Montag, 19. Juni 2023

Zum Zweiten


Auf die Gefahr hin, wieder tüchtig auf die Mappe zu kriegen, soll hier noch einmal von Rammstein/Lindemann die Rede sein. Es beruhigt ein wenig, nicht der einzige zu sein, dem auffällt, dass an der ganzen Berichterstattung etwas seltsam ist. Und bevor das hier wieder losgeht: Sollte es tatsächlich zu sexueller Gewalt/Nötigung bzw. zu sexuellem Missbrauch gekommen sein, egal, in wie vielen oder auch wenigen Fällen, dann gäbe es da nichts zu relativieren. Lindemann und seinen eventuellen Mittäter*innen möge man das nachweisen und sie zur Verantwortung ziehen. Keine zwei Meinungen.

(Traurig übrigens, dass man eigens darauf hinweisen muss.)

Allein, ich glaube, da wird nicht viel passieren. Wird höchstwahrscheinlich ausgehen wie das sprichwörtliche Hornberger Schießen. Ist nicht so, dass ich mir das wünsche. Aber es spricht, wie ich finde, einiges dafür.

Was ist bislang an Fassbarem vorhanden? Das:

  • Das Video der Influencerin Kayla Shyx, in dem sie ihre Erfahrungen auf einer Aftershow-Party schildert.
  • Die Anekdote, es sei vor über zehn Jahren bei einem Musikfestival im kanadischen Quebec seitens der Band der Versuch unternommen worden, junge Frauen für eine Aftershow-Party zu rekrutieren, was aber seitens der Festivalleitung unterbunden worden sei.

Das war es eigentlich.

Dann noch: Ein Video von Rezo, in dem er die ganze Sache noch einmal zusammenfasst und davon redet, etlichen Medien lägen etliche Aussagen von Frauen vor, die ähnliches erlebt hätten (worauf aber nicht näher eingegangen wird).

Es ist wichtig, dass es hier keinesfalls darum gehen soll, die Aussagen von Shelby Lynn, Kayla Shyx und eventuellen anderen zu entwerten oder grundsätzlich anzuzweifeln. Die sind in der Welt, die sind wie sie sind und entsprechend Qualifizierte haben das zu bewerten.

Auch soll es nicht gehen um die hirnrissigen Debattenversuche um Lindemanns lyrische Verrenkungen. Diese Zuschreibungen Marke: "Wer so was Krankes schreibt, der muss doch bestimmt auch...", sind nichts weiter als vormodernes, unaufgeklärtes Maulzerreißen und eine einzige Beleidigung der Intelligenz. Erst recht gruselt es mich, wenn Leutchen mal eben apodiktisch verfügen: "Das ist keine Literatur, die es braucht!". Bücherverbrennungen sind mir zuwider, egal ob von Nazis oder von welchen, die sich als Opfer aufspielen.

***

Worum es vor allem gehen soll: Um den Umgang der Medien mit der Sache.

Tritt man nämlich ein, zwei Schritte zurück und versucht, ein Gesamtbild zu bekommen, springen zwei Dinge zunehmend ins Auge: Erstens kursieren in den Medien seit Wochen lediglich die drei genannten Aussagen, die andauernd aufs Neue durch die Gebetsmühle gedreht werden. In den Headlines wird angekündigt: Es wird immer schlimmer! Jeden Tag kommen neue Vorwürfe ans Licht! Dutzende, ja Hunderte junge Frauen melden sich! Immer mehr Opfer! Liest man dann, neugierig geworden, weiter, so erfährt man: nichts Neues. Shelby Lynn, Kayla Shyx, Kanadisches Musikfestival. Und der Verweis auf angeblich zig Frauen, die von ähnlich unguten Erfahrungen berichten.

Man verstehe mich nicht falsch, ich will auch das nicht grundsätzlich anzweifeln, erst recht keine Namen wissen oder so. Selbstverständlich ist die Identität der Opfer bzw. der Informant*innen zu schützen. Aber dass man nirgends irgendetwas anderes liest -- seltsam. Man könnte glatt auf den Gedanken kommen: Da ist nicht viel mehr.

