Samstag, 8. Januar 2022

Vermischtes und Zeugs (XIII)


Meine Boosterimpfung habe ich mir an legendärer Stelle abgeholt. Das hiesige kommunale Impfzentrum haust in der Vestlandhalle. Dort fand am 15. November 1984 ein Konzert der damals von mir juvenil verehrten Gruppe BAP statt. Ohne mich. Meine Eltern beharrten drauf, dass ich noch keine 16 war. Drama! Ganz große Oper! Die Vestlandhalle liegt nämlich auf der Grenze zur Bronx. Wo brave Bürgerkinder wie ich nicht hingingen. Zwei Fans aus unserer Klasse schafften es. Ein Scheidungskind, damals noch eine Ausnahme, das seine Eltern gegeneinander ausspielte, und mein damaliger Kumpel Ch., dessen Erzeuger schon ziemlich cool waren.

Weithin bekannt war die Vestlandhalle in den 1960ern, als dort regelmäßig Beat-Festivals stattfanden, die bald überregionale Bedeutung genossen. Treibende Kraft waren Stadtjugendpfleger Kurt Oster und Pastor Wichmann aus Gelsenkirchen-Buer. Oster selbst war kein Beat-Fan, aber der Meinung, "dass die Herstellung von »nettem« Skiffle und Beatmusik (im Vergleich zu rauhem Rock'n'Roll) eine unterstützenswerte Aktivität und eine wirksame Maßnahme zur Bekämpfung der Jugendkriminalität ist". Oster starb 1982, seit ein paar Jahren heißt die Straße, an der der einstige Beat-Tempel liegt, Kurt-Oster-Straße.

***

Die neueste Kreation der Chip-Entwickler. Übrigens nicht in einem Asia- oder Arabia-Shop, sondern in einer Filiale einer kreuzbiederen deutschen Supermarktkette.


***

Apropos Einkauf. Was muss ich da lesen? Schlecker soll wiederkommen? Ernsthaft? Schlecker? DER Schlecker? Einmal kurz nachrecherchiert, und siehe da: Jep. Ein Investor namens Patrick Landrock, Chef des österreichischen Unternehmens Kitzventure, will die Marke wiederbeleben. Soso.

Es fragt sich ernsthaft, wie viele nun angesichts einer der neuen Filialen denken werden: "Oh, cool! Schlecker ist wieder da! Juchu! Hosianna!" War das damals geil in diesen schrottigen, undekorierten Läden? In die man nur sich verirrte, wenn es gar nicht mehr anders ging. In denen ausgebeutete, schlecht bezahlte, gehetzte Damen, die den Laden meist allein stemmen mussten, noch nicht einmal ein Telefon hatten, um im Falle eines Überfalls die Polizei zu rufen (weshalb Schlecker-Filialen zeitweise bevorzugt überfallen wurden) und jederzeit damit rechnen mussten, vom verkleideten Anton Schlecker oder seiner Frau mit Testeinkäufen behelligt zu werden.

Prinzipiell habe ich kein Problem mit schmucklosen Einkaufsstätten. Kann bedeuten, dass da einem Design nicht wichtig ist und das eingesparte Geld woanders investiert wird. In ausreichende Personaldecke oder ordentliche Löhne für die Angestellten zum Beispiel. Beim Schlecker war das immer bloß Symptom einer klemmigen, kleinkrämerischen Rapschigkeit, die niemandem auch nur das Schwarze unter dem Fingernagel gönnt. Ferner ist zu erfahren, dass Landrock bereits mehrmals mit der Justiz zu tun hatte. Unter anderem wurde der Vorwurf des schweren gewerbsmäßigen Betrugs erhoben. Schön, wenn Firmentraditionen fortgeführt werden.

***

Apropos impfen: Wer über die Spaltung der Gesellschaft rumjammert, wenn er aufgefordert wird sich impfen zu lassen, sehnt sich offenbar nicht weniger nach einem Volk im Gleichschritt und Gleichklang und nach Konformität, als er es den anderen zum Vorwurf macht. Oder hat einfach keine besseren Argumente.

"Die Vorstellung, dass es zum Kern individueller Freiheit gehört, sich bei einer ansteckenden Krankheit nicht impfen zu lassen, kann man gern hochhalten, wenn man als Eremit im Wald haust – aber nicht, wenn man im Notfall dann doch ein Intensivbett in einem Krankenhaus belegt, das durch den Sozialstaat finanziert wird und in dem Ärztinnen und Pfleger Sonderschichten fahren müssen." (Robert Misik)

***

Apropos Einkauf (2). Letztens an der Kasse. Eine junge, tiefenentspannte Nachwuchskraft am Scanner, die sich nicht aus der Ruhe bringen lässt. Es gab Zeiten, da hätte ich bei so was gedacht: Haben wir's bald? Kann ich vielleicht irgendwie helfen? So in der Art. Ich aber dachte: Ach schön, es haben inzwischen auch wieder welche eine Chance, die nicht die Ausstrahlung bekokster Turboleister im Koffeinrausch haben. Oder wie sich die Angestellten beim Gastroenterologen meines Vertrauens entspannt über Privates unterhielten. Da dachte ich nicht: Meine Güte, euer privater Kram interessiert hier keine Katze, Ladys! Nein ich dachte: Ach schön, die Damen fühlen sich offenbar wohl hier. Ist das noch Altersmilde oder schon beginnende Vergreisung?







