Sonntag, 2. Januar 2022

Zwischen den Jahren Konsumiertes


Gelesen: Martin Walker: Französisches Roulette

Bruno ermittelt wieder. Der jüngste dreizehnte Fall der Serie beginnt damit, dass ein alter, aber nicht uralter Bauer tot in seinem Haus aufgefunden wird. Wie sich herausstellt, hat er kurz zuvor noch sein Testament dahingehend geändert, dass seine leiblichen Kinder leer ausgehen, während der Betreiber einer Luxus-Seniorenresidenz absahnt. Wie immer zieht die Sache weite Kreise, und zwar bis in sinistre russische Oligarchenkreise hinein, eine alte Freundin taucht wieder auf, Brunos getreuer Basset Balzac bekommt eine Freude gemacht und erweist sich als würdig. Es wird wie immer auch ausgiebig ausgeritten, gekocht und gespachtelt. Mehr wird hier nicht verraten.

Wie öfter in letzter Zeit kann ich mich bei der Lektüre eines Bruno-Romans nicht entscheiden: Soll ich mich einfach gut unterhalten fühlen ob der nur minimal anderen Wiederkehr des Gleichen und mich im wohligen Gefühl aalen, zu alten Freunden zurückzukehren, oder mich langweilen? Ist wohl tagesformabhängig bei mir. Zumal Walker dieses Mal ein wenig zu penetrant für meinen Geschmack die Musik seiner eigenen Jugend abfeiert, indem er Bruno, den guten Menschen von Saint-Denis, einem alternden schottischen Rockstar zu einem glanzvollen Comeback verhelfen lässt.

Martin Walker: Französisches Roulette. Der dreizehnte Fall für Bruno, Chef de Police. Zürich: Diogenes 2021, 400 S., 24,00 €.

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Gelesen: Adam Tooze: Welt im Lockdown

Die Bücher des einst in Westdeutschland aufgewachsenen Wirtschaftshistorikers Adam Tooze lassen sich mit Gewinn lesen. Seine Arbeiten 'Ökönomie der Zerstörung' über die Wirtschaftspolitik des NS-Regimes und 'Crashed' über die globale Finanzkrise 2008/2009 sind zu Standardwerken geworden. Und wie 'Crashed' ist auch 'Welt im Lockdown' der Versuch einer globalen Gesamtschau. Tooze konzentriert sich auf den Zeitraum zwischen dem 20. Januar 2020 und dem 20. Januar 2021, dem öffentlichen Eingeständnis des Coronavirus-Ausbruchs durch Xi Jinping, und der Amtseinführung Joe Bidens.

"Europa ist nicht das zentrale Thema des Buches, wird aber häufig erwähnt. Beispielsweise geht Tooze darauf ein, wie das hochverschuldete Italien mit seinen vielen Corona-Kranken die Weltwirtschaft an den Rand des Abgrunds gebracht hat. Seine Diagnose, warum es Italien und Spanien so heftig traf, ist einfach: Deren Gesundheitswesen wurde durch EU-Sparfüchse wie Deutschland oder die Niederlande schlicht kaputtgespart." (Eva Karnofsky)

Tooze interpretiert den mehr oder minder weltweiten Lockdown vor allem als Beleg dafür, dass der ökonomische Mainstream der letzten Jahrzehnte ein Holzweg ist. Weiterhin beschleunigte der Kampf gegen die Pandemie den weiteren Aufstieg Chinas als Weltmacht (wenn man möchte, kann man auch Putins Großmachtpolitik als Versuch begreifen, Russland davor zu bewahren, zwischen der Weltmacht USA und der kommenden Weltmacht China zerrieben zu werden). Sein Fazit ist nicht eben rosig: "Wenn unsere erste Reaktion auf das Jahr 2020 Ungläubigkeit war, so sollte unsere Parole für die Zukunft lauten: «We ain’t seen nothing yet.» Was wir bisher erlebt haben, war erst der Anfang." (S. 343)

Ich bin noch nicht ganz durch, empfehle das Buch allerdings schon, weil es die Ereignisse in eine globale Perspektive und in den Kontext mit anderen großen Krisen der jüngeren Zeit stellt. Wer eine umfassende, tiefenscharfe Analyse sucht, wird hier fündig, 'Querdenker' eher nicht.

