Sonntag, 21. April 2024

Prioritäten und andere Heucheleien


Immer, wenn es heißt, etwas geschehe nur zum Schutz der Kinder, ist höchstwahrscheinlich Heuchelei im Spiel. In Bayern versucht die Verbotspartei CSU gerade, die teilweise Cannabis-Legalisierung zu torpedieren. Weil: Kinderschutz. Die Kinder! Denkt denn niemand an die Kinder??? Dieselben aber, die sich da so heldenhaft für den Schutz von Kindern vor einer ganz schlimmen Droge ins Zeug legen, propagieren den massenhaften Konsum von alkoholischen Getränken als großes Kulturgut. Und wenn exakt die Leute, die beim Thema Cannabis nur das Kindeswohl im Sinn haben, die Einführung einer Kindergrundsicherung verhindern, dann ist das Wohl der Kinder scheinbar doch nicht so wichtig. Man muss eben Prioritäten setzen.

Kinder gehen immer, wenn es gilt, anderen Schuldgefühle reinzudübeln. Das haben wir einst schon selbst als Kinder gelernt. "Und in Afrika verhungern die Kinder!", oder "Die Kinder in Afrika würden sich freuen!", so ertönte es einst moralinsauer an deutschen Esstischen, wenn man seinen Teller nicht leer essen mochte. Worauf wir reagierten mit: "Brot für die Welt -- aber die Wurst bleibt hier!"

Auch Komikrentner Dieter Hallervorden schob jetzt gemordete Kinder vor, um ein wenig Aufmerksamkeit abzugreifen. In dem von ihm vorgetragenen, gemeinsam mit Dieter Dehm verbrutzelten Gedicht 'Gaza Gaza' heißt es:

"Ein Mann drückt zerfetzte Fingerchen an seinen Bart beim Flüstern fest dran. Was haben denn die zarten Dingerchen den Herren Generälen getan?"

Das kann man natürlich jenseits von Kitschdiskussionen mit einigem Recht fragen. Wenn man dann im Hinblick auf die deutsche Politik aber fortfährt mit:

"Sie geloben Apartheid die Treue -- von Ampel bis AfD"

-- und damit fröhlich die Leier vom 'Apartheidsstaat' Israel weiterkurbelt, sich also im Gegensatz zur Vorrede, wo es verlogenerweise noch heißt, es ginge nur um Menschlichkeit, sehr wohl politisch klar positioniert, und das Ganze dann mit Propagandavideos unterlegt, dann sollte man sich nicht in die Pose der verfolgten Unschuld werfen, wenn man kritisiert wird. Vollends in den Honigkopf griff Hallervorden dann mit seiner Reaktion auf die Kritik, als er meinte, er könne unmöglich ein Antisemit sein, denn sein Großvater habe in der NS-Zeit schließlich eine Synagoge vor der Brandstifung bewahrt. Womit er offenbarte, dass die von ihm einst kreierte, durch die Serie 'Nonstop Nonsens' berühmt gewordene Figur des Didi Meisenkaiser eventuell doch mehr autobiographische Bezüge aufweist als zu seinen Gunsten angenommen.

Gewiss, man sollte das, was in Gaza geschieht, nicht ins Lächerliche ziehen. Wenn nur die, die da im Namen der Menschlichkeit von Gaza reden, von anderen Dingen nicht so dröhnend schweigen würden. Etwa von dem, was gerade im Sudan passiert:

"[Im] Flüchtlingslager Zamzam verhungern pro Stunde zwei Kinder. Hunderttausende Kinder werden, innerhalb des kommenden Jahres sterben. Nach Einschätzung der Vereinten Nationen, die ihre Hilfsoperationen wegen der unsicheren Lage einstellen musste, sind 18 Millionen Menschen vom Hungertod bedroht. [...] Das Massensterben [...] ist Folge eines Machtkampfs und eines Bürgerkriegs, vor allem aber Folge einer Politik der ethnischen Säuberung und des Einsatzes von Hunger als Waffe in der Provinz Darfur. [...]

