Ich finde ja, wenn das mit Demokratie und Marktwirtschaft überhaupt noch einen Sinn haben soll, dann den, dass jeder Mensch die Freiheit haben sollte, über seinen persönlichen Krimskrams innerhalb geltender Gesetze verdammt noch mal selbst zu entscheiden. Es ist meine Sache, ob und wohin ich etwa in Urlaub fahre und wofür ich meine sauer verdienten Penunzen sonst so ausgebe. Selbstverständlich gehört dazu auch die Freiheit, eigene Prioritäten zu setzen. Etwa zu entscheiden, wie viel ich arbeite. Also etwa zu sagen: Mein Verdienst ist zum Glück so gut, dass ich problemlos auch Teilzeit arbeiten kann, ohne groß auf was verzichten zu müssen und trotzdem finanziell alles gestemmt bekomme. That's freedom.
Wer nun aber sagt, die Leute sollen gefälligst nicht so faul sein und immer nur Teilzeit und Work Life Balance wollen und so, sollte vielleicht gleich wieder eine realsozialistische Planwirtschaft für alle nicht Vermögenden einführen, in der die Masse der Werktätigen auch offiziell nur mehr Verfügungsmasse ist. Das wäre vielleicht nicht schön, aber immerhin konsequent. Und ehrlicher. Denn Sozialismus haben wir längst. Für Superreiche. Kapitalismus gilt für den doofen Rest.
"Der Kapitalismus mit seinem Drang nach und seinem Zwang zu mehr und mehr und immer mehr ist eine absurde Quatschveranstaltung, die die Majorität seiner Insassen in Stupidität und Armut schickt." (Stefan Gärtner)
Besonders gern wird derzeit auf der 'Generation Z' bzw. 'Gen Z' herumgehackt. Die wolle immer nur chillen und Homeoffice und flexible Arbeitszeit, heißt es, oder gleich Influenza werden oder so, ballere sich am Wochenende Drogen rein und sähe so gar keinen Benefit darin, den Lebensentwurf früherer Generationen -- fünfundvierzig Jahre rackern, dann Rente -- sonderlich attraktiv zu finden. Eigentlich ist es ein sicheres Zeichen dafür, dass jemand den Verstand irgendwo hat liegen lassen, wenn ganzen Generationen pauschale Etikette angeheftet werden. Und erst recht Vorsicht geboten ist, wenn jemand mit der seit Platons Zeiten totgekurbelten Litanei von der faulen, nichtsnutzigen Jugend von heute um die Ecke kommt.
Zur Antwort kommt nun: Man sei mitnichten faul oder demotiviert, die Aussichten seien halt nicht so prickelnd zur Zeit. Einerseits ist da was dran. Wer sich die momentane Debatte zur Rentenversicherung ansieht, kommt garantiert nicht auf die Idee, ein Rentner:innendasein sonderlich erstrebenswert zu finden, so nicht irgendwo ein Erbe winkt. Und wer mitbekommt, was für eine Herkulesaufgabe es inzwischen sein kann, für ein entsprechend bedürftiges älteres Familienmitglied einen Pflegegrad zu bekommen, überlegt sich dreimal, ob ein biblisches Alter zu erreichen wirklich eine gute Idee ist, wenn man keine:e mehrfache:r Millionär:in ist. Zumal gerade die jungen Menschen und Berufsanfänger:innen kaum verantwortlich zu machen sind für die seit Jahrzehnten niedrige Geburtenrate.
Nur in einem muss ich widersprechen: Das mit den Aussichten ist ziemlich banane, da kein Argument. Seit ich denken kann, sind die Aussichten scheiße für Berufseinsteiger:innen. Willkommen im Club!
