Freitag, 5. April 2024

Pöhlen im Pott


Als Ulrich Borsdorf, damals Direktor des Essener Ruhrlandmuseums und Dozent an der dortigen Uni, Anfang der Neunziger vorschlug, die 1986 stillgelegte Zeche Zollverein (genauer gesagt, die Schachtanlagen 1/2/8 und XII) zum Industriedenkmal zu machen, archäologisch zu erschließen und das Ruhrlandmuseum von Rüttenscheid in die entsprechend umzubauende Kohlenwäsche von Schacht XII unterzubringen, waren die Reaktionen eher weniger euphorisch. Mehr so gemischt. Wie soll dattenn gehen? Spinnerei! Und überhaupt. Auch wir StudentInnen (so die damals korrekte Schreibung) hatten unsere Zweifel.

Zum Glück hatte Borsdorf ein Netzwerk aus einflussreichen Akteuren um sich, vor allem Karl Ganser (1937-2022), der seit 1989 Geschäftsführer der IBA Emscherpark war. Ganser hatte erfolgreiche Großprojekte wie die Renaturierung der Emscher, den Landschaftspark Duisburg-Nord, das Gasometer Oberhausen u.a.m. verantwortet. Heute sind die Areale von Zeche und Kokerei Zollverein UNESCO-Weltkulturerbe, die Einrichtungen werden vielfältig genutzt und man trifft dort Menschen von überall her, die die erschlossenen Räume bestaunen.

Vor gut einem Vierteljahrhundert habe ich ein halbes Jahr in der Ausstellung 'Sonne, Mond und Sterne' auf der Kokerei Zollverein gearbeitet. Wir waren eine großartige Truppe und hatten eine tolle Zeit zusammen. Die Ausstellung selbst war spektakulär. Weniger die Exponate denn die Präsentation in den Räumen der alten Mischanlage. Denke ich gern dran zurück. Seither habe ich immer mal wieder auf Zollverein vorbeigeschaut, um zu gucken, was sich alles verändert hat (eine Menge). Jetzt lockte die Sonderausstellung 'Mythos und Moderne. Fußball im Ruhrgebiet'.



Rolltreppauf.


So isset!


Eines geht übrigens gar nicht: Die Frikadellen in der Cafeteria neben der Info. Schrott aus dem Kühlregal für 3,50 Euro das Stück (nur per Karte zu bezahlen). Ich verstehe so was nicht. Warum kooperiert man da nicht mit einem ordentlichen Metzger oder Caterer aus der Nähe? Dann könnte man auch 4,50-5 Euro nehmen (ja, fünf Euronen für eine Bulette sind nicht wenig, aber ein großes Bier in der Kneipe ist auch nicht billiger), man hätte ein Alleinstellungsmerkmal und die Menschen würden noch lange davon reden. 

Falls Sie sich übrigens fragen, was dieses komische Geräusch ist: Das ist Kommissar Haferkamp, der in seinem Grab immer noch vor sich hin rotiert.

"Ein Steak braten, das kann wirklich jeder. Aber für eine Frikadelle braucht man Erfahrung! Eine Frikadelle darf außen nicht verkrustet sein und nicht zu hell. Schlechte Frikadellen sind matschig oder knochenhart, wenn man sie anfasst. Die meisten sind auch viel zu groß, sind weich und lappig wie ein Pfannkuchen. Sie müssen klein sein und fast rund, ein bisschen abgeflacht, außen kross und innen gerade durch!" (Heinz Haferkamp)
 
Dem Helmut Rahn sein Originaltrikot (l.).


Natürlich war mit dem Fußball bis in die Siebziger nicht so viel zu verdienen, dass man nach einer Profikarriere bis ans Ende ausgesorgt hatte. Auch die Chancen, als Trainer oder Sportdirektor unterzukommen, waren damals eher bescheiden. Viele, darunter auch Legenden wie Helmut Rahn und Reinhard 'Stan' Libuda, eröffneten daher nach ihrer aktiven Zeit Lottoannahmestellen, Trinkhallen oder Kneipen. So sie was an die Seite gelegt hatten.