7 Kommentare :

  1. Eine schöne Erinnerung an die Schlecker-Filiale in Duisburg-Meiderich: Wenn ich meinen Sohn vom Kindergarten abgeholt habe, hat er sich dort dann immer eine Capri-Sonne gekauft. Die Damen dort waren immer sehr nett und kannten den Kleinen später sogar mit Namen.

    AntwortenLöschen
  2. "Ist das noch Altersmilde oder schon beginnende Vergreisung?"
    Erlebe ich auch immer öfter, ganz besonders seitdem ich Rentner bin. Einfach leben und leben lassen.
    Es gehört für mich zu den ganz großen Ungerechtigkeiten, dass man sozusagen erst kurz vor Ende mit aller Seelenruhe im Leben ankommt.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Wie wahr, wie wahr - obwohl ich mich nicht "kurz vor Ende" sehe...
      @Flusskiesel: Die Tatsache, dass die Damen dort sehr nett waren, hat nur leider nichts an der Geschäftspolitk des Chefs geändert. So leid es mir um alle 'Schlecker-Damen' damals tat, es gibt Firmen, um die ist es nicht schade.

      Löschen
    2. Schon richtig! Ich wollte nicht die Firmenpolitik von Schlecker irgendwie schönreden, sondern es kam einfach die schöne Erinnerung an die Zeiten hoch, als mein Junge noch klein war. :-)

      Löschen
  3. Zum Impfen:

    Zweieinhalb Monate täglich Zeit und Schweiss aufgebracht, um Mitte Juni endlich einen Nadlertermin zu bekommen.
    Gab nur J&J, aber egal, endlich Termin.
    Mitte Nivember dann die Auffrischung, nach 6 Monaten, wurde mir als Booster verkauft.

    Nach dem Besuch der Apotheke, den gelben Pass in einen QR Code verwandelt dann die Ernüchterung - die kommenden 14 Tage Impfstatus verloren.

    Recherche und Telefonate ergaben, Softwarefehler, war nicht vorgesehen.
    Aus meinem 1/1 wurde 2/2, aber das war ja schon den anderen Impfstoffen zugeordnet. Impfstatus anhand der Zähler- und Nennernummer.

    Aber da ich nicht als einziger betroffen war, hatte ich noch Hoffnung auf Besserung.

    Pech gehabt, nicht der Bug wurde behoben, sondern die Gesetzeslage. Ich brauche einen zweiten Booster, frühestens nach 3 Monaten. So lange also kein 2G plus.

    Nun wird mir erzählt, ich soll solidarisch sein. Aha.
    Und wenn dann irgendwann im März die 3/3 Spritze eingetragen wird, würde mich nicht wundern, wenn bis dahin 4/4 notwendig ist.

    Das muss diese tolle Eigenverantwortung sein.

    AntwortenLöschen
  4. Ich lag jetzt nach dem Boostern drei Tage solidarisch im Bett und bin auch heute noch kein Held. Bei der vierten Impfung lande ich dann vermutlich im Krankenhaus. Ich weiß noch nicht, ob ich so solidarisch sein will...

    Schlecker? Och nö... Hat für mich für immer ein negatives Gschmäckle.

    AntwortenLöschen
  5. ... Vestlandhalle — bis vor ein paar Jahren immer wieder gut für den Oldtimer-Markt — Coronabedingt verstorben. Und(!) unter anderem als Spielstätte des wunderbaren Films "Heartbreakers" bekannt. Regisseur Peter F. Bringmann, mit Sascha Disselkamp und Maria Ketikidou ... herrliches Ambiente — meine Lieblingszene — auf dem Speicher mit dem Röhrenradio als Verstärker ... aber ich schweife ab ...

    Gruß
    Jens

    AntwortenLöschen

Mit dem Absenden eines Kommentars stimmen Sie der Speicherung Ihrer Daten zu. Zu statistischen Zwecken und um Missbrauch zu verhindern, speichert diese Webseite Name, E-Mail, Kommentar sowie IP-Adresse und Timestamp des Kommentars. Der Kommentar lässt sich später jederzeit wieder löschen. Näheres dazu ist unter 'Datenschutzerklärung' nachzulesen. Darüber hinaus gelten die Datenschutzbestimmungen von Google LLC.