Zweitens ist da noch das Ausland. Rammstein ist weltweit eine sehr erfolgreiche Rockband mit einer riesigen Fangemeinde auf allen Kontinenten. Darunter auch in Gegenden, in denen es mitunter sittenstrenger zugeht als in Europa und in denen die Medien vielleicht noch geiler auf Sexskandale sind (zumal MeToo ein globales Phänomen ist). Beim durchaus als linksliberal und pro MeToo zu verortenden, zudem mit einem Deutschland-Korrespondenten ausgestatteten Guardian etwa finden sich gerade einmal zwei knappe Meldungen (1, 2), ohne dass das weiter ausgeführt wird. Noch einmal: Ich will nichts relativieren oder so, aber kommt das nur mir irgendwie komisch vor?

Überhaupt fällt das Geraune auf, das sich immer mehr häuft. Da ist der Youtuber Alexander Prinz alias 'Der dunkle Parabelritter', der sich aber letztlich auch nur in Andeutungen ergeht: Er verweist auf seine Szenekenntnis (die ihm gewiss nicht abzusprechen ist) und ansonsten nebulös darauf, wie viel Macht Rammstein in der Musikszene hätten. Auch das mag so sein, aber ohne weitere handfeste Informationen bleibt das nun einmal: Geraune. Trägt nicht zur Aufklärung bei, sondern allenfalls dazu, eine bestimmte Stimmung am Kochen zu halten.

Inzwischen will man vom Architekten der 'Rammstein'-Bühne wissen, ob er vielleicht einen geheimen unterirdischen Raum eingebaut habe. Ich will auch hier im Zweifel nichts verharmlosen oder gar ins Lächerliche ziehen, würde aber darauf hinweisen, dass es auch heute noch genügend Leute gibt, die felsenfest überzeugt sind, Hillary Clinton habe etwas mit einem geheimen Kinderpornoring unter einer Washingtoner Pizzeria zu tun.

Und ist es nicht auch seltsam, dass der Verlag Kiepenheuer und Witsch, der bis vor kurzem Lindemanns Lyrikbändchen verlegte, eigens darauf hinwies, wie heilig ihm die Trennung von lyrischem/literarischem Ich und Autoren-Ich sei, Lindemann diese aber, so wörtlich, "verhöhnt" habe. Andererseits hat man dort kein Problem, sich mit Benjamin von Stuckrad-Barres halbfiktionalem Kolportageroman 'Noch wach?', der genau mit der Frage spielt, wie viel da Fiktion ist und wie viel nicht, goldene Nasen zu verdienen.

Zumindest in Bezug auf die mediale Begleitung keimt inzwischen der Verdacht, dass es vielerorts längst nicht mehr um Aufklärung geht, sondern nur noch darum, zu demonstrieren, auf der moralisch richtigen Seite zu stehen. Motto: Till Lindemann "ist beruflich und privat ein derart verkommenes Subjekt, dass es auf den Wahrheitsgehalt einzelner Behauptungen gar nicht mehr ankommt. Tenor: Egal, was wir schreiben und senden, es trifft schon den Richtigen." (Hoffmann)

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Woher kommt nun dieses eingangs erwähnte ungute Gefühl bei mir? Zunächst spricht einiges dafür, dass Erwartungen, die eventuell in eine juristische Aufarbeitung der Vorwürfe gesetzt werden, dazu verdammt sind, enttäuscht zu werden. Aufgabe der Justiz ist es, jeden einzelnen Fall zu prüfen und geltende Gesetze darauf anzuwenden. Tatsächliche oder gefühlte Missstände wie "gesellschaftlich vermittelte Misogynie" (Kracher) zu beseitigen hingegen oder Safe spaces zu schaffen, ist nicht Aufgabe der Justiz, sondern der Politik bzw. der Verwaltung.