Adam Tooze: Welt im Lockdown. Die globale Krise und die Folgen. München: C.H. Beck 2021, 408 S., 26,95 €.

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Geguckt: In 80 Tagen um die Welt (ZDF)
 
Die Geschichte dürfte so weit bekannt sein: Der exzentrische Brite Phileas Fogg wirft in seinem Gentlemen’s Club eine irre Wette in den Ring: Er will die Welt umrunden und genau zur selben Uhrzeit in 80 Tagen wieder zurück sein. Spätestens. Mit seinem französischen Diener Passepartout macht er sich auf den Weg. Der Hintergrund für Jules Vernes 1873 erschienenen, schon oft verfilmten Roman 'Reise um die Erde in 80 Tagen'. war einst die Eröffnung des Suezkanals 1869. Ohne diese revolutionäre Abkürzung, die die Welt mindestens ebensp verändert hat wie die Dampfmaschine, wäre so eine Reise nicht machbar gewesen. Damit ist der Ton gesetzt. 'Reise um die Erde' ist Moderne pur: Eine Feier der technischen Errungenschaften der Menschheit.

Jetzt gibt es das Ganze also im Serienformat. Acht Folgen zu jeweils einer guten Dreiviertelstunde. Für solche Produktionen kursierte mal die spöttische Bezeichnung 'Europudding'. Was heißt: Jede Menge staatliche und staatsnahe Filmfördergesellschaften aus mehreren europäischen Ländern tun sich nach dem Prinzip Airbus zusammen für etwas streng Paritätisches, um Hollywood die Stirn zu bieten. Die Ergebnisse müssen übrigens nicht unbedingt schlecht sein oder mittelmäßig. Auch Jean-Jacques Annauds Eco-Verfilmung 'Der Name der Rose' ist ein Europudding.

Das Problem beim vorliegenden Stoff ist, dass man weiß, wie es ausgeht. Die Spannung muss also woanders her kommen. Etwa aus bunten, exotischen Kulissen. Die Handlung, die in früheren Verfilmungen als abendfüllender Film, in zwei (2004) bzw. drei Stunden (1956) abgehandelt wurde, wird hier auf gut sechs Stunden ausgewalzt. Weil der Stoff das aber nicht trägt, werden Nebenhandlungen reingeschaufelt wie Kohle in eine mit Volldampf fahrende Lok. Da wären erstens als Zugeständnisse an den herrschenden Zeitgeist, dass Jean Passepartout (Ibramim Koma) eine Person of color mit krimineller Vergangenheit ist und dass mit der jungen Journalistin Abigail Fix Fortescue (Leonie Benesch) eine ('starke') Frau mit an Bord ist. Das ist legitim und geht in Ordnung, wer strikte Werktreue will, soll sich halt eine der älteren Verfilmungen anschauen.

[Spoiler]

Leider kommt, was ganz reizvoll sein könnte, heillos überfrachtet daher. Weil inzwischen jeder Marvel-Held auf die Couch gelegt wird, wird auch Foggs (David Tennant) Motivation für seine Reise andauernd hinterfragt. Dass ein Exzentriker aus grenzenloser Langeweile einfach was Verrücktes tut, reicht ja heutzutage nicht mehr als Motiv. Da muss doch irgendwo ein Schmerz sein! Wahrscheinlich in der Kindheit! Und siehe da, nach und nach stellt sich raus, ein Kindheitstrauma und eine verlorene Liebe sind der Grund. Aha. Passepartout wird, so weit, so vorhersehbar, ein ums andere Mal von seiner Vergangenheit eingeholt, sogar in Hongkong, und sieht sich immer wieder mit Rassismus konfrontiert. Abigail telegrafiert ihre Reiseeindrücke nach London und bring ihre Karriere in Schwung. Wird sich zwischen ihr und Passepartout etwas anbahnen? Raten Sie mal.

