Dienstag, 5. November 2024

Vermischtes und Zeugs (XCV)


Für das Lindner-Papier, das angeblich gar nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war (Zwinkersmiley) gibt es nur eine sinnvolle Erklärung: Lindner steht mit dem Rücken zur Wand, macht einen auf Lambsdorff und will seinen Verein für eine Koalition mit einer auf neoliberal gedrehten CDU attraktiv machen. Wobei er vermutlich auch hofft, durch diesen Schritt genügend Stimmen zu bekommen für einen neuerlichen Einzug in den Bundestag. Die wären bitter nötig, denn die FDP liegt im Bund momentan satt unter der Fünf-Prozent-Hürde und mit Direktmandaten ist eher nicht zu rechnen. Und selbst wenn es in ein paar Monaten so gerade so reichen sollte, mit wem will er dann koalieren?

Nach momentanem Stand der Umfragen hätten CDU und SPD eine Mehrheit im Bundestag. Wieso sollte sich die Union also ohne Not die gelben Quertreiber in die Regierung holen, wenn sie auch handzahme Spezialdemokraten haben kann? Warum eine FDP, die jetzt zum zweiten Mal nach 2009-2013 demonstriert, dass sie auf seriöse Arbeit keinen Bock hat und sich andauernd über das Chaos beklagt, das sie selbst anzettelt? Warum überhaupt in eine Dreierkoalition eintreten, wenn man nicht unbedingt muss? Zumal eine 'kleine Groko' gar nicht so unwahrscheinlich wäre, seitdem mit Kevin Kühnert der prominenteste und populärste Vertreter des linken SPD-Flügels nicht mehr an Bord ist. Die SPD bräuchte keine sozialdemokratische Politik zu machen und könnte sich bequem als soziales Gewissen einer Regierung Merz inszenieren, die tapfer die schlimmsten Zumutungen abwendet.

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"When people criticize Zionists, they mean Jews." (Martin Luther King)

Apropos: Diese lachhafte Nummer von wegen, man sei doch kein Antisemit, wenn man Netanjahus Politik bzw. die Politik der israelischen Regierung kritisiere, ist komplett lächerlich. Nein, natürlich ist man das nicht. Wäre dem nämlich so, dann wären die Abgeordneten der Opposition in der Knesset, deren Job es ist, Netanjahu und seine Politik bzw. diejenige der jeweils aktuellen Regierung zu kritisieren, samt und sonders Antisemiten. Halte ich für unwahrscheinlich.

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Das Lustige an der aktuellen Debatte um das angebliche Allzeithoch bei den Krankheitstagen ist ja, dass ein dramatischer Anstieg sich überhaupt nicht zweifelsfrei belegen lässt. Der Anstieg bei den Krankheitstagen ist wohl fast ausschließlich auf die digitale Krankschreibung zurückzuführen. Viele Krankheitstage sind vorher gar nicht erst erfasst worden, weil viele Arbeitnehmer:innen ihre AUs nie bei der Krankenkasse eingereicht haben, wenn sie weniger als sechs Wochen krank waren (ich auch nicht). Die Krankenkassen führen aber die Statistik. Aber wen stören schon Fakten, wenn man das sichere Gefühl hat, dass und man jemanden kennt, der jemanden kennt, der aber so was von todsicher weiß, dass...

Fun fact: Von den 1,3 Milliarden Überstunden, die 2023 in Deutschland geleistet wurden, waren zwei Drittel unbezahlt und der Anteil gewerkschaftlich organisierter, also streikberechtigter Arbeitnehmer, die durch ihre Gewerkschaft zudem einen Berufsrechtsschutz haben, ist trotz eines leichten Anstiegs immer noch historisch niedrig. Generalstreiks sind gar gleich ganz verboten und branchenübergreifende Solidarstreiks wegen des rigiden, arbeitgeberfreundlichen Streikrechts quasi nicht möglich. Ich bin gern bereit, über deutschen "Arbeitnehmer-Luxus" zu reden, wenn bitte auch mit gleicher Vehemenz über deutschen Arbeitgeber-Luxus geredet wird.

