Mittwoch, 8. Februar 2023

Mind the gap!


Geschlecht ist eine Ursache für Lohnungleichheit. Das aber isoliert zu skandalisieren, wird das Problem nicht lösen.

Momentan wird wieder einmal viel über das Gender-Pay-Gap geredet. Immer noch skandalöse 18 Prozent weniger verdienten Frauen im Schnitt, heißt es. (Das bereinigte Gender-Pay-Gap, also jenes, aus dem Faktoren wie Teilzeitarbeit herausgerechnet sind, liegt seit vielen Jahren nur mehr im einstelligen Prozentbereich.) Erstaunlich ist, dass bei allen schlauen Analysen kaum je davon die Rede ist, dass nicht allein Geschlecht der große Graben ist, sondern auch, von welchem Wirtschaftssektor die Rede ist.

Meine Cousine Y. zum Beispiel arbeitet seit vielen Jahren als Industriekauffrau bei einem großen Unternehmen der chemischen Industrie und bekommt dafür nicht nur ein Gehalt, von dem ich nur träumen kann, sondern auch andere Privilegien. Betriebskindergarten, flexible Arbeitszeiten, Boni, Homeoffice, Sonderleistungen etc. Das bekommt sie aber nicht trotz der Tatsache, dass sie eine Frau ist, sondern vor allem deshalb, weil sie in einem Industriebetrieb arbeitet, in dem ein entsprechender Tarif gilt.

Auch Frauen im öffentlichen Dienst bekommen bei gleicher Tätigkeit und gleicher Stundenzahl dasselbe Geld wie ihre männlichen Kollegen. Dass so wenige DAX-Vorstände Frauen sind, kann man natürlich empörend finden, allerdings sind DAX-Vorstände eine so verschwindend geringe Zahl bezogen auf die Gesamtbevölkerung, dass sie statistisch kaum ins Gewicht fällt.

Der Punkt ist: In etlichen Berufen des primären und sekundären Sektors, also in der Rohstoffgewinnung und im verarbeitenden Gewerbe, vor allem in der Industrie, wo reale Wertschöpfung stattfindet, wird tendenziell, vor allem in unteren Lohn- und Gehaltsgruppen, nun einmal mehr bezahlt als in großen Teilen des tertiären Sektors, der alle Dienstleistungen umfasst (womit meine o.g. Cousine als Frau einer Minderheit angehört, denn ein Großteil der erwerbstätigen Frauen ist nicht im primären und sekundären Sektor beschäftigt).

Natürlich gilt das nicht durchgängig. Als Holzrücker oder im Steinbruch (primärer Sektor) wird man meist nicht reich, als jemand, der in Heimarbeit aus dem Holz Spielzeug drechselt oder als Pflasterer, der die gebrochenen Steine im Akkord verarbeitet (sekundärer Sektor), auch nicht so. Und natürlich kann man es als Börsenmakler oder Investmentbanker (tertiärer Sektor) zu Reichtum bringen, aber Börsenmakler und Investmentbanker machen jenseits von Finanzzentren normalerweise eben nur einen sehr kleinen Teil der Bevölkerung aus.

Und natürlich ist es billig, Frauen daher den heißen Tipp zu geben, sich doch einfach mal stärker für Industrieberufe oder Jobs auf Bohrinseln etc. zu interessieren. In traditionell männerdominierten Berufen herrschen oft Strukturen, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erschweren. Ein Vater, der in der Werkshalle an der Maschine steht, kann das Kind nicht einfach zur Arbeit mitbringen, wenn die Kita geschlossen ist, eine Mutter, die als Bürokauffrau arbeitet und einen entsprechend toleranten Arbeitgeber hat, schon eher.

Wo es ein Lohnungleichgewicht gibt zwischen den Wirtschaftssektoren, ist das nicht naturgegeben und hat auch nichts zu tun mit einer patriarchalen Verschwörung, sondern mit Kapitalismus. Vereinfacht gesagt, lässt Industrie sich meist deutlich wirksamer bestreiken als Dienstleistung. Streikt die Belegschaft einer Chemiefabrik oder eines Bergwerks und bringt die Produktion zum Erliegen, ist das ein Zahlenspiel. Der Kapitalist muss den Break Even Point berechnen, wie viel Ausfall durch Streiktage er sich leisten kann und wann es billiger ist, den Arbeitern entgegen zu kommen. Ein Einzelhändler kann sagen: Na dann streikt halt, irgendwann haben die Kunden die Nase voll und kommen nicht wieder und ihr sägt an dem Ast, auf dem ihr sitzt.

