Mittwoch, 17. April 2024

Django in Duisburg

 
Nach wie vor ist der von Götz George gespielte Kommissar Horst Schimanski der bei weitem beliebteste 'Tatort'-Ermittler. Ungefähr während meiner Adoleszenz, von 1981 bis 1992, ging er in Duisburg auf Verbrecherjagd. Wir fieberten damals immer jeder neuen Folge entgegen und am Montag auf dem Schulhof wurde das Gesehene gründlich aufgearbeitet. In der wohlgeordneten Beamtenwelt des 'Tatort' gab es plötzlich einen klassischen Hard Boiled Detective. Gebrochener Typ mit kaputtem Privatleben, einst selbst auf dem Weg in eine Verbrechenerkarriere, der ein Problem mit Autoritäten und Dienstvorschriften hatte, soff und andauernd "Scheiße!" sagte. Was sich nicht gehörte. Das hatte es in einer deutschen Produktion so noch nicht gegeben. Ein echter Tabubruch.

Großes Kino schon die Eingangsszene der allerersten Folge 'Duisburg-Ruhrort': Der verkaterte Bulle stakst in Unterwäsche durch die komplett vollgemüllte Küche seiner vollgemüllten Wohnung auf der Suche nach was Essbarem zum Frühstück. Schließlich schlägt er sich der Einfachheit halber zwei rohe Eier in ein Glas, kippt sie runter und guckt durch das Fenster auf die rauchenden Schlote von Thyssen. Im Hintergrund läuft 'Leader Of The Pack' von The Shangri-Las. Schön, wie Schimanski dann eine abgerockte Straße heruntergeht, wo ein alter Mann sein Fernsehgerät aus dem Fenster schmeißt mit den Worten "Taugt sowieso nichts, die Scheiße!". Und Schimanski so: "Hotte, du Idiot! Hör auf mit der Scheiße!" Cooler war (west-) deutsches Fernsehen selten. Und der Ruhrpott auch nicht. New Hollywood war im Revier angekommen.


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Ich erinnere mich noch, wie ich einmal sogar ein kleines bisschen verliebt war in die Schauspielerin Marita Marschall. Also nicht wirklich verknallt, mehr so eine kleine Schwärmerei. Sie hat in der Folge 'Blutspur' (1989) eine junge Frau namens Ela gespielt, die auf die schiefe Bahn und in Schwierigkeiten geraten war. Schimmi machte das, was er außer Geständnissen aus miesen Typen herausprügeln und versonnen auf rostige Stahlwerke blicken am besten konnte: Die Damsel in distress mit viel Körpereinsatz aus den Fängen des Bösen (hier in Gestalt eines von Rolf Zacher karikierten Zuhälters) zu befreien und sie dann in seine muskulösen Arme zu schließen ("Mensch Mädel, du, mach doch keine Scheiße, du, guck mal, du, das sind alles ganz miese Loddels, du, kannzedonnichmachen, du..."). Hach!

Letztens hat der WDR alle 'Schimanski'-Tatorte in HD wiederholt, und so bot sich per Mediathek die Gelegenheit, diese Ikonen meiner Jugendzeit noch einmal querzuschauen. Was soll ich sagen? Nun ja. Sagen wir so: Man sollte das Altern lieber Profis überlassen. Rotweinen und Riesenschildkröten etwa. Die bis heute andauernde kultische Beliebtheit des TV-Kommissars mit der ausgebeulten Feldjacke lässt sich aus vierzig Jahren Entfernung eigentlich nur mit Nostalgie erklären.

Ich will nicht unfair sein, denn ich habe nicht jede einzelne Folge gesehen. Auch waren einige durchaus gute dabei, 'Kinderlieb' (1991), und 'Der Tausch' (1986) zum Beispiel. Auch die Folge 'Schwarzes Wochenende' (1986), bei der Dominik Graf Regie geführt hat, ist sehenswert. Überhaupt ist zu merken, dass die Bücher durchdacht sind, dass vor allem Hajo Gies immer auch Kino im Sinn hatte. Aber sonst? Das Erzähltempo ist, höflich ausgedrückt, meist eher bedächtig, die Dialoge oft genug hölzern. Die erwähnte erste Folge hält nicht das, was der großartige Beginn verspricht und das weitere Geschehen ist in etwa so spannend wie Farbe beim Trocknen zuzuschauen. Auch anderes befremdet inzwischen doch sehr.