Und wie reagiert die internationale Gemeinschaft? Die Weltöffentlichkeit? Gibt es Beschlüsse des Sicherheitsrats? Anklagen vor dem Weltgerichtshof? Jetten die Außenminister der USA und der EU hin und her, um ein Ende der Gewalt zu vermitteln? Richten die USA eine humanitäre Luftbrücke ein? Ist die Bundeswehr vor Ort, um die Lebensmittelverteilung zu schützen? Vor allem aber: Gibt es an westlichen Universitäten täglich Demonstrationen? Organisieren Intellektuelle Petitionen, bekunden ihre Betroffenheit und Empörung? Schreiben sich Leitartikler die Finger wund?

Nein? Und warum nicht? Weil die Täter arabischstämmige Generäle und ihre Milizen sind und die Opfer vor allem Schwarze. Das interessiert niemanden. Das ist nicht sexy. Das Gewissen internationaler und auch westlicher Politiker, Medien, Intellektueller und Jugendlicher steht nur auf, wenn Juden die Täter und Araber die Opfer sind. Das ist der Kern des so genannten Nahostkonflikts." (Alain Posener)


18 Millionen. Heilige Scheiße! Da muss ein Netanjahu lange für stricken.

Zynisch? Es liegt mir fern, Leid und Tod gegeneinander aufzurechnen. Aber würden alle wackeren Streiter für die vom Jud' gemeuchelten Palästinenserkinder in Gaza (jüdische Kindermörder anyone?) bitte damit aufhören, sich und anderen in die Tasche zu lügen, sie seien eigentlich unpolitisch, ganz allgemein gegen jedwede Gewalt und täten das allein um der Menschlichkeit willen? Danke. Könnten wir bitte auch damit aufhören, die aberwitzigen, von der Hamas zum Zwecke der Propaganda veröffentlichen Opferzahlen einfach zu übernehmen? (Zahlen, wohlgemerkt, die, kämen sie aus dem Westen, von denselben Leuten sofort penibelst überprüft und infrage gestellt würden.) Danke noch mal. Könnten wir bitte weiterhin damit aufhören, immer nur von Israel die Einhaltung von Kriegs- und Völkerrecht zu fordern, es aber offenbar völlig normal zu finden, dass die Hamas, die immerhin die demokratisch gewählte Regierung des Gazastreifens ist, sich einen Dreck um so was schert? Danke abermals.

Israel- und Judenhass ist, das haben die letzten Monate gezeigt, ein internationales Phänomen. Die antisemitische Internationale hat sich auf Deutschland eingeschossen, wo das Bekenntnis zu Israel immer noch vergleichsweise stark ist. Man unterstellt der deutschen Politik und Gesellschaft einen historisch bedingten 'Judenknax', den es nun aber bitte endlich mal zu überwinden gelte. In Deutschland selbst kommt noch ein weiteres Element hinzu: Schuldabwehr. Das tiefsitzende Bedürfnis, endlich Juden als Täter benennen zu dürfen. Schau sie an, die sauberen Unschuldslämmer, die anderen immer ein schlechtes Gewissen machen wollen, sie sind doch selbst nicht besser! Auch Linke machen eifrig mit und demonstrieren damit eindrucksvoll, dass sie im Zweifel keinen Deut besser sind als jeder Schlussstrichnazi.

Völlig gaga auch die absurden Gleichsetzungen der Geschehnisse in Gaza mit der Shoah. Abgesehen davon, dass die ermordeten Juden Europas im Gegensatz zu den Palästinensergebieten kein völkerrechtliches Subjekt waren, gibt es da noch einen kleinen, aber nicht unbedeutenden Unterschied: Würde die Hamas kapitulieren, die Waffen niederlegen und die Kampfhandlungen einstellen, wäre der Krieg zu Ende. Den Juden während des zweiten Weltkrieges hätte eine wie auch immer geartete Kapitulation überhaupt nichts gebracht, das Morden wäre einfach weitergegangen. Da ging es nämlich wirklich um Auslöschung, nicht darum, einen Krieg zu gewinnen.