Reden wir von Westdeutschland, dann wuchs man in den Fünfzigern auf in einer piefigen, autoritären, reaktionären Gesellschaft, in der so ziemlich alles verboten war. Die Sechziger? Guter Witz! Die 'Achtundsechziger' dominierten zwar eine Weile in den Medien, machten aber nur einen kleinen Teil der Bevölkerung aus, der Rest ging tagein, tagaus zur Arbeit oder in die Lehre. Wer in den Achtzigern aufwuchs, sah nicht selten überhaupt keinen Sinn in allem. Wegen dräuendem Dritten Weltkrieg, Umweltzerstörung und was weiß ich. Nicht wenige unserer Lehrer auf dem Gymnasium damals sagten uns, wir sollten, so wir zur Uni gehen wollten, am besten das studieren, was uns Spaß mache, denn arbeitslos würden wir eh fast alle. Wer ab den Neunzigern groß wurde, bekam zwar überall zu hören, wie supi und frei jetzt doch alles sei, musste aber die Erfahrung machen, dass das mit den Jobs irgendwie nicht so dolle war. Weil auf jeden Job für teils lächerliche Löhne und Gehälter 200 Bewerbungen kamen. Überall saßen saturierte Boomer, die die Strickleitern einzogen und jene Privilegien, von denen sie einst selbst profitiert hatten, Stück für Stück wieder abschafften.
Wenn es also um berufliche und allgemein um Lebensperspektiven geht, dann bildeten in Westdeutschland wohl nur die prilblumenbunten Siebziger eine Ausnahme. Es gibt durchaus welche, die das Jahr 1974 in der BRD für so etwas ein Umbruchjahr halten. 1974 war man mit 18 volljährig statt mit 21, man war Fußball-Weltmeister, die ersten IKEA-Märkte eröffneten und begannen den Deutschen den Gelsenkirchener Barock auszutreiben, der VW Golf kam auf den Markt usw.
Was war noch? Sozialstaat und öffentlicher Dienst wurden massiv ausgebaut, die Gewerkschaften holten angesichts der ölkrisenbedingten Inflation erhebliche Lohnerhöhungen heraus, es gab demographiebedingt auskömmliche Renten, die Krankenkassen zahlten so ziemlich alles, Studierende bekamen BAFöG als Zuschuss und es wurden auch sonst Fenster ausgerissen, um den Nachkriegsmief rauszulassen. Das ist im übrigen nicht nur Verklärung. Die 1970er gelten als Schluss- und Hochphase des Keynesianismus nach 1945. Auch in der damaligen DDR standen die Zeichen, nicht zuletzt wegen des steigenden Wohlstands, auf Aufbruchsstimmung und Tauwetter.
Und hier liegt vielleicht ein Problem derer, die vor 1990 im Westen geboren wurden (wozu auch ich gehöre): Sie haben bei der Elterngeneration selbst erlebt, dass fleißig sein sich durchaus lohnen kann. Sie haben Sozialstaat noch als vielleicht bürokratisch und wenig freundlich, aber dennoch als letztlich sozial erlebt. Und tun sich daher schwer mit der Erkenntnis, den heutigen Sozialstaat, ohne all jenen engagierten Menschen unrecht tun zu wollen, die in und für ihn arbeiten, als strukturell feindlich zu begreifen, da von der herrschenden Klasse nicht mehr wirklich gewollt. Von politischen Lippenbekenntnissen wie der Sozialstaat sei dazu da, wirklich Bedürftigen zu helfen, und nicht jeden Schmarotzer durchzufüttern, sollte man sich nicht blenden lassen.
Zurück zur Gen Z. Vielleicht hülfe es ja, das zu tun, was man bei Investoren und Kapitalgebern seit jeher tut. Anreize setzen nämlich. Den Einsatz möglichst attraktiv machen. Dazu gehörte, sich zu fragen, wieso die angeblich so faulen Teilzeit-Bärenhäuter denn nicht mehr arbeiten mögen und ob es wirklich nur daran liegt, dass die Menschen grosso modo immer fauler werden. Oder vielleicht doch eher an der Arbeit.
Wo sind all die Trimm Dich Pfade und Grillhütten etc hin? In Liechtenstein gibts die noch.
AntwortenLöschenAnsonsten, aus Aufstieg durch Arbeit wurde Los per Erbe, als auch garantierter, einklagbarer Profit.
Der Rest wird nur noch als Biomasse benötigt a la Matrix.