Hinzu kommt eine weiterer Handlungsstrang, in der Foggs' Wettgegner Bellamy (Peter Sullivan) die Reise zu sabotieren versucht. Nicht nur die Sabotage, sondern auch die Nebenhandlung misslingt, denn, s.o., man weiß ja, wie es am Ende ausgehen wird. Eine Chance wäre gewesen, dem Zuschauer Augenfutter zu geben, einen bunt-exotischen Bilderbogen auszubreiten. Dafür langte wohl das Budget nicht mehr. Die wenigen CGI-Effekte wirken meist billig. Viele Computerspiele sind inzwischen atmosphärischer als das. Kinder dürften sich schnell langweilen.

In 80 Tagen um die Welt. Mit David Tennant, Ibrahim Koma, Leonie Benesch u.a. Buch: Ashley Pharoah, Caleb Ranson, Regie: Steve Barron. 8 Folgen à 47 min. (in der ZDF-Mediathek abrufbar).

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Gefunden: Proletenböller

"Der Verdacht liegt nahe, dass das großstädtische Öko-Milieu die Coronakrise dazu nutzen will, um sich eines Brauchs zu entledigen, den es kulturell ohnehin ablehnt. Böllern auf der Straße ist eine Bastion proletarischer Feierkultur, mit dem das gesittete Bürgertum schon immer wenig anfangen konnte. Um nicht mit dem Silvesterkrach belästigt zu werden, soll dann auch die sonst oft kritisierte Polizei einschreiten." (Jörg Wimalasena)

Na also! Das Verkaufsverbot für Feuerwerksartikel als Versuch des großstädtischen Bionade-Biedermeiers, sich ein ruhiges Silvester-Bullerbü herbeizuverbieten. Dass man darauf nicht eher gekommen ist! Vielleicht ist das aber auch nur der Ausgleich für das, was deren holzbefeuerte Kaminöfen an Feinstaub und CO2 in die Atmosphäre blasen, wer weiß? Nun sind meine Erfahrungen selbstredend nicht repräsentativ, aber das mit Abstand härteste Geböller, dem ich mich bislang ausgesetzt sah im Leben, fand vor Jahren in Norddeich statt. Da ging es weniger proletarisch denn überwiegend biederbürgerlich-jackwolfskinmäßig zu. 
 




 

5 Kommentare :

  1. Tja das mit dem Böllern ist auch so ein Mythos.
    Der Prolo ballert "natürlich" liebend gerne zu Sylvester rum, genau so wie er sein Dasein als Couch Potato fröhnt und zum "Fussi" geht.
    Da spricht nur die Verachtung über die angebliche "Un-" bzw. "Nicht-Kultur" der Unterklasse.
    Während die gutsetuierte Mittelklasse mit der "höheren Bildung", beides wird ja immer zusammen gedacht, den Abend mit Kerzenschein, Rotwein und Soirée kultiviert und dabei gepflegte klassische Musik hört.
    Wenn das Feuilleton die angeblichen Interessen der Prolls "entdeckt" und vorgeblich verteidigen will, läuten bei mir sofort die Alarmglocken.

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    1. Siewurdengelesen4. Januar 2022 um 10:58

      "Wenn das Feuilleton..."

      Das was?