"Vielleicht erkennt Nancy Fraser, dass ein gewisser Widerspruch darin besteht, sich für einen »akademischen und kulturellen Boykott« israelischer Institutionen einzusetzen -- und sich anschließend darüber zu beklagen, selbst boykottiert zu werden." (René Pfister)

BDS-Bratpfannen und andere Superchecker behaupten gern, lediglich die Politik des Staates Israel zu kritisieren, auf keinen Fall aber antisemitisch zu sein. Schön, wenn das so ist, warum habe ich aus dieser Ecke noch niemals gangbare, realistische Alternativen vernommen, die nicht auf eine Kapitulation Israels hinauslaufen oder auf  Hirngespinste, die dessen Existenz sehr schnell beenden würden? Fun fact: So ziemlich alle Bestrebungen für eine Zweistaatenlösung der letzten Jahrzehnte sind in der Regel daran gescheitert, dass die palästinensische Seite die Sache hat platzen lassen. Es sei denn, man findet das Existenzrecht Israels halt eher so minder wichtig. Prioritäten halt.







 

8 Kommentare :

  1. "Komikrentner Dieter Hallervorden" ...
    Man wird mit zunehmendem Alter halt etwas rührseliger.
    In Kombination mit dem Bewusstsein, als immer schon politisch engagierte Person, fest von sich überzeugt immer noch den Durchblick zu haben ... der Schuss geht dann nach hinten los, obwohl die Intention bestimmt von hehren Zielen geleitet war.

    Aber was sage ich, nehmen wir den Teil mit dem Alter heraus sehe ich Annalena vor mir ... groß und laut und ganz feste Überzeugt von sich —Amen.
    Mir gruselt es vor solchen Figuren!

    Gruß
    Jens

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    1. Ist wohl wirklich eine Altersfrage. Bis zu einem gewissen Alter und ab einem gewissen Alter wieder haben es etliche wohl einfach gern klar, eindeutig und schwarzweiß. Keine schönen Aussichten.

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    2. Hallo Herr Rose,
      wie so oft (wenn nicht gar immer) stimme ich aus tiefstem Herzen zu. Dieses unsägliche Marketing solcher Leute wie Hallervorden et al, ist unerträglich. Müssen in jedem Meinungswinkel ihre Duftmarke (oder Durft-Macke) hinterlassen. Ekelhaft. Ich wünschte Ihr Blog hätte mehr Reichweite. Danke.

      Gruß Florian

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    3. Vielen Dank, das freut mich sehr. Aber mehr Reichweite macht auch mehr Arbeit. Glaube ich.

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  2. Siewurdengelesen22. April 2024 um 20:27

    Der Text ist die lange Version dessen, was mir schon öfter aufgefallen ist. Sobald Israel=Juden als geistige Kurzstrecke im Spiel ist, wird nicht mehr abgewogen, sondern dann bricht sich der Antisemitismus seine Bahn. Denn dann kann endlich mal wieder über den Anker Israelkritik abgeledert werden.

    Das zieht sich leder teils auch völlig ohne Wertung bis in die ÖR und man mag schon froh darüber sein, wenn über die dabei verbreiteten Zahlen und Umstände wenigstens noch der Kommentar dabei steht, dass sie nicht auf ihren Tatsachengehalt geprüft werden können. Das ist aber dieses Gemunkel und Spintisieren im Vagen, was mich derzeit sehr aufstößt bei Meldungen auch zu diesem Thema. Wenn ich etwas nicht prüfen kann oder mir nicht sicher bin, dann halte ich entweder die Klappe oder setze den Umstand ein, aber ohne da als Medienvertreter irgendwelche Mutmaßungen dazu in den Beitrag zu basteln - basta! Alles Andere ist Spökenkiekerei und hat mit seriösem Journalismus nichts mehr zu tun. Klickt wahrscheinlich auch mehr, wenn die von Alain Posener beschriebenen Punkte enthalten sind...

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    1. Nun ja, es muss halt immer zeitnah Content created werden, da bleibt für so alte Zöpfe wie sorgfältige Prüfung und Transparenz keine Zeit.

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  3. "Aber mehr Reichweite macht auch mehr Arbeit."
    Keine Rose ohne Dorn,
    Keine Liebe ohne Zorn,
    Kein Begegnen ohne Scheiden,
    Keine Freude ohne Leiden –
    Aller Dinge tiefstes Wesen
    Mußt im Gegensatz du lesen.
    Ernst von Wildenbruch

    Gruß
    Jens

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  4. ja mei, eier Manna dös kennst selber saufa -frei nach KarlValentin

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