Hinzu kommt: Branchen wie Pflege, Rettungsdienst, Feuerwehr, Polizei, ärztliche Versorgung u.a. kann man nicht einfach ein paar Wochen auf Null herunterfahren, ohne dass Menschen dabei ums Leben kommen. Daher dauern Streiks des Pflegepersonals meist nicht lange.

Auch die Stimmung in der Bevölkerung kippt mitunter schnell und ist manipulierbar. Wir erinnern uns an diverse Medienkampagnen anlässlich von Lokführerstreiks. Da entdecken dann die härtesten neoliberalen Privatisierer plötzlich ihr soziales Gewissen und barmen von Bahnsteigen voller weinender, traumatisierter Kinder, die wegen der raffgierigen Lokführer an Weihnachten nicht zu Oma könnten. Da heißt es dann schnell, auch von Leuten, die qua Klasseninteresse eigentlich solidarisch sein müssten mit den Streikenden: Na ja, ich habe schon Verständnis dafür, aber irgendwann ist auch mal gut, ne?

Was das alles soll. Erstens: Ich will keineswegs behaupten, es gäbe kein Gender-Pay-Gap. Gibt es, keine Frage. Aber das ist bereinigt nicht so hoch wie immer noch jedes Jahr geschlagzeilt wird. Und das ist ein Problem, denn mit nachweislich falschen Zahlen zu argumentieren, macht letztlich unglaubwürdig, wie edel das Ziel auch immer sein mag. Zweitens: Geschlecht/Gender ist nur eine Ursache für ungleiche/ungerechte Bezahlung. Sich allein darauf zu kaprizieren, ist eine allzu grobe Vereinfachung und daher ebenfalls kontraproduktiv.







7 Kommentare :

  1. ... super hinbekommen Herr Rose.
    damit werden Sie nun von allen Grünen und Linken geschmäht werden — auch wenn die Analyse meines Erachtens korrekt ist. Aber das ist auch nur die Meinung eines alten weißen Mannes mit Gendrsprechproblemen.
    Aber nicht desto trotz — sich so elegant zwischen die Stühle zu setzen — das hat schon was.

    Gruß
    Ein Freund

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    1. Och, das mit den Stühlen habe ich schon öfter gemacht. Hab ich langsam Übung drin.

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  2. > Der Kapitalist muss den Break Even Point berechnen, wie viel Ausfall durch Streiktage er sich leisten kann und wann es billiger ist, den Arbeitern entgegen zu kommen. Ein Einzelhändler kann sagen: Na dann streikt halt, irgendwann haben die Kunden die Nase voll und kommen nicht wieder und ihr sägt an dem Ast, auf dem ihr sitzt.

    Den Unterschied zwischen Einzelhandel und Industrie habe ich jetzt nicht ganz verstanden: Der Einzelhändler ist doch auch Kapitalist und muss seinen ,,Break Even Point'' berechnen, denn auch er hat Kosten und durch Streik fallen seine Einnahmen weg. Vielleicht hat er wegen der Kosten-Einnahme-Situation (komisch formuliert, aber ich bin kein Kaufmann) einen längeren Atem als ein Fabrik- oder Minenbesitzer, aber das Prinzip ist doch das selbe, oder?

    Sonst sind Deine Argumente durchaus überzeugend. Man könnte natürlich noch fragen, warum Männer gerade eher in der Industrie arbeiten und Frauen in den Dienstleistungsberufen und damit wären wir wieder in der klassischen Gender-Pay-Gap-Patricharchats-Diskussion.

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  3. Siewurdengelesen9. Februar 2023 um 11:17

    Teil1

    Lässt sich das unter den Begriffen Emanzipation und Partizipation einsortieren?

    Die gerne vorwiegend auf den Vergleich Frauen/Männer beschränkten ungleichen Löhne sind seit jeher Teil kapitalistischer Profitmache, solange nur jemand gefunden wird, der denselben Mist für noch weniger Kohle macht. Das trifft auf eben Frauen und Männer zu, die derzeit unter der Phrase Fachkräftemangel so umworbenen Migranten oder nach wie vor zwischen Ost und West.

