Samstag, 24. Juni 2023

Jenseits der Blogroll - 06/2023

 
Die Links und Fundstücke des Monats. Thema Nummer eins war ja der Höhenflug der AfD. Oder wie es Jürgen Schneider ausdrückte, derjenige der "mit allerlei Fahnenfirlefanz und empathischen Minderleistungen unterhalb des sozialen Gefrierbrandes agierenden rechtspopulistischen Evolutionsverweigerer, die sich offenbar in einer Art von selbstauferlegtem Wissenszölibat für ein Leben in kollektiver intellektueller Askese entschieden haben". Nichts geben wird es zum Ukraine-Krieg, weil die Situation im Moment zu unübersichtlich und fluide ist, um sich da auf irgendwas festzulegen. Allenfalls zeigt sich, was schon die alten Römer wussten: Lasse nie zu, dass einzelne so reich werden, dass sie eigene Armeen unterhalten können. Die nächsten Tage jedenfalls könnten spannend werden.

Politik. Krisen und Kontrollverluste sind sie wirkungsvollsten Treiber für den Aufstieg der AfD, meint Wilhelm Heitmeyer im Interview.

"Den autoritären Nationalradikalismus kennzeichnen drei nachweisbare Merkmale: Das Autoritäre besteht darin, ein verändertes Ordnungsmodell anzustreben, mit traditionellen Lebensweisen, klaren Hierarchien und dichotomischen Gesellschaftsbildern wie »Wir gegen Die«, »Innen gegen Außen«, oder »Eigenes gegen Fremdes« positionieren. Beim Nationalistischen geht es um Überlegenheitsansprüche deutscher Kultur, eine veränderte Geschichtsschreibung und Deutsch-Sein als zentralen Identitätsanker. Das Radikale besteht in einem rabiaten und emotionalisierten Mobilisierungsstil. Dieser Politiktypus ist auch anschlussfähig an eine weitverbreitete rohe Bürgerlichkeit. [...] Rohe Bürgerlichkeit meint eine verachtende Haltung gegenüber Schwächeren mit einer Ideologie, die bestimmte Gruppen von Menschen als ungleichwertig begreift, und sich hinter einer glatten äußeren Fassade verbirgt." (Heitmeyer, a.a.O.)


In einem anderen Interview warnt Heitmeyer vor dem seiner Ansicht nach verharmlosenden Begriff 'Protestwähler'.

Ein Thread von Markus Pohle zum Thema.

Vielleicht kann man auch sagen, die Zugewinne der AfD sind zum Teil die Verluste der CDU. Die vollzog 1982 den Schulterschluss mit der neoliberal gewendeten FDP. Das Problem ist aber, dass der Neoliberalismus exakt das hinwegfegt, für das die CDU mal stand: Traditionen und gewachsene Strukturen. Das konnte bis 1989/91 noch ausgeglichen werden durch Antikommunismus als kleinsten gemeinsamen Nenner und bis in die Neunziger durch in bürgerlichen Milieus noch weitgehend intakte kirchliche Bindung. Auch davon ist kaum was übrig und die von der "kompletten Zerdepperung bedrohte Union" (Schneider) steht weitgehend entkernt da.

Politologe Thomas Biebricher über Konservatismus.

Alles, was es über den verstorbenen Silvio Berlusconi zu wissen gibt, fasste Wiglaf Droste schon 2003 zusammen. Und fand für ihn die treffende Bezeichnung "Ölpfütze von Mann".

Chris über die FDP. Auch die soll hier nicht vergessen werden.



Kultur/Gesellschaft/Gedöns. Martin Zips mit einem Portrait der kongenialen 'Asterix'-Übersetzerin Gudrun Penndorf.

Fronleichnam ist sicherlich der der am schwersten vermittelbare katholische Feiertag. Weihnachten: Jesus geboren, check. Ostern: auferstanden, check. Pfingsten: Ähhh, egal. Himmelfahrt: steht im Namen, check. Fronleichnam: Öhhhh. Mirijam Günther erinnert sich an die Fronleichnamstage ihrer Kindheit und daran, dass das für die Landbevölkerung eine ganz andere Bedeutung hatte.

Negativität bringt uns der Wahrheit näher, meint Juliane Marie Schreiber.

Musik. Volle 155 Minuten über Gustav Mahler. Wer sich's geben mag.

Letztens mal wieder in den Player gelegt: Das Debutalbum von Arena. Die waren immer ambitioniert, reichten jedoch nie an Koryphäen wie etwa Marillion heran, erst recht nicht an Yes oder Van der Graaf Generator. Aber weil solche Musik so rar war in den Neunzigern, habe ich das damals rauf- und runtergehört.