Das bis zur unfreiwilligen Komik reichende Overacting in vielen Szenen etwa. Man sehe sich die französischen Polizisten in 'Zahn um Zahn' (1985) an oder Renate Krößner in 'Gebrochene Blüten' (1988). Die Bromance zwischen Schimanski und Kollege Thanner (Eberhard Feik), die man heute so nicht mehr inszenieren würde. Tiefpunkt: Das inzestuöse Rumgemache zwischen Schimanski und seiner Tochter (Claudia Messner), die sich 'Zabou' nennt, in der gleichnamigen, auf Kinoformat aufgeblasenen Jubiläumsfolge (1987).

Oder die Musik. Ab einem gewissen Punkt schafften es Songs, die in Schimanski-Tatorten gespielt wurden, zuverlässig in die Top Ten. Zu Beginn war das anderes gewesen, da griff man meist auf Nischenmusik zurück. Immer noch schön, wie Anja Jaenicke in 'Das Mädchen auf der Treppe' (1982) selbstvergessen zu 'White Eagle' von Tangerine Dream über eine Tanzfläche schwebt. Später, als Schimanski Kult war, rissen sich alle darum, Teil des Hypes zu sein. Und so erklang meist entweder was mit grell quäkenden Keyboards und synthetischen Trommeln oder irgendein gruseliger, von Dieter Bohlen produzierter Ballonseidenbuxenheuler. Worst of the Eighties. Immerhin gelang es, für die Duisburg-Rheinhausen-Folge 'Der Pott' (1989) Rio Reiser zu gewinnen. Von dem als Rocker sich tarnenden Sozialarbeiter Klaus Lage ('Faust auf Faust') schweigt der Chronist lieber.

Natürlich geht es bei alldem nicht darum, ob das Gezeigte 'realistisch' ist oder nicht. Es handelt sich um Fiktion und da ist das irrelevant. Es geht um Glaubwürdigkeit. Ein verbeamteter Kommissar, der ausnahmslos jeden männlichen Verdächtigen die Fresse poliert und auch sonst alles mit Gewalt löst? Der mit so ziemlich jeder Zeugin in die Kiste will? Würde nicht lange im Dienstverhältnis stehen. Aber damals ließen sich viele offensichtlich fesseln davon. Wie sich heute viele mitnehmen lassen von Serien, in denen ein Polizeirevier in einem Eifeler Dorf mit drei Vollzeitstellen besetzt ist oder in denen ein bayerischer Kleinstadtpolizist Jeans zur Uniform trägt und um sich ballert.

Irgendwann habe ich mich dennoch gefragt, was wir damals daran eigentlich so toll gefunden haben. In einem Nachruf auf den 2016 verstorbenen Götz George hieß es, er habe Zeit seines Lebens gegen seinen übermächtigen Vater angespielt, den Schauspielgiganten Heinrich George. George selbst sagte in einem Interview, Schimanski habe sich immer mit den Mächtigen angelegt. Der Django von Duisburg.

"[Wenn] Schimanski mit seinem Auto in eine Schaufensterscheibe raste, dann raste er auch immer ins System. [...] Alles ist politisch! Wenn du in Duisburg drehst, musst du politisch sein. Zumindest musstest du es früher sein, wenn die Bosse von ThyssenKrupp mit ihren dicken Wagen vorgefahren sind. Heute wird Reichtum ja nicht mehr so gezeigt, die Arroganz der Macht tritt nicht mehr so aggressiv zutage." (Götz George)

Vielleicht liegt hier ein Schlüssel zum Verständnis. Die Mächtigen, das waren im Westdeutschland der Achtziger noch sehr oft welche, die in der NS-Zeit ihre Karrieren begonnen hatten: Schimanski begehrte stellvertretend für uns auf gegen die Tätergeneration, gegen von Krieg und Diktatur deformierte Soldatenväter, und bekam oft genug selbst auf die Fresse. Jedes "Scheiße!" hatte da auch tiefere Bedeutung. Das mag weit hergeholt erscheinen, aber in seiner Rollenbiografie ist das sehr wohl angelegt. Schimanski konnte nur wegen einer positiven Vaterfigur Polizist werden: Kriminalrat Königsberg (Ulrich Matschoss), sein Vorgesetzter und Förderer, der ihn einst aus der Kleinkriminalität geholt und bei der Polizei untergebracht hat.

Heute sind die Feinde immer noch da, aber es sind andere, nicht mehr die von damals. Geherrscht, gekuscht und traumatisiert wird nach wie vor, aber subtiler, freundlicher, die Arroganz weggecoacht, aber nicht weg. Und deshalb so perfide. Ein Schimanski, der sich mit Silicon Valley-Granden oder Hedgefond-Managern anlegte, die ihren Reichtum, anders als die Stahlmagnaten von einst, aus körperlosem Nichts zu scheffeln scheinen, käme heute nicht mehr weit mit seiner rohen Körperlichkeit. Die heutigen Generationen wurden in der Regel anders sozialisiert. (Was meistens ein Glück ist.)

