Sonntag, 10. August 2025

Auf Reisen (14)


Wenn man aus dem Ruhrgebiet in eine andere Stadt reist, dann fällt nicht selten auf, wie viel sauberer es woanders ist/sein kann. Dabei gehört meine bescheidene Heimatstadt in dieser Hinsicht noch zu den besseren in der Gegend, wie ich finde. Und ja, gewiss, auch in einer Stadt wie Hamburg, wo ich die letzten Tage das Vergnügen hatte, mich aufzuhalten (weswegen es hier etwas ruhiger war), gibt es Licht und Schatten. Nur dass die helle Seite für mich bei weitem überwiegt. Zumindest in den innerstädtischen Bereichen, in denen ich mich so aufhielt. Mich beschlich der Gedanke, dass an dem Spruch "Hamburg, meine Perle!" eventuell was dran ist.

Ich wurde das Gefühl nicht los, man passe hier irgendwie mehr auf auf die Stadt. Bei uns ist das zum Beispiel so, dass, kaum dass irgendwo ein Bauprojekt fertig ist, sofort die Sprühdosenbrigade anrückt, um sich auf selbigem zu verewigen. Meist in Form irgendwelcher kryptischen Zeichen die wohl besagen sollen: Sieh her, Welt, hier hat gerade jemand erfolgreich ein Häufchen gemacht! Ich mag da einer Minderheit angehören, bin meinethalben auch ein Spießer und Kunstbanause, aber ich bringe es einfach nicht fertig, in Graffiti, von wenigen Ausnahmen abgesehen, was anderes als Vandalismus und Sachbeschädigung zu sehen. Und wer das als große Kunst abfeiert, möge den Künstler:innen halt seine private Hauswand zur Verfügung stellen. Im Zentrum von Hamburg jedenfalls sind mir kaum irgendwo dergleichen Schmierereien begegnet.

Das setzte sich fort, als ich eines Vormittages einen Rundgang durch 'Planten un Blomen' machte. Ja, der Park ist nachts geschlossen und ich weiß nicht, ob und wie leicht man trotzdem reinkommen kann. Aber die eine leere Bierflasche, die einsam am Fuße einer Bank stand, sprang geradezu schmerzhaft ins Auge. Weil es die einzige weit und breit war.

Sicher, meine Wahrnehmung konnte getrübt oder ich mochte generell voreingenommen gewesen sein. Etwa von den rundweg positiven Eindrücken, die Kollege Uhle letztens aus der Hansestadt mitbrachte. Auch Urlaubslaune und die weitgehende Abwesenheit von den Zumutungen des Alltags mögen das ihre tun. Nun mag die Sauberkeit des öffentlichen Raumes noch eine oberflächliche Kategorie sein, die Art, wie die Menschen so miteinander umgehen, ist es nicht. Es scheint in Hamburg tatsächlich weitgehend Konsens zu herrschen, den Mitmenschen tunlichst nicht auf den Dömmel zu gehen und andere nicht mit sich zu behelligen. Schon nach einer Stunde in der Stadt dachte ich: Irgendwas ist anders hier. Niemand drängelt, pöbelt, kein "Nahönsema!", "Kannzenichaufpassen?" oder "Eyverziehdichduarsch!". Erholsam. Mehr noch: Man scheint hier auch freundlicher miteinander umzughehen als anderswo.

Kommt ein Bus oder ein Auto um die Kurve, während man gerade verbotenerweise die Straße überquert, wird angehalten und man wird freundlich rübergewunken. Es hat drei Tage gedauert, bis ich zum ersten Mal ein Auto habe hupen hören. Zu dieser allgemeinen, mit Händen zu greifenden Entspanntheit gesellt sich der Eindruck, dass hier, wiewohl ebenso mit Händen zu greifen ist, dass hier ernsthaft Reichtum vorhanden ist, dieser aber nicht protzig hergezeigt wird. Es gibt münsterländische Mittelzentren, in deren Straßenbild mehr Luxuslimousinen und Sportwagen zu sehen sind als am Jungfernstieg und mehr Prada-Klamotten als auf der Mönckebergstraße. Sicher wird dergleichen besessen und wohl nicht zu knapp, doch es scheint verpönt, das groß zur Schau zu stellen, geschweige denn, groß anzugeben damit. 

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Fürs Protokoll und der Vollständigkeit halber: Natürlich gibt es auch das volle Kontrastprogramm zu sehen. Auf der und um die Reeperbahn sowie um den Hauptbahnhof herrscht teils heftiges Drogenelend. Der Bahnhof Altona erinnert ein wenig an Gelsenkirchen und in der Unterführung der U-Bahn-Station Steinstraße sind mehr Graffiti als am Bahnhof von Herne. Ferner habe ich noch nirgends so viele junge Frauen mit sichtlich aufgespritzten Lippen gesehen. Wobei deutlich zu erkennen war, wie viel Geld jeweils ausgegeben wurde. Bei den teureren Versionen muss man (diskret) zwei Mal hinschauen. Komisch aussehen tut's für meinen Geschmack aber immer.  