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Sport. Interview mit Heinrich Theodor Grütter, Direktor des RuhrMuseums Essen, über Schalke 04 und Fußball im Revier.

Essen/Trinken/gut leben. Mark-Stefan Tietze über den deutschen Spargelkult. Spargel ist Geschmackssache, klar. Auch ich bekam heuer welchen vorgesetzt, den sogar ich außergewöhnlich gut fand. Ich werde aber wohl nie verstehen, wieso dieselben Conaisseure, die vom feinen, delikaten Aroma der glipschigen Prengel schwärmen, selbige dann mit eiterähnlichem, aus Wasser, Öl, Aromen, Verdickungsmitteln und Emulgatoren zusammengerührten und als 'Sauce Hollandaise' feilgebotenem Matsch aus dem Tetrapack verkleistern. Wer sich an Hollandaise nicht herantraut, kann auf Bozner Sauce oder einfach auf zerlassene Butter zurückgreifen. Das ist doch kein Hexenwerk, Herrgott! Man würde ein Kobe-Steak schließlich auch nicht mit Sempf* essen.

"Anspruchsvollen Feinschmeckern geht Spargel mit seiner populistischen Popularität schon seit Jahren gehörig auf den Geschmacksnerv. [...] Doch als umstrittenes Luxusgemüse fürs kulinarische Feuilleton ist Spargel jetzt ebenfalls auf dem absteigenden Ast. Dafür ist nicht allein Überdruss verantwortlich. Steigende Preise und sinkende Kaufkraft, in Tateinheit mit Krieg, Inflation und Klimakatastrophe, versetzen der labbrigen Stange in dieser Saison eventuell den Todesstoß. [...] Das Stangengemüse wird in den nächsten Jahren absteigen in die Lachs-Liga. Als hochbelastetes, ökologisch unverantwortliches Massenprodukt für Kantinen und Imbissbuden, das von seinem Nimbus als ehemalige Delikatesse zehrt."  (Tietze, a.a.O.)


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Und jetzt alle zusammen im Chor: 

Es gibt weder Beweise dafür, dass Mononatriumglutamat gesundheitsschädlich ist noch welche für das China Restaurant Syndrome.

"Heißt das, wir sollen uns jetzt alle mit dem ekligen Giftzeug vollstopfen, oder was?"
"Nein, es bedeutet nur, dass man halt keine Panik davor haben muss. Wenn das für dich dasselbe ist, kann ich auch nicht mehr helfen."
"Ja, aberaberaber die Freundin einer Kollegin, die jemanden kennt, der mal was gehört hat, war letztens beim Chinesen essen und danach war ihr total schwindlig und sie hatte nässenden Ausschlag am ganzen Körper."
"Ja, ist gut, du hast recht und ich habe meine Ruhe."


Das Rezept. Letztens stand ich vor dem Problem, gebeten gewesen zu sein, zu einem entsprechenden Anlass 'Fingerfood' mitzubringen. Nach einigem Hin- und Herüberlegen -- es sollte kein Fertigkram sein (ich habe schließlich einen Ruf als Hobbykoch zu verlieren), aber auch nichts rasend Originelles und/oder Aufwändiges -- kam mir in den Sinn, dass ich vor Jahren mal Thunfischfrikadellen gemacht habe und recht angetan ward. Und siehe da, es fand sich ein Rezept, dass dem in meiner Erinnerung ungefähr entsprach. Ich habe mir -- Morbus Chefkoch -- noch erlaubt, Knoblauch hinzuzugeben. Weil kochen ohne Knoblauch halt keinen Sinn ergibt. (Ferner empfehle ich, den abgetropften Thunfisch gründlich mit einer Gabel zu zerfutzeln.) Ein Joghurtdip und etwas Mojo Picón dazu und fertig war der Lack. Die Dinger haben nicht nur den Vorteil, schnell gemacht und auch an heißen Sommertagen mehr als essbar zu sein, sondern auch den, dass man die Zutaten gut vorrätig haben kann. 



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* Nein, kein Schreibfehler. 'Sempf' ist etwas anderes als Senf. Der ist eine Delikatesse. Moutarde de Dijon von Edmond Fallot. Guido Breuers Monschauer. Händelmaiers Süßer (der einzig Wahre zu Weißwurst und Leberkäs). Colman's Mustard. Düsseldorfer ABB-Senf. Bautz'ner. Kremser. Die mittelscharfe, säuerliche, oft gefärbte Spachtelmasse hingegen, die tonnenweise aus Eimern auf Würste, Frikadellen und anderes geklatscht und aus Gewohntheit mitgegessen wird, ist eine Nummer für sich. Sempf eben.





1 Kommentar :

  1. Der Schneider-Text ist unfassbar gut. Vier Jahre alt und ich lese ihn heute zum ersten Mal.

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