Tradition ist schön, schießt aber keine Tore.
Apropos Schalke: Wer nun betrübt ist darüber, dass da ein Traditionsverein, wenn nicht gar der Traditionsverein par excellence in die zweite Liga muss und mit Werder Bremen gleich noch einer, sollte sich vergegenwärtigen, dass die Liste einstmals 'großer' Traditionsvereine, die nunmehr seit langem unterklassig herumkicken ohne Aussicht auf Wiederaufstieg, schon jetzt lang ist. Rot-Weiss Essen, MSV Duisburg, Waldhof Mannheim, 1. FC Kaiserslautern, ...

8. Ausbildungsvereine werden nicht Meister.

Borussia Dortmund hat es als Ausbildungsverein zu gewisser Meisterschaft gebracht. Das Geschäftsmodell: Junge Talente früher als andere aufspüren, günstig verpflichten, zu Topkräften aufbauen und mit Gewinn wieder verkaufen. Das ist übrigens kein neues Phänomen. Mönchengladbach geriet ab Ende der glorreichen Siebziger in Schwierigkeiten, viele Leistungsträger der legendären 'Fohlenelf' beendeten ihre Karrieren, man war gezwungen, viele Topleute zu verkaufen. Junge Talente wie Kalle Del'Haye, Lothar Matthäus, Stefan Effenberg gingen nach München (Del'Haye soll damals der erste Transfer gewesen sein, den Bayern gezielt zum Schaden des Konkurrenten anstrengte). Gladbach hat zwar noch zwei Mal den UEFA-Pokal geholt, wurde aber nie mehr deutscher Meister.






4 Kommentare :

  1. Ich leide gerade, aber Danke das Du mein Verein nur einmal erwähnt hast.

    Fred

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  2. Nur einem BVB-Fan kann es einfallen, sein Verein bilde eine eigene Kategorie zwischen dem FC Mordor und den Verfolgern. Ihr seid natürlich in einer Klasse mit Leipzig & Co. Für die durch nichts zu rechtfertigende Behauptung, meine Fohlen, die in dieser Saison nur durch einen Giganten wie ManCity im CL-Achtelfinale zu stoppen waren, seien ein Mittelfeldverein, werde ich dich natürlich körperlich züchtigen müssen. Wo liegt dieses Drecklingshausen eigentlich genau?

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    1. Zwischendurch sah es so aus, inzwischen ist das Universum aber wieder im Gleichgewicht.

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    2. Mit Marco Rose haben wir euch einen vergifteten Apfel geschickt. Ihr hättet mit Terzic weitermachen sollen ;o)

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