Weiterhin habe ich mindestens einmal zu oft Pferde vor der Tränke kotzen sehen. Und mehr als einmal habe ich gesehen, wozu ein aufgehetzter Mob, der ein Ziel markiert hat und sich moralisch zu irgendwas berechtigt sieht, so imstande ist, und sei das Ansinnen noch so edel. Ich erinnere mich, wie verbissen wir in den Neunzigern an der Uni in Pädagogikseminaren stritten über die Wormser Prozesse oder, noch abstruser, den so genannten Montessori-Prozess (man lese das selbst nach, etwa hier, hier und hier). Da wurde sich, maßgeblich befeuert von Laienorganisationen wie 'Zartbitter', in immer aberwitzigere Missbrauchsszenarien hineingesteigert. Auch da hieß es: Glaubt den Opfern! Wie kannst du es wagen, zu zweifeln? Du missbrauchst die armen Kinder aufs Neue!

Am Ende stellte sich heraus: Nichts dran. Luft raus. Aber Existenzen waren zerstört, Familien zerrissen, die Justiz war blamiert und die Kinder durch die jahrelangen Prozesse zutiefst verstört. Das Positive: Die Sensibilität für Kindesmissbrauch ist größer geworden. Und es reifte andererseits die Erkenntnis, dass es sinnvoll ist, "nicht jeden Mann mit Schokolade am Kinderspielplatz zum Sexverbrecher hochzufiebern." (Küppersbusch). Ferner die, dass "Glaubt den Opfern!" nicht bedeutet: "Opfer (resp. deren Fürsprecher*innen) haben immer recht!".

Tut mir leid, aber auch Opfer können lügen, täuschen, manipulieren oder haben eventuell verzerrte Wahrnehmungen/Erinnerungen (ohne deswegen übrigens zwingend 'niedere' Absichten oder Motive wie Geltungssucht/Eitelkeit o.ä. zu haben). Wenn Opfer resp. deren Fürsprecher*innen grundsätzlich immer die Wahrheit sagten, bräuchte es keine psychologischen Gutachten bei Gericht. Zum Glück gibt es die. Man frage die Herren Kachelmann, Türck und andere.

***

Es passiert übrigens sehr leicht, auf dem Dampfer namens 'Schuldig bei Verdacht' anzuheuern. Es genügt, wenn einem einer unsympathisch ist und man den Typen unbedingt im Loch sehen will. Gekreuzigt. Ecce homo! Mir ist das dereinst im Falle Julian Reichelts so gegangen. Wenn ich das zugrunde lege, was über ihn verbreitet wurde, dann ist der Mann ein Unsympath wie er im Buche steht: Ein dominanter Breitreifenmensch, der seine Machtposition zum seriellen Frauenflachlegen missbrauchte, wie es aussah.

Dann stellte sich raus: An den Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs war wohl nichts dran, die Initiative war zumindest beiderseitig. Auch hier die Medien so: "Da behauptet irgendjemand was Böses über Julian Reichelt. Den kann ich eh nicht leiden, also übernehmen wir das ungeprüft. Haltung ist so viel wichtiger als objektive, gründliche Recherche!" (Hoffmann, a.a.O.)

Natürlich macht das ihn weder sympathischer noch macht das sein sonstiges Gebaren und erst recht seine mediale Arbeit irgendwie weniger problematisch. Und selbstverständlich würde ein Till Lindemann durch einen Freispruch aus Mangel an Beweisen nicht zum Unschuldsengel.

***

Disclaimer: Der Verfasser ist nach wie vor kein Fan der Band Rammstein, besitzt aber 2 CDs ('Sehnsucht' und 'Live aus Berlin'), wird diese auch behalten, plant aber keine weiteren zu kaufen. Till Lindemann interessiert ihn als Mensch und Künstler nicht weiter. Auch eine eventuelle Auflösung der Band würde seine Welt nicht ärmer machen.