    Innerbetrieblich werden Lohnunterschiede durch Leih- und Zeitarbeit oder Werkverträge bewirkt. Ähnlich lang wie die Methoden sind die "Gründe", warum man nicht mehr zahlen kann oder besser will. Das Instrumentarium dafür wurde teils von Gewerkschaften selber mit geschaffen, um "Arbeitsplätze" zu retten. Der Effekt war dann meist, dass dieselbe Arbeit für weniger Lohn und gerne auch ausserhalb tarifvertraglicher Regeln gemacht wurde und am Ende doch der Verlust der Arbeit stand. Lohnverzicht hat bis auf Ausnahmen nie etwas gerettet. Das aktuellste Beispiel dafür ist das Gewese um Galeria-Kaufhof, welches zum Leidwesen der dort Beschäftigten nach der x-ten Zitterpartie enden wird wie das Schlecker-Imperium und andere Lohndrücker. Hauptsache dabei ist, dass sich noch ein paar Heuschrecken - äääh Investoren - vorher satt gemacht haben und am Ende Immobilien und Grundstücke in guten Lagen behalten.

    Das ist m.E. auch ein Grund, warum sich z.B. so auf die GDL und andere starke Gewerkschaften eingeschossen wurde. Diese hatten dank ihrer Spezialisierung Macht und Durchsetzungsvermögen und konnten daher die Spirale nach unten verlangsamen. Das gefällt natürlich keinem Unternehmen und daher hat sich ausgerechnet eine Nahles von der Umfallerpartei für dieses unsägliche TEG hergegeben, um Streiks und am Ende bessere Tarifverträge einzudämmen. Wäre ja schlimm, wenn das Schule macht und am Ende zumindest viele Arbeiter von so etwas profitieren!

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  4. Siewurdengelesen9. Februar 2023 um 11:33

    Teil 2

    Der von oben gepredigte Solidargedanke dabei ist genauso nur Phrase und Blendgranate, weil alleine die Gründe für das Solidarische dieses ad absurdum führen.

    Wenn die Bonzen und Unternehmen noch nicht einmal mit dem Allerwertesten an der Wand stehen, sondern nur um Profite fürchten, entdecken sie immer jemanden für die Tränendrüsen. Manchmal darf der Bürger dann vom Balkon klatschen, manchmal entdeckt man sein "Herz" für Bahn- und Flugreisende an Feiertagen usw. Irgendjemand ist immer betroffen und wird medial dafür ausgeschlachtet und das nur zu gerne von den grössten Hetzblättern aus dem Hause Springer und Co.

    Selbiges geschieht doch auch jetzt mit den Klimaaktivisten der "Letzten Generation", deren Proteste bereits im Vorfeld kriminalsiert werden - siehe das Unglück mit der Radfahrerin in Berlin auch noch sachlich falsch aufgeplustert wird, wo die "arme Studentin" ihre wichtige Prüfung verpasst uswusf. Bei den zig Unfällen auf Autobahnen oder anderen Vorfällen, wo Einsatzkräfte an ihrer Arbeit teils sogar mutwillig behindert und angegriffen werden, ist der mediale Mob dagegen still. Damit lässt sich ja auch kein Volkszorn anfachen.

    Besonders makaber wird es mit der Solidarität, wenn wie jetzt im Zuge des Ukrainekriegs teils völlig absurde und willkürliche Preissteigerungen stattfinden und die entsprechenden Unternehmen exorbitante Gewinne dadurch einfahren und gleichzeitig um Staatshilfen bitten, während "der Kleine" sehen kann, wo er mit seinen Rechnungen bleibt. Derselbe Staat, der diese Unternehmen pampert, faselt dann von Sparen und einige seiner Vertreter entblöden sich dann noch zu den ebenfalls medial verwursteten Aussagen von Waschlappen und dergleichen mehr - sic!

    Aber die Armen sind ja nur zu doof, ihre Ellbogen zu nutzen und sich nach oben zu fighten - also selber schuld und kein Mitleid oder Solidarität, dafür fleissig in deren Richtung getreten. Also auch da wieder nix mit problem- und wertfreiem Zugang zur gesellschaftlichen Teilhabe oder gar Einfluss auf Entscheidungen - ist halt Kapitalismus, der nun einmal über die Prinzipien der Unfreiheit und Ungleichheit nur funktionieren kann - Hauptsache "freie" Fahrt für "freie" Bürger und irgendeine arme Sau unter einem, die man dissen kann und an irgendetwas schuld ist im Grossen wie im Kleinen...

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    1. Und wer wissen möchte, wer die Hauptlast der Inflation trägt (und sich das nicht eh schon denken konnte), empfehle ich die neueste Folge 'Wohlstand für alle' über die Probleme am Wohnungsmarkt.

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  5. "Aber die Armen sind ja nur zu doof, ihre Ellbogen zu nutzen und sich nach oben zu fighten"
    … oder zu anständig im kantschen Sinne (kategorischer Imperativ).
    Gruß
    Jens

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