Daher wirken die Schimanski-Tatorte oft so aus der Zeit gefallen. Sie mögen großartige Zeitdokumente sein, sind aber nur in Ausnahmefällen zeitlos. Ich habe es nicht ausprobiert, halte es aber für sehr wahrscheinlich, dass aktuell Heranwachsende weit weniger hin und weg sind als wir es damals waren.

Eines hätte ich beinahe vergessen. Einer war immer cool: Der von Chiem van Houwenige verkörperte, tiefenentspannte Bilderbuchholländer Hans Scherpenzeel van Maaskant-Schoutens, der Einfachheit halber 'Hänschen' genannt. Eine Art Dauerleihgabe der niederländischen Kollegen. Vermutlich, um die krampfigen Deutschen mal etwas locker zu machen. Als Thanner ihn einmal fragt, wie die Niederländer eigentlich Weihnachten feiern, antwortet er lapidar: "An Heiligabend stellen sie einen Holzschuh vor die Windmühle, und morgens liegt ein Hering drin. Am ersten Feiertag versammelt sich die Familie an der Gracht um einen mit Tulpen geschmückten Edamer. Dann rauchen sie kiloweise Hasch aus langen weißen Tonpfeifen." Bingo!

Und jetzt wird Cannabis in Deutschland teillegalisiert. Wahrlich, die Zeiten, sie sind andere.







8 Kommentare :

  1. Ballonseidenbuxenheuler - das ist fein!

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  2. "An Heiligabend stellen sie einen Holzschuh vor die Windmühle, und morgens liegt ein Hering drin. Am ersten Feiertag versammelt sich die Familie an der Gracht um einen mit Tulpen geschmückten Edamer. Dann rauchen sie kiloweise Hasch aus langen weißen Tonpfeifen."
    .... herrlich! Bestes Kopfkino seit langem.

    Gruß
    Jens

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    1. .... man braucht kein Kopfkino; youtube reicht:
      https://youtu.be/WDYP55dIPoU?si=41FYcJTUd01U8I3q

      Die Antwort von Schimanski ist irgendwie noch die Verfeinerung des Ganzen.

      Gruß
      Jens

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  3. Jaaaa, diesen Schimanski-Alterungsmoment hatte ich vor ein paar Jahren auch schon mal. Es war halt gut so, wie es damals war und damit hat die Seele ihre Ruh'.

    Immerhin haben wir ja in Duisburg seit ein paar Jahren (nach recht unwürdigem Gewürge seitens der Stadtverwaltung) eine ,,Horst-Schimanski''-Gasse.

    Mein Lieblings-,,Schimmi'' war übrigens ,,Moltke'' mit Tana Schanzara in einer kleinen Nebenrolle: Sie sitzt in einer (wirklich üblen) Kaschemme mit ein paar Säufern am Tisch und zockt Mau-Mau.
    ,,Neeeee! Bube auf Bube geht nich'! Da krisse Eeeeeeeeds von!''

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  4. @Flusskiesel,
    "Es war halt gut so, wie es damals war"
    Vollkommen richtig. Ich denke, dass Sendungen aus den Siebzigern besser oder schlechter altern, je nachdem wie "gegen den Strich gebürstet" sie damals waren.
    Als Beispiele fällt mir außer den Schimanski Krimis noch die erste Tetzlaff-Staffel ein. Nicht zu vergessen "Kottan ermittelt".

    Fernsehen für die Leute, die damals in die Arthaus-Kinos rannten vermute ich halt.

    Gruß
    Jens

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  5. Ob Schimanski oder irgendein anderer Kommissar: die meisten Tatorte sind schlecht gealtert, was wenig Wunder nimmt: Die meisten TV-Drehbücher sind über Wochen und Monate zwischen Autor, Redaktion, Regie und Produktion mühsam ausgehandelte Kompromisse, aus denen dann am Drehort und am Schneidetisch dann das Beste gemacht wird. Wie soll sowas einigermaßen in Würde altern?

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  6. „Ballonseidenbuxenheuler“
    „als Rocker sich tarnende[r] Sozialarbeiter“
    Auf den Punkt.

    Die holländische Weihnachtstradition haben wir übrigens auf einer der damals™ üblichen Weihnachtsfeten mal nachgestellt; nur der Hering war aus Hygienegründen aus Plastik. Die Tonpfeife hatte ich noch lange in Gebrauch … das ist aber sogar im bairisch besetzten Oberfranken inzwischen verjährt.

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