Überhaupt scheinen deutsche Arbeitgeber:innen echte Infektions-Fans zu sein. Am liebsten wäre ihnen, ihre Mitarbeiter:innen ließen sich gar nicht krankschreiben und schleppten sich vergrippt zur Arbeit, auf dass sie dort möglichst viele Kolleg:innen anstecken. Begründung: Sie selbst blieben schließlich auch nicht wegen jedem kleinen Schnupfen gleich zu Hause. Klar, sie haben meist geräumige Büros und können zumindest einen Teil ihrer Arbeit frei einteilen. Telefonische Krankschreibung finden sie auch doof. Es ist nämlich viel besser, die Leute quetschen sich montagmorgens zu massig anderen Infizierten in überfüllten Wartezimmern. Es gibt übrigens in vielen Berufen eine Möglichkeit, auch leicht Angeschlagenen das Arbeiten zu ermöglichen, ohne sie zu Seuchenherden zu machen. Nennt sich Home office. Aber das finden sie auch blöd.

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Gestatten: Tuffi!


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Es gibt übrigens ein todsicheres Mittel gegen die faule nichtsnutzige Jugend: Auf Jugendliche und junge Menschen offen zugehen. Mit ihnen reden. Ihnen zuhören. Nichts auf Hörensagen geben. Sich und seine Erfahrungen nicht absolut setzen. Die eigene Jugend nicht glorifizieren. Sich eingestehen, dass man selbst im Zweifel auch nicht viel besser war damals. Kapieren, dass die schlimmsten Dinge nicht von der Jugend, sondern von Erwachsenen angerichtet werden. Sich eingestehen, dass man nicht mehr der coole, freche Tommy von einst ist. Kurz: Sich einfach mal entspannen.











4 Kommentare :

  1. In der CDU/CSU denkt man sicher auch noch mit Schrecken an die Koalitionsverhandlungen 2017, als Lindner aus heiterem Himmel die Brocken hingeschmissen hat. Die geschmeidige Zusammenarbeit 1982-1998 wird es vermutlich nie wieder geben.

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    1. Die Begeisterung bei der Union scheint sich jedenfalls in Grenzen zu halten, will mir scheinen.

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    2. "Am 27. Oktober 1966 eskalierte im Bonner Palais Schaumburg die Lage. Bundeskanzler Ludwig Erhard, ... hatte seine Koalition aus CDU/CSU und FDP am Vorabend gerade noch einmal auf eine Kompromissformel verpflichten können: „Einvernehmen ist darüber erzielt, dass erst, wenn Ausgabensenkungen und Einnahmeverbesserungen durch Fortfall von Steuerbegünstigungen nicht ausreichen, Steuererhöhungen in Betracht zu ziehen sind.“

      Doch retten konnte der Satz das Bündnis nicht mehr, denn die FDP bestand unverändert auf Kürzungen, insbesondere im Sozialsektor, die CDU und CSU abgelehnten."
      (https://www.welt.de/geschichte/article254318242/Koalitionsbruch-Schon-zweimal-liess-die-FDP-abgewirtschaftete-Regierungen-platzen.html)

      Vorsitzender der FDP war damals Erich Mende:
      "Nach einem innerparteilichen Richtungsstreit trat Mende 1968 vom Parteivorsitz zurück. Er übernahm die Repräsentanz für den Finanzkonzern Investors Overseas Services, dessen skandalträchtiger Untergang ab 1970 seinem Renommee schadete.
      ... Wegen seiner Ablehnung der Neuen Ostpolitik verließ er die FDP-Fraktion und auch die Partei. Danach wurde er für die CDU noch zweimal in den Bundestag gewählt.
      (https://de.wikipedia.org/wiki/Erich_Mende)

      Noch Fragen ? (zu dieser grundsymphatischen Kleinpartei)

      Gruß Jens

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  2. Bei den gelben Giftzwergen frage ich mich sowieso, wer so behindert ist, die überhaupt noch zu wählen. Ähnlich wie die AfD sind die kein Verlust in der Parteienlandschaft. Die parlamentarische Demokratie hat zwar aus Gründen sowieso abgefrühstückt, weil halt an der Verpackung auch nur verschiedene Farben bei nahezu identischen Inhalten drankleben, aber das ist eine andere Geschichte. Leider ist mit diesem Volk, das lieber rechts wählt statt den Allerwertesten zu lupfen, nix zu machen - mein Haus, mein Boot, mein Auto. Da werde ich immer mehr Fan der Anarchie;-)

    Und die Jugend?

    Jede Hecke wird schlechter, aber andererseits steht halt YOLO gegenüber. Wenn man nicht in der Jugend seine Grenzen testet, wann dann? Sonst wird man im Alter ja so ein SUV-fahrender Piefke s.o. und da jibbet schon genug. So schlecht sind die Halbwilden meist nicht, aber die wollen halt auch ernst genommen und nicht wie ein Baby behandelt werden. Auf Augenhöhe begegnen ist da m.E. der Neusprech dafür und lass´ doch der Jugend ihren Lauf...

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