Mittwoch, 5. Januar 2022

Grenzerfahrungen in der Konsumgesellschaft (29)


"Ich blättere durch Möbelkataloge und frage mich, welches Geschirr mich als Person definieren könnte." (Tyler Durden in 'Fight Club')


Solange ich nicht betroffen bin bzw. mein engstes Umfeld, oder sich inhuman betätigt wird, gehen die persönlichen Gewohnheiten meiner Mitmenschen mich nichts an und interessieren mich auch nicht weiter. Es ist mir wumpe, was Menschen essen, lesen, was sie streamen, wie oft und mit wem genau sie sich auf welche Weise sexuell betätigen etc. Sie mögen mit ihren diesbezüglichen Entscheidungen glücklich werden oder eben nicht, ich habe da keinem was zu verbieten oder vorzuschreiben. Sich über so was das Maul zu zerreißen ("Geht ja gaaar nicht!"), ist was für Klatschtanten, in deren Leben absolut nichts (mehr) los ist und für unreife Menschen.

Und auch Mode ist mir weitgehend egal. Langweilt mich. Zumal gegen eine Dummheit, die gerade in Mode ist, eh keine Klugheit der Welt aufkommt, wie schon Fontane wusste. Wieso da diskutieren? Erst recht egal ist mir, wie sie ihre Häuser und Wohnungen einrichten. Mir muss das nicht gefallen und ich muss auch nicht drin wohnen.

Das heißt aber nicht, dass man gewisse Dinge nicht als kulturelle Phänomene interessant finden und entsprechend analysieren kann. Wohnungseinrichtungen etwa. Hier um die Ecke wurde kürzlich ein neuer Mietwohnblock in zeitgemäßer Knastoptik fertiggestellt und die ersten Wohneinheiten sind gerade dabei bezogen zu werden. Weil es draußen früh dunkel ist und an den erleuchteten Fenstern meist noch keine Vorhänge oder anderer Sichtschutz angebracht ist, kann man zuweilen den einen oder anderen Blick ins Innere riskieren.


Und da stellte sich mir schon die Frage: Wann hat das eigentlich angefangen, dass Wohnungen vornehmlich junger Leute - oberhalb einer gewissen finanziellen Mindestfallhöhe, versteht sich - irgendwie alle gleich eingerichtet sind und aussehen wie Arztpraxen? Graues Laminat, graue Sofalandschaft und vor allem: niemals etwas anderes als weiße Schränke und Kommoden. Dazu ein Esstisch, der aussieht, als hätte Conan der Barbar ihn direkt aus dem Wald angeschleppt und mit ein paar harten Schlägen seines Beidhänders grob zurechtbehauen. Ist das neuerdings Vorschrift, so zu wohnen?

Moden hat es auch beim Einrichten immer gegeben, das ist nichts neues. Wer erinnert sich nicht an den hiesigen Hang zu massiven Möbeln in Eiche brutal? Oder als eine komplette Generation u30 plötzlich geschlossen Ikea-Regale daheim stehen hatte. Aber bin das nur ich, der findet, in letzter Zeit habe da ein gewisser Einheitslook um sich gegriffen? Letztens suchte ich vier Stühle für den Esstisch, da die alten aus Studententagen aus dem Leim waren und endgültig marode. Und in allen aufgesuchten Geschäften betrug die Dichte dieser aktuell wohl irre angesagten Polsterschalensessel mit Spinnenbeinen, die ich aber nicht will, weil man die Polster nicht in die Waschmaschine kriegt, nahezu 100 Prozent. Existiert irgendwo eine höhere Instanz, die jegliche Abweichung von dieser Norm mit Blitzeinschlägen auf dem Klo ahndet?

Eine Erklärung habe ich nicht, aber einen Verdacht. Weil ich ticke wie eingangs beschrieben, interessiert es mich auch jenseits eventuellen kulturellen Interesses nicht, was konsumgeile Jungmenschen vom Shoppen nach Hause schleppen. Und wenn die das unbedingt filmen und ins Netz stellen wollen, um sich dafür anstaunen zu lassen, dann ist auch das deren Cervisia. So kann es nicht verwundern, dass auch meine Erfahrungen mit Influencern ausgesprochen spärlich sind.

Sie heißen Bibi oder Diana, Hanni und Nanni und was weiß ich und laden ihre Fans zu sich nach Hause ein. Und wie sieht es da aus? Richtig. Graues Laminat, graue Sofalandschaft und vor allem: niemals etwas anderes als weiße Schränke und Kommoden. Früher sah es bei gewissen Leuten angeblich aus wie bei Hempels unterm Sofa, heute wissen wir immerhin, wie es bei Influenzers im Spielzimmer aussieht und was das für Folgen hat. Und alle so: "Jaaa, wir sind alle Individuen!"

Ha! Ich glaube, ich bin da etwas ganz großem auf der Spur.







3 Kommentare :

  1. ... ach Stefan - Stefan - Stefan,
    was du da beschreibst, ist doch genau das, was wir (ich *1957) im Bereich Klamotten ebenfalls gemacht haben: Boots, Militärstiefel, Jesuslatschen, Parka (die richtig coolen Säue hatten den Amiparka mit dem Schwänzchen oder die Amikampfjacke (die die Schimmi dann in peinlichbeige trug), wir Nomalos den BW-Parka ... ach so ... Flokati musste sein und wenns ging noch son Sitzsack — aus dem kam man alleine nicht mehr raus, wenn das Teil innendrin die Styroporfüllung verfestigt hatte. Oberhalb von Ente und R4 war alles Spiesserkram. Nun gut — bei der Freizeitfussbekleidung konnte man entweder zur Puma oder Adidas-Peergroup gehören — Schwamm drüber. Beim Thema Jeans hörte der Spass dann auf: SCHLAGHOSE!!!! - sonst ab hinter die Pausenhofecke und sich schämen. Also festgefahren in unseren Stil-Ansichten waren wir damals mit 15 - 16 - 17 auch schon.

    Gruss
    Jens

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    1. Moooooment! Da gab es seeehr feine Unterschiede. BW-Parka mit Flagge oder ohne? Einrichtung aus Obstkisten oder von Flohmarkt? R4 oder Ente? Geha oder Pelikan?
      ...
      Ne, Spaß beiseite, ich bestreite ja nicht, dass es auch sonst keinen Hang zum Konformismus gegeben hätte (in meiner Generation diversifizierte sich das allerdings stark).
      Nur sind die, die den o.g. Kram zu Hekatomben anschaffen, eben keine 15-16-17 mehr...

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