Sonntag, 7. November 2021

Funktionierende Märkte


Die Frage, ob Märkte funktionieren, lässt sich ganz einfach beantworten. Ja, tun sie. Immer. Sehr zuverlässig sogar.

Meist aber wird die Frage falsch bzw. es wird die falsche Frage gestellt. Die eigentliche Frage ist ja, ob Märkte in dem Sinne funktionieren, der ihnen meist zugeschrieben wird: Die allgemeine Wohlfahrt besser zu befördern als jedes andere System nämlich. Diese Frage muss man mit einem klaren Nein beantworten.

Märkte tun exakt eines: Sie sortieren diejenigen, die an ihnen teilnehmen, ob freiwillig oder nicht, in Gewinner und Verlierer. Alles weitere sind entweder Nebeneffekte oder Propaganda.

Und das mit den Gewinnern und Verlierern tun sie sehr gut. Wenn es Verlierer gibt, dann also nicht, weil die Märkte versagen oder so was, sondern weil das exakt das ist, was sie tun. Das Problem sind nicht die Märkte, sondern dass ihnen seit Jahrzehnten Eigenschaften zugesprochen werden, die sie gar nicht haben. Sich darüber zu beklagen, dass ungeregelte Märkte Verlierer hervorbringen, unfair oder unsozial sind, ist daher in etwa, als würde man einem Wolf vorwerfen, ein armes unschuldiges weißes Lämmlein gerissen zu haben. Was Märkte definitiv nicht können: Möglichst viele Menschen einigermaßen gleichmäßig an dem beteiligen, was die Volkswirtschaft so hervorbringt.

(Das wusste man in der Gründungsphase der Republik natürlich. Daher hielt man zentrale Bereiche der Daseinsvor- und -fürsorge auch von den Märkten fern und betrieb sie teils oder komplett staatlich. Bahn, Post, Telefon, Energie, Wärme, Sozialwohnungen etc. Ein Glück, dass wir heute schlauer sind als die Erzkommunisten von damals.)

Ja aberaberaber man muss sich doch bloß mal unsere Supermärkte ansehen! Ein derart breites Warenangebot zu größtenteils erschwinglichen Preisen hat es wohl noch nie gegeben. Das ist doch der Beweis, dass Märkte funktionieren. Da profitieren doch quasi alle von. Das erstere stimmt im Wesentlichen, das letztere nicht. Weil die Verlierer dieses Marktes nicht immer auf den ersten Blick sichtbar sind. Vor allem sind das die, die dafür sorgen, dass das Warenangebot vorhanden ist. Meist osteuropäische Erntehelfer auf unseren Feldern, von Sub-Sub-Subunternehmern ausgebeutete Arbeiter in der Fleischindustrie, afrikanische Hilfsarbeiter auf spanischen Gemüseplantagen, Bauern, die ihre Höfe aufgeben müssen, weil sie dem Preisdruck der Handelsketten nicht mehr standhalten. Marktverlierer sind aber auch unmotorisierte Menschen im ländlichen Raum, wo der Dorfladen dicht ist und der nächste Supermarkt 20 Kilometer entfernt.

Und weil der Mensch nicht nur essen muss, sondern auch ein Dach über dem Kopf braucht, funktioniert auch der Wohnungsmarkt ganz hervorragend. Will heißen: Wer über das nötige Kleingeld verfügt, hat eine nie zuvor dagewesene Auswahl an Domizilen mit allem Komfort und zurück. Vom Penthouse-Loft in Citylage mit Tiefgarage und eigenem Aufzug über die topsanierte Altbauwohnung mit Stuckdecken bis zur Villa im Grünen - alles da. Wer die nötigen Penunzen nicht hat? Tja, der muss, so er nicht auf einem bezahlbaren, sicheren Altvertrag sitzt, hoffen, irgendwo was Bezahlbares zu finden und notfalls zum Amt. Das ist, wie gesagt, kein Marktversagen, sondern schlicht Markt. Und für die, die nichts Bezahlbares finden und zum Amt müssen, haben wir schließlich immer noch eine - Buff-ta-ta, Tusch! - Soziale MarktwirtschaftTM.