      SCNR;-)

      Das ist doch auch nur eine andere Version vom billigen TV, über dessen Niveau sich gerne mal entrüstet wird und das faktisch gleichbedeutend für den biersaufenden Proll im Jogginganzug steht, der zu doof zum Umfallen ist und keinen Bock auf seinen Beitrag zur Leistungsgesellschaft hat. Kultur ist halt auch irgendwie immer nur das, was jemand anderes definiert und wandelt sich ständig. Das dabei die Proleten völlig klar ihre eigene haben, die sich eben auch aus dem Umfeld entwickelt haben, ist doch klar. Und vieles ist Mainstream und auch für die "höheren Herren und Damen" gesellschaftsfähig geworden, was einstmals als Protest und Subkultur begann. Ich denke nur an meine "wilde Zeit" als Metaller, wo die Popper einen auf heile Welt und Schickimicki gemacht haben, während lange Haare quasi für asozial standen.

      Und andererseits gehört das "Sau rauslassen" für jeden irgendwie dazu, dass löst Spannungen! Nur sollten eben die Miefbürgerlichen aufwärts nicht immer so tun oder suggeriert werden, sie seien etwas Besseres. Die gehen zum Scheißen auch auf´s Klo (oder in den Wald).

      Das Geböller bräuchte ich jetzt auch nicht wirklich, aber unter Sitte und Tradition kann man ja recht viel verwursten und wenn´s dem Umsatz dient!?

      Mein kultureller Leistungsteil ist nach wie vor Hannah Arendts "Vita activa" als Teil ihres Werks, durch das ich mich so kämpfe und vorher mit den schweren Augenlidern. An leichter Kost sind so Fotobücher und ein paar Mittelalterschinken noch im Schuber - man bräuchte echt 2-3 Leben;-)

      Gesundes Neues allerseits noch!

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  2. Klar, aufs Geknalle kann ich gut und gerne verzichten, zumal die heimische Fauna sich bedanken würde.
    Mein Einwand war ja auch eher, dass Böller als "Proletenkultur" hochgejazzt wird. Stefan hat es ja beschrieben, da brauch man noch nicht einmal nach Norddeich. Es reicht nur wenn man auf dem Dorf ist oder in der Vororteigenheimsiedlung sich befindet "...aber die Kinder finden es so toll".
    Und staatl. verordnete Verbote in der Richtung sind so wieso fürn Arsch, aber dafür sollte man dann nicht die sozial Abgehängten (zumal wie wir wissen, es die nicht so doll betrifft) als Gegenargument auffahren.

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    1. Siewurdengelesen5. Januar 2022 um 10:45

      Es gibt vieles, was als "Proletkult" erst verpönt war und jetzt gesellschaftsfähig wird. Derzeit ist das zum Beispiel gut an Dart zu sehen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass so ein frischgekrönter Dart-Weltmeister noch vor kurzem eine Nachricht inden "Mainstreammedien" wert gewesen wäre;-)

      Aber wenn einem halt die sachlichen Argumente etwas dünn erscheinen und sich selbst damit etwas erhöhen lässt, dann ist auch der Pöbel zu etwas nütze - genau wie der Rückgriff auf den "mündigen Bürger und Verbraucher" beim Abwimmeln echter Einschnitte für Firmen, Händler usw. Mit Umwelt- oder Tierschutz holst Du heute in unserer egomanen Welt sowieso keinen hinter dem Ofen hervor, lieber steht man für die automobile Freiheit bei unbegrenzter Höchstgeschwindigkeit stundenlang im Stau statt sich auf ein Tempolimit auf Autobahnen beschränken zu müssen und auch nicht schneller oder länger unterwegs zu sein.

      Gegen derlei Paranoia kommt Ratio nicht an und genau deshalb rennen halt jetzt ein paar medial völlig Überrepräsentierte auf der Straße herum - aber was weiß ich schon...

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  3. Die Coronakrise gerät dem linksbürgerlichen Bobo-Milieu in seinem Kulturkampf zum Nutzen – ist ja allerhand. Schön, dass das endlich mal einer herausgefunden hat.
    (Böllerverbot zu Silvester hats freilich auch früher schon mal gegeben: ob da auch die Öko-Bobos dahintersteckten?)

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