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Vielleicht ist die an vielen Stellen spürbare positive Grundeinstellung nicht allein darauf zurückzuführen, dass Hamburg nach Bayern das zweithöchste Haushaltseinkommen hat, sondern auch darauf, dass man hier die Erfahrung gemacht hat, dass das Leben es auch nach schlimmen Schicksalsschlägen weitergeht und es nichts bringt, immer nur am Alten zu kleben. Die veheerenden Bombenangriffe im zweiten Weltkrieg ('Operation Gomorrha') waren nicht die erste Katastrophe dieser Art. Erst 1842, ziemlich genau 100 Jahre zuvor also, hatte ein Großband schon einmal fast die gesamte Innenstadt zerstört. So ziemlich alles, was dort heute 'alt' aussieht, ist, von wenigen Ausnahme wie den fünf Hauptkirchen, aus dem 19. Jahrhundert. Ist trotzdem nett. Das verbindet Hamburg übrigens mit London. Nur dass der große Londoner Brand knapp zweihundert Jahre früher stattgefunden hatte. Vieles von dem, was in London heute 'alt' aussieht, ist nach 1666 gebaut, von der mittelalterlichen Stadt ist kaum was übrig.

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Als alter Modellbahner stand natürlich das Miniaturwunderland ganz oben auf der Liste. Zuvor hatte ich mir ausgemalt, dass ich wohl erst gegen Abend glückselig wie ein Achtjähriger am Weihnachtsabend wieder herausgetaumelt käme. Doch schon nach etwa einer Stunde begannen erste Anzeichen von Reizüberflutung sich einzustellen und ich brauchte dringend einen Kaffee. Die schiere Masse an Eindrücken überforderte mich beinahe und nach knapp zwei Stunden war ich wieder draußen. Bitte nicht falsch verstehen: Das Miniaturwunderland ist unbedingt sehenswert, auch für jene, die mit Modelleisenbahnen nichts anfangen können, gibt es unendlich viel zu sehen und zu entdecken. Das Irrste, was ich bislang in Sachen Modellbau gesehen habe. Aber machen Sie sich auf eine überwältigende Fülle an Eindrücken gefasst. Und buchen Sie Ihre Tickets um Himmels Willen lang genug im Voraus.

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Fun fact: Im Helmut-Schmidt-Haus am Speersort, in dessen oberen Etagen die Redaktion der 'Zeit' residiert, siedeln im Erdgeschoss ein All you can eat-Chinarestaurant und eine Außenstelle des Münchner Hofbräuhauses.

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Natürlich ist ein Besuch im Hafen Pflicht. Die (kostenlose) Rolltreppenfahrt auf die Plaza der Elbphilharmonie sollte man sich nicht entgehen lassen. Lässt man sich dort oben die s-teife Brise um die Nase wehen und leckt sich über die Lippen, schmeckt man Salz. Seeluft. Und die Möwen kreischen dazu. An den Landungsbrücken kann man übrigens Fischbrötchen und andere Spezereien einpfeifen, ohne von den diebischen Flattermännern dabei behelligt zu werden, derweil deren Geräuschkulisse schon zur maritimen Atmosphäre beiträgt. Und der Edeka gegenüber dem U-Bahnhof hat gekühltes Bier zu Hammerpreisen im Sortiment. 

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Was noch? Hafenrundfahrt kann man durchaus mal machen beim ersten Besuch. Das dauert etwa eine Stunde ist ganz unterhaltsam und wenn man auf einer kleinen Barkasse schippert statt auf einem der großen Ausflugsschlachtschiffe, für gut 20 Euro zu kriegen. Nette Menschen hatten mir zuvor unbedingt zu einer Rathausführung geraten, was ich auch tat. Weil die Bürgermeister von Hamburg bis 1918 zu den Fürsten des Reiches zählten, hat man im Rathaus das Gefühl, sich in einer fürstlichen Residenz zu befinden. Nur tanzen ist im prunkvollen großen Festsaal streng verboten. Man fürchtet um die Stabilität der auf Eichenholzpfählen ruhenden Fundamente. 

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Nette Episode am Rande: Direkt vor mir auf der Rolltreppe der U-Bahnhofs Jungfernstieg drei ebenfalls touristisch sich betätigende Jungmänner, die sich im üblichen Krassfettmega-Slang unterhielten. Was man so tut, wenn die Pubertät noch nicht überstanden ist. Über der Außenalster hatte sich nach einem Regenschauer ein Regenbogen gebildet. Alle drei schauten auf einmal ganz verzaubert und einem entfuhr, völlig ohne Slang und von Herzen: "Ist das schön!"  Gibt es also Hoffnung?






2 Kommentare :

  1. Als langjähriger Einwohner der Hansestadt kann ich die Freundlichkeit der Einheimischen zwar durchaus bestätigen, dass es hier, zumal im Straßenverkehr, entspannter zugeht als sonstwo ist jedoch wahrscheinlich zu großen Teilen den gerade stattfindenden Sommerferien geschuldet, während denen die innerstädtischen Viertel traditionell regelrecht entvölkert sind.

    Zu anderen Zeiten gibt es jedenfalls keinen Mangel an dummem Herumgehupe. Nicht umsonst existiert der Begriff der „Eppendorfer Sekunde“, die das Zeitintervall zwischen Ampel-auf-grün-springen und dem ersten entnervten Huoen beschreibt.

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  2. "Sieh her, Welt, hier hat gerade jemand erfolgreich ein Häufchen gemacht!"
    ... das ist so schön formuliert — werde ich mir merken.
    Gruß Jens

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