Da wären wir dann beim nächsten Missverständnis. Das 'sozial' in 'Soziale MarktwirtschaftTM' steht nicht für sozial im Sinne von irgendwie nett oder human, sondern für sozial im Sinne von 'sozialisieren'. Und zwar die Schäden, die die Märkte anrichten. Die bürgerlich-ordoliberalen Ökonomen, die sich das nach dem Krieg ausgekaspert haben, hatten noch die Weimarer Jahre miterlebt und wussten aus eigenem Ansehen, wie wenig förderlich fortwährende soziale Unruhen sind für den Gang der Geschäfte. Und natürlich wussten sie als Ökonomen auch, was sogar ich weiß: Dass Märkte Gewinner und Verlierer hervorbringen. Wäre es da nicht eine grandiose, nachgerade geniale Idee, die Kosten für alles, was nicht so dolle ist an der Marktwirtschaft, der Allgemeinheit aufzubürden? Und dem ganzen dann einen Namen zu geben, der dem 'Kleinen Mann' suggeriert, es ginge um ihn? Bingo!

"Die Grünen sind die FDP für Leute, die für Dosenpfand sind." (Volker Pispers, 2002)

Und weil Märkte so irresuperduper funktionieren, plädieren Grüne und FDP auch nunmehr dafür, die Deutsche Bahn AG komplett zu zerschlagen und den gesamten Bahnverkehr zu privatisieren. Menschen, die in Gegenden leben, in denen die Bahnverbindungen schon jetzt ein schlechter Witz sind, werden es beglückt zur Kenntnis nehmen und sogleich zu Abertausenden ihre Autos gegen subventionierte Lastenfahrräder eintauschen. So geht Klimaschutz. Haaallo! Die Neunziger haben angerufen, sie hätten gern ihre Patentrezepte zurück.







7 Kommentare :

  1. 1992 in Dortmund, rote Ampel. Direkt vor mir, ein nagelneuer BMW, 12 Zylinder, damals kenntlich nur nur durch ein 'l' hinter der Typ-Bezeichnung. Rahmung des Kennzeichene nicht "Auto-Meier" oder "DeLuxe Cars Müller", sondern "Eure Armut kotzt mich an".

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    1. Dergleichen war in den Neunzigern sehr beliebt. Auch der Aufkleber "Arschloch und Spaß dabei!" war verbreitet. Und wer was sagte, war humorlos oder hatte die Ironie nicht verstanden.

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  2. Das Problem ist, dass es keine Alternative zu den Märkten zu geben scheint - oder kennst du eine?
    Allenfalls kann der Staat regulierend eingreifen, was - wie z.B. der Mietendeckel gezeigt hat - nicht regional machbar ist.

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  3. Lieber Stefan,

    in deiner Heimatstadt gibt es in der Brandstraße 11 die Roßschlachterei und Speisegaststätte Hobbold, wo es Köstlichkeiten wie Pferdesaftschinken, Fohlenschnitzel oder Pferdeklopse gibt. Als Gourmet würde ich mich über einen Erfahrungsbericht freuen. Bei Google Maps gibt es jede Menge 5-Sterne-Rezensionen.

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    1. Oh, der Laden ist eine überregional bekannte Institution (mit dem Chef habe ich übrigens die Grundschulbank gedrückt)! Allein die Einrichtung ist sehenswert. Mal sehen, ob ich mal was dazu schreibe. Als kleine Kostprobe empfehle ich den Online-Shop.

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  4. .... gutenTag zusammen,
    die geplante Zerschlagung — eigentlich das bloße Nachdenken darüber, hätte still und heimlich erfolgen — und dann beerdigt werden — sollen. Dann wäre man z. B. bei der Betrachtung der entsprechenden Folgen in Großbrittanien schnell wieder davon abgekommen. Seit dieser Zeit ist das britische Schienennetz so marode wie niemals zuvor. Aber damit wären wir wieder beim Thema "wie doof muss man sein".

    Gruß
    Jens

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  5. Der Markt ist immer so frei, wie die Subventionen fließen. Und natürlich gibt's bessere Systeme. Sie taugen allerdings nicht zur unendlichen Bereicherung des Einzelnen.

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