8 Kommentare :

  1. Spricht sich der ach so mitfühlende DaMax hier für eine Bevölkerungskontrolle ein? Mit Strafen?
    Und was ist mit den Problemen der Überalterung einer Gesellschaft?
    Es ist dann nicht mehr weit zu Zwangssterilisationen, Zwangsabtreibungen und Zwangsverhütung.
    http://blog.todamax.net/2023/fragen-die-sich-mir-stellen-159/

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  2. "Bevölkerungskontrolle ein? Mit Strafen?"
    Was für ein Schwachmat — nix zum Thema aber die Klappe aufreissen auweia ...
    Kurz und gut zum Thema Groupies:
    Vor Rammstein gabs seit ca. Rock n Roll Groupies. Unwidersprochen. Seit Rammstein gibts das Gleiche als perfide, geplante austarierte, Zuführung für Blowjobs.
    wenn man sich da Gesicht der Koberin ( nix anderes ist sie) anschaut: symphatisch, nett, harmlos. da geht der geneigte Fan doch gerne mit. Bei einer normalen Security-Hackfresse würde das nicht funktionieren.
    Diese Masche ist eine extreme Verfeinerung. Kapitalismus pur. Der Protagonist müsste für die gleiche Leistung auf dem freien Markt mehr bezahlen. Das Koberer-Symphatiegesicht ist "all-in" preiswerter.

    Gruß
    Jens

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  3. Die drei Frauen, die der SPIEGEL für seine Titelstory ausgegraben hat, geben auch nichts Gerichtsverwertbares zu Protokoll. Immerhin sind zwei Anzeigen eingegangen, so dass die Staatsanwaltschaft Berlin jetzt ermittelt. Allerdings sind sie von "unbeteiligten Dritten", wie es in den Nachrichtenagenturen vermeldet wird, d.h. sie sind weder Opfer noch Augenzeuge. Jetzt wird es spannend. Wie viele der vielen hundert Frauen, die vergewaltigt worden sind, melden sich in der nächsten Polizeidienststelle, um ihre Aussage zu Protokoll zu geben?

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  4. Gestern Frau Lohaus bei "Hart aber fair" zum Thema: „Ich bin sonst eher vorsichtig, aber was mich noch mal sehr überzeugt hat, war die unfassbar intensive mediale Berichterstattung.“ Tja.

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    1. Ausgerechnet den Tiefpunkt der medialen Berichterstattung zu diesem Thema zu zitieren ist.... speziell.

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  5. Nochmals OT (ich halte mich ja nur an die obigeLinkliste :)
    Der Maschinist rechnet messerscharf mit dem linksautonomen Milieu ab:
    "Die größte Illusion meines Lebens habe ich mir darüber gemacht, dass ich dachte, dass sich dort in diesen subversiven autonomen Nischen die besseren Menschen versammeln [...] Stattdessen habe ich dort immer zuverlässig ungleich mehr Niedertracht als im Rest der Gesellschaft vorgefunden, mehr Übergriffigkeit, mehr Mobbing, Intrigen, Ausgrenzung, Dreckwürfe, Tribunale, persönliche Vernichtungsfeldzüge [...] Das dort sind nicht die besseren Menschen, sie tragen ihre Idee des besseren Menschen nur wie eine Monstranz vor sich her, hinter der sie sich nach Gusto danebenbenehmen können, weil hey, immerhin wollen sie ja alle das heilige Ziel..."
    Grandios. Genau das hatte ich immer am alten Klein-Bloggersdorf, deren linksautonomen Kommentatoren und anderen Pantoffelhelden verachtet.

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    1. DasKleineTeilchen21. Juni 2023 um 22:01

      yep, mit niedertracht kennste dich aus, wa? seit über ner dekade lässt du keine gelegenheit aus, jeden wissen zu lassen, wie sehr du das "linksautonome kleinbloggersdorf" "verachtest". you just cant help yourself, can you?

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  6. ... "you just cant help yourself, can you?" ... ich denke mal, A. H. ist eine Person, welche aus jeder Dorfkneipe binnen 20 Minuten rausgeschmissen würde (wurde). ich werde seine Beträge nicht mehr kommentieren. Ein kaputter Typ Troll halt.

    Gruß
    Jens

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