Auch muss man aufräumen mit der Legende, zuvörderst die Schalker Spieler seien im Prinzip alle Malocher gewesen. Hätten sich direkt nach der Schicht auf dem Pütt den Kohlestaub runtergekratzt und seien dann zum Trainingsplatz. Viele Großunternehmen der Montanindustrie betrieben schon damals das, was man heute Social sponsoring nennt. Die Spieler hatten Pro forma-Arbeitsverträge, bezogen einen kleinen Lohn und wurden für Tranings teils freigestellt. Eine Tradition, die sich bis in die 1990er gehalten hat. In der Hauptkasse einer Essener Großbank war zeitweise die halbe Altherrenriege von Rot-Weiß Essen angestellt, weil der Direktor eine Schwäche für den Verein hatte.

Auch das 'Schalke-Problem' wurde gern diskret verschwiegen. Es ist Rudi Assauer zu verdanken, dass sich das irgendwann änderte.

"Die Fußballer Fritz Szepan und Ernst Kuzorra zählten zu den »Arisierungsgewinnlern«. Vereine verschafften ihren Spielern mit dem Fußball vereinbare Arbeitsplätze. Szepan kaufte sich wenige Tage vor dem Novemberprogrom 1938 als stiller Teilhaber in ein jüdisches Textilgeschäft am Schalker Markt ein. Als die Erben der ermordeten Vorbesitzer die Rückerstattung beantragten, kam es vor Gericht zu einem Vergleich. Erstattet wurde die Vermögensabgabe sowie 20 Prozent des Verkaufspreises. Akten dazu gibt es reichlich: Gewerbean- und -abmeldungen, IHK-Kartei, Einwohnermeldeamtskartei, Wiedergutmachungsakten. Hinzu kommen die Akten über die Sperrung von Szepans Vermögen durch die Alliierten [...]." (Karin Hockamp)

Die ersten Trikotsponsoren. Goldin war übrigens das Unternehmen des legendären Wanne-Eickeler Trickbetrügers Erhard Goldbach. Der ehemalige Kohlenhändler Goldbach hatte in den 1979ern ein bundesweites Netz von Billigtankstellen aufgebaut und unterhielt auf der Höhe seines Reichtums sogar ein eigenes Bordell in Rösrath, in dem hochrangige Gäste seiner Jagdgesellschaften bedient wurden. Seinen Heimatverein Westfalia Herne wollte er unbedingt in die Bundesliga hieven. 1979 kam man ihm auf die Schliche (es wurde sogar bei 'Aktenzeichen XY' nach ihm gefahndet), er wurde bei Bad Honnef im Rheinland gefasst und wegen Betruges verurteilt.


Moment mal, wo ist Frank Mill???

Das wohl hässlichste Trikot der Bochumer Vereinsgeschichte. Hier musste Darius Wosz den Fetzen tragen. Einem unbestätigten, von Frank Goosen in die Welt gesetzten Gerücht zufolge, sollen Kinder damals welchen, die sich mit den Dingern in die Öffentlichkeit trauten, hinterhergelaufen sein und "Lora! Lora!" gerufen haben. 


Das waren noch Zeiten! Marc Wilmots (S04, oben) kärchert Jürgen 'Fußballgott' Kohler (BVB, unten). Heuer müssen die Königsblauen aus Herne-West aufpassen, nicht in die dritte Liga zu rutschen.


Wieder treppauf. Ohne Roll.


Und raus zur Kokerei. Die Anlage ist gut 800 Meter lang und war bis 1993 in Betrieb. Gehört seit 2002 mit zum Weltkulturerbe und wird für dies und das genutzt.


Ehemaliges Kesselhaus, jetzt Red Dot Design Museum.


Fazit: Viel Bildmaterial (die Ausstellung wird ausdrücklich als Fotoausstellung bezeichnet), ansprechend präsentiert, für Fußballaffine definitiv interessant, das Drum und Dran tut ein Übriges. Der Eintrittspreis ist (noch) im Rahmen, wie ich finde. Wer noch nicht auf Zollverein war, kann sich ruhig den restlichen Tag für weitere Entdeckungstouren freihalten.


 
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Mythos und Moderne. Fußball im Ruhrgebiet
Ruhr Museum Essen
Gelsenkirchener Straße 181, 45309 Essen

Di-So 10:00 Uhr bis 18:00 Uhr
Eintritt: 10,00 €, erm. 7,00 €, Kinder u18, Schüler/Studis u25 frei.
(verlängert bis 20